EQUA Datenbank-Fachliteratur

Hier finden Sie weit über 2000 insbesondere deutschsprachige Publikationen, die sich speziell mit Familienunternehmen befassen.
Anteilsübertragung
Ausschüttung
Beirat
Börsennotierung von Familienunternehmen
CSR Corporate Social Resposibility
Compliance
Controlling
Digitalisierung
Eigentümerfamilie
Employer Branding
Erbschaft
Erziehung in Unternehmerfamilien
Fachkompetenz von UnternehmerInnen
Familiendynamik
Familieneinfluss
Familienmanagement
Familienmaximen
Familienunternehmen
Family Office
Finanzierung
Frauen im Familienunternehmen
Fremdmanagement
Führungswechsel
Generationswechsel
Geschwisterführung
Gesellschafter*innen
Gesellschafterausstieg
Gesellschafterkompetenz
Gesellschaftsvertrag
Globalisierung
Governance
Hidden Champions
Image und Öffentlichkeitsarbeit
Immaterielles Vermögen
Innovation
Insolvenz
Interimmanagement
Internationalisierung
Kinder in Unternehmerfamilien
Klimaneutralität
Kommunikation
Konflikte
Krisenmanagement
Management Buy Out/In
Mischgeschäftsführung
Mitarbeiter*innen
Mitarbeiterbeteiligung
Mitbestimmung
Nachfolge
Nachhaltigkeit
New Work
Next Gen
Notfallplanung
Organisation der Unternehmerfamilie
Partnerschaften in Unternehmerfamilien
Patchwork-Unternehmerfamilie
Patriarch
Philanthropie
Private Equity
Rechtsform
Resilienz
Risikomanagement
Senior Gen
Soziale Verantwortung
Sozialistion in Unternehmerfamilien
Sozialkapital
Sozialunternehmen
Stakeholder
Stiftungsunternehmen
Stämmeorganisation
Testament
Umstrukturierung
Unternehmensbewertung
Unternehmensführung
Unternehmensgeschichte
Unternehmenskultur
Unternehmensverkauf
Unternehmenswachstum
Unternehmensübergabe
Unternehmer*innen-Persönlichkeit
Unternehmerfamilie
Unternehmertum
Verantwortung
Verantwortungseigentum
Vermögensmanagement
Vertrauen
Werte
Wichtige Verträge
Zukunftssicherung
Zusammenhalt in der Unternehmerfamilie
Auswahl zurücksetzen
Schließen Icon
Resilienz
Familiendynamik
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Resilienz
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Gesellschafterkompetenz
Gesellschafterkompetenz
Unternehmensnachfolge
Gesellschafterkompetenz
Gesellschafterkompetenz
Gesellschafterkompetenz
Gesellschafterkompetenz
Gesellschafterkompetenz
Gesellschafterkompetenz
Gesellschafterkompetenz
Gesellschafterkompetenz
Gesellschafterkompetenz
Gesellschafterkompetenz
Resilienz
Resilienz
Gesellschafterkompetenz
Gesellschafterkompetenz
Unternehmensnachfolge
Familiendynamik
Unternehmensführung
Werteorientierung
Unternehmensnachfolge
Gesellschafterkompetenz
Resilienz
Werteorientierung
Unternehmensnachfolge
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Familiendynamik
Unternehmensnachfolge
Unternehmensnachfolge
Gesellschafterkompetenz
Familiendynamik
Werteorientierung
Unternehmensnachfolge
Unternehmensnachfolge
Unternehmensführung
Familiendynamik
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Unternehmensnachfolge
Unternehmensnachfolge
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Unternehmensnachfolge
Unternehmensführung
Familiendynamik
Unternehmensführung
Familiendynamik
Unternehmensnachfolge
Familiendynamik
Resilienz
Familiendynamik
Familiendynamik
Werteorientierung
Familiendynamik
Gesellschafterkompetenz
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Gesellschafterkompetenz
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Unternehmensnachfolge
Familiendynamik
Unternehmensnachfolge
Gesellschafterkompetenz
Unternehmensnachfolge
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Unternehmensführung
Gesellschafterkompetenz
Unternehmensführung
0 von 0 Publikationen
Tag
close icon
Haftlmeier-Seiffert, Rena
2015

Neustart statt nur nachzufolgen

aus
Nachfolge
in: pw 02.15, S.116
EQUA Publikation
Private Wealth
Unternehmensnachfolge

Das Problem vieler (potentieller) Nachfolger*innen ist es nachzufolgen. Bedeutet dies doch implizit: nicht selbstbestimmt den eigenen Weg zu wählen, nicht selbst zu gestalten, nicht Eigenes zu schaffen, sondern in Vorhandenes einzutreten. Und dies widerspricht unserer heutigen Vorstellung von Selbstverwirklichung, von eigener Leistung und von kreativem selbstverantwortlichem Handeln.

So bitter es sein mag, wenn man als sehr junges Mitglied einer Unternehmerfamilie durch den überraschenden Ausfall des bisherigen Unternehmers plötzlich und unerwartet die Verantwortung für ein Familienunternehmen zu tragen hat, so sehr eröffnet eine solche ungeplante Übernahme viele Freiheiten. Diese Form der Nachfolge kann nämlich zu einem echten Neustart werden:

Erstens können die unvorbereiteten Nachfolger*innen meist vieles (noch) nicht, können nicht durch Nachahmen lernen, sondern müssen durch kreative oft unkonventionelle und originelle Lösungen ihren eigenen Weg finden und selbst verantworten.

Zweitens entsteht durch den plötzlichen Ausfall des bisherigen Unternehmenslenkers im Unternehmen nicht selten eine große Lücke bzw. ein Bruch im System, weshalb das Unternehmen instabil wird. Ein fragiles Gebilde ist aber naturgemäß für Veränderungen offener als ein stabiles, denn es bedarf geradezu der (stabilisierenden) Veränderung. Die jungen Unternehmer*innen können also auf eine solche labilere Organisation besser einwirken und damit neu gestalten als es ein stabiles und daher oft auch eher träges System zuließe. Innovationen sind deshalb gerade jetzt besonders gut möglich.

Drittens empfinden die alt gedienten Mitarbeiter*innen die Labilität des Systems und sind daher in solchen Situationen in der Regel kooperativer und unterstützen besser, als wenn das System stabil und gegenüber Neuem resistent ist.

Und viertens sind Machtkämpfe zwischen den Now Gens und den Next Gens (wie sie nicht selten in langen Übergabephasen aufgrund von ungeklärten Befugnissen an der Tagesordnung sind) natürlich nicht vorhanden, so dass alle Energie tatsächlich für das Unternehmen verwendet werden kann.

Damit ist eine plötzliche und ungeplante Übernahme eines Familienunternehmens wohl in den meisten Fällen eine anstrengende und persönlich extrem herausfordernde Variante der Nachfolge, sie ermöglicht aber einen echten Neustart mit vielen Gestaltungsmöglichkeiten, Handlungsoptionen und viel Selbstverantwortung im Gegensatz zur nicht selten zermürbenden und aufreibenden und zähen Übergabe zwischen der alten und der jungen Generation mit einer längeren Überlappungsphase.

Natürlich kommt es (wie fast immer) nicht zuletzt auf alle beteiligten Protagonist*innen an, ob die Risiken oder Chancen überwiegen.

Haftlmeier-Seiffert, Rena
2013

Familiencodex und Familienverfassung

aus
Familienmaximen
in: unternehmermagazin 1/2-2013, S. 30f.
EQUA Publikation
Unternehmer Medien
Gesellschafterkompetenz

Familiencodex und Familienverfassung und Familienstrategie sind in aller Munde. Kaum eine (sich nicht absichtlich als unreflektiert darstellende) Unternehmerfamilie kommt um diese Errungenschaften umhin.

Meine folgenden Ausführungen dazu werden Kassandrarufen gleichkommen – vor unliebsamem Unheil warnend und wohl doch im Chor der einmütigen Befürworter ungehört verhallend. Und trotzdem möchte ich meine zugegebenermaßen möglicherweise unbequemen Überlegungen bezüglich Familienverfassung, Familiencodex und Familienstrategie dem geneigten Leser nicht vorenthalten.

Die Familienverfassung/ der Familiencodex

„Familienverfassungen sind gut“. Das ist eine Überzeugung, die man allenthalben bei Unternehmerfamilien so findet, noch viel häufiger aber bei Beratern, die sich auf Familienunternehmen spezialisiert haben und darin ein probates Allheilmittel sehen, strauchelnde Unternehmerfamilien wieder auf den Pfad der Tugend zurückzuführen, um ihrer Verantwortung als Eigentümer von Unternehmen, die vielen Menschen Brot und Arbeit geben, gerecht zu werden. Dieser hehre Anspruch ist löblich. Dass er sich daneben für die Berater auch monetär lohnt, mag als netter Nebeneffekt abgetan sein.

Doch sehen wir genauer hin.

Was ist eigentlich eine Familienverfassung? Welche Funktion hat sie? Warum konnte sie sich als wesentliches Werkzeug für Unternehmerfamilien etablieren?

Es wird immer wieder beobachtet, dass die Eigentümerfamilie eines Unternehmens dessen größtes Potenzial darstellt, indem die Familie Kapital langfristig verfügbar macht, oft nicht an kurzfristigen Renditen orientiert ist und mit Mitarbeitern und Ressourcen verantwortungsvoll umgeht etc. Andererseits gilt die Familie aber auch als das größte Risiko für ihr Unternehmen, da Uneinigkeit und Zwist in Unternehmerfamilien auch gesunde Unternehmen in den Abgrund treiben können (was Allgemeinplatz ist und hier nicht näher ausgeführt werden soll). Daher ist es naheliegend, dass nicht nur die Eigentümerfamilie selbst daran interessiert sein muss, das strukturelle Risiko von Familienunternehmen möglichst zu minimieren. Führungs- und Lenkungsformen, also Regelungen wollen gefunden werden, um destruktive Entgleisungen zu verhindern und das gesamte System in einem gesunden und lebendigen Gleichgewicht zu halten, von dem alle Interessensgruppen (Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, Eigentümer etc.) ausgewogen profitieren können. Entsprechend wurde und wird immer wieder versucht, die Idee der Corporate Governance auch auf Familienunternehmen zu übertragen, was dann über kurz oder lang zu der Empfehlung führt, nicht nur im Unternehmen gute Governance-Strukturen zu implementieren, sondern eben auch in der Eigentümerfamilie. Geraten wird dann der Gesellschafterfamilie, eine Familienverfassung zu installieren, auch Familiencodex genannt oder moderner: Family Governance.

So weit, so gut. Doch der typische Familienunternehmer(1) ist zum einen beratungsresistent (wenn er ständig Beratung in Anspruch nähme, wäre er kein guter und eigenständig agierender Unternehmer) und zum anderen ungeduldig (wenn er nicht den Mut zu schnellen Entscheidungen hätte, wäre er ebenso wenig ein erfolgreicher Unternehmer)(2). Ist nun ein solcher Unternehmer trotz allem davon überzeugt, dass eine Familienverfassung für das eigene Unternehmen und seine Familie wichtig ist, und hat er sich entschieden, dafür trotz aller inneren Widerstände einen Berater zu beauftragen, so möchte er verständlicherweise den beauftragten Berater möglichst rasch wieder los werden. Die vom Berater erwartete Leistung ist es, möglichst schnell und effizient eine Familienverfassung zu erstellen.Da Berater nun auch nur ihr saures Brot verdienen, ist es verständlich, dass sie nicht davor gefeit sind, vorgefertigte (und durchaus richtige) Checklisten aufzustellen und rasch abzuarbeiten.

Familienverfassungen werden deshalb mehr oder weniger nach vorgegebenem Schema erstellt und den Gesellschaftern zur Unterschrift vorgelegt. Sind sie dann (in einem feierlichen Akt) von allen Gesellschaftern unterschrieben, werden sie schön abgeheftet und ins Regal gestellt. Solche Familienverfassungen müssen inhaltlich deshalb nicht schlecht sein und gegen sie ist prinzipiell auch nichts einzuwenden. Außer vielleicht, dass sie das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen. Denn sie gehen höchstwahrscheinlich erstens nicht sonderlich auf die speziellen Gegebenheiten, Voraussetzungen und Herausforderungen ein, die nun gerade jede Unternehmerfamilie und jedes Familienunternehmen so unverwechselbar und so besonders und in seiner Singularität auch so erfolgreich machen, und zweitens sind die unterzeichnenden Mitglieder der Eigentümerfamilie höchstwahrscheinlich von solchen Familienverfassungen kaum tangiert, was diesem Instrument jegliche Durchschlagskraft nimmt, da es ihm (wenn so entstanden) an echter Legitimation fehlt.

Die Familienstrategie

Viele gute Berater sind sich dieser Falle sehr wohl bewusst und empfehlen daher eine Familienstrategie.Diese berücksichtigt, dass nur eine von allen getragene, also legitimierte, Familienverfassung überhaupt wirksam sein kann. Um eine solche Legitimation zu erreichen, wird ein begleiteter Prozess initiiert, an dem sich möglichst viele Familieneigentümer beteiligen, um gemeinsam eine individuelle Familienverfassung zu entwickeln. Ein solcher Vorgang (der nach dem Prinzip Der Weg ist das Ziel gehandhabt werden sollte) dauert allerdings zum einen länger und ist zum anderen oft auch schmerzlich, weil viele Hindernisse und Fallstricke in Form von lange vergessenen oder sogar bewusst ‚vergrabenen‘ Problemen und Verletzungen auftauchen, denen man sich nicht nur stellen muss, sondern die man auch und gerade bearbeiten sollte, um damit zu gemeinsamen und von allen getragenen Regelungen zu gelangen.

Außerdem berücksichtigt die Familienstrategie, dass eine Familienverfassung etwas höchst Individuelles ist, das genau den Einstellungen und Überzeugungen der Unternehmerfamilie Rechnung trägt. Deshalb werden dafür in der Regel die vorhandenen familiären Werteprägungen gesucht, diskutiert und reflektiert und damit bewusst gemacht, um als normative Basis für die schriftlich fixierte sehr spezielle Familienverfassung zu dienen.

Familienunternehmen zwischen Stabilität und Wandlungsfähigkeit

Jedes Unternehmen, das sich über längere Zeit am Markt behaupten will, braucht Stabilität und Wandlungsfähigkeit gleichermaßen. Ist es eher instabil, so wird es bei jeder Herausforderung sofort in existenzielle Gefahren gelangen. Wenn es aber stabil ist, so beinhaltet dies auch immer eine gewisse Starrheit, was bedeutet, dass sich das Unternehmen (externen) Herausforderungen nicht anpassen und flexibel darauf reagieren kann. Auch in diesem Falle wird es schnell in große Bedrängnis kommen, denn nur eine rasche und angemessene Reaktion auf faktische Gegebenheiten wird das Überleben des Unternehmens sichern.

Nun ist es aber so, dass Regelungen, Governacestrukturen, feste Normen alle Systeme und Organisationen stabilisieren helfen und dass umgekehrt Organisationen mit wenig festen Regeln, Vorschriften und Festlegungen gerade auf unvorhersehbare Herausforderungen rasch und flexibel reagieren können, da dann Individuen (aus denen die Organisationen bestehen) die Möglichkeit haben, unkonventionelle Antworten auf bisher unbekannte Herausforderungen nicht nur zu finden, sondern auch schnell und effizient durchzusetzen.

Jedes Unternehmen und damit auch jedes Familienunternehmen ist also mit dem Paradoxon konfrontiert, dass es einerseits feste Governance-Strukturen benötigt, um unvorhersehbaren (externen) Herausforderungen stabil begegnen zu können und dass es gleichzeitig von eben solchen festen Regelungen dabei behindert wird, den unvorhersehbaren (externen) Herausforderungen angemessen und rasch und mit neuen Mitteln zu begegnen.

Familienverfassungen sind gut!

Ja“. Denn sie helfen der Eigentümerfamilie eines Unternehmens stabil auf unvorhersehbare Herausforderungen zu reagieren.

Nein“. Denn sie behindern die Eigentümerfamilie eines Unternehmens rasch und flexibel auf unvorhersehbare Herausforderungen zu reagieren.

Der Vorteil informeller Normen

Familienverfassungen bzw. Familiencodizes sind schriftlich fixierte Regelungen. Sie haben damit den Status von formellen Normen.Familienunternehmen und Unternehmerfamilien kennen aber auch sehr viele informelle normative Handlungsempfehlungen. Sei es durch das gelebte Vertreten von ganz bestimmten Wertvorstellungen, sei es durch die lebendig gehaltene ganz besondere Geschichte, die häufig über erzählte Geschichten tradiert wird. Diese wirken normativ und jedes zur Organisation gehörige Individuum kann und wird sich daran orientieren.Denn nicht schriftlich fixierte, aktiv vorgelebte Werte und eine lebendige Geschichte haben zwei Vorteile:Erstens sind diese durch das Fehlen einer schriftlichen Fixierung wesentlich stärker als alle aufgeschriebenen Leitlinien, da man sich der Werteprägung und der durch Geschichten transportierten indirekten Handlungsvorgaben tagtäglich durch Vorbild und Nachahmen gegenseitig rückversichern und sie damit bestätigen muss. (Das in guter Absicht erfolgte Fixieren der vorhandenen Prägungen macht träge und schwächt damit sogar auf längere Sicht die vorhandenen Übereinkünfte und gemeinsamen Vorstellungen, da man diese ja nicht mehr ständig bestärken muss).Und zweitens sind die informellen Normen ‚atmungsaktiv‘, denn sie können, ja müssen permanent gedeutet werden. Und sie werden tagtäglich von allen an der Organisation beteiligten Individuen gedeutet. Damit machen es solche informellen Übereinkünfte möglich, auch unkonventionelle Gedanken und Antworten auf neue und bis dahin nie aufgetretene Herausforderungen im vorhandenen Wertegerüst zu verankern und darin abzusichern, ohne gegen irgendwelche Regeln zu verstoßen.

Aktiv gelebte informelle Normen machen wandlungsfähig und stabilisieren Unternehmerfamilie und Familienunternehmen gleichermaßen. Corporate und Familiy Covernance sind deshalb eine gute, aber oft nur die zweitbeste Möglichkeit.

———-
(1) Hier und im Folgenden beinhaltet die grammatikalisch männliche Form inhaltlich immer auch die weibliche.
(2) Dies ist eine grob vereinfachte Darstellung (die nicht zuletzt Klischees bedient). In ihrer Pointierung hilft sie aber die im Folgenden ausgeführten Beobachtungen und Überlegungen besser und klarer herauszuarbeiten.

Haftlmeier-Seiffert, Rena

Verteilungsgerechtigkeit im Nachfolgeprozess

aus
Nachfolge
in: ZusammenWachsen. Dialogmedium für Unternehmerfamilien 01/2014, S. 11
EQUA Publikation
Unternehmensnachfolge

Mittlerweile ist es hinreichend bekannt, dass es für Unternehmerfamilien besonders schwer, ja eigentlich gar nicht möglich ist, im Nachfolge- und Erbfall Gerechtigkeit gegenüber den eigenen Nachkommen walten zu lassen. Denn in Familien (und nach unserer heutigen gesellschaftlichen Übereinkunft) wird es als gerecht und richtig empfunden, wenn jedes Kind ohne Ansehen der Person gleich behandelt wird und entsprechend ein materiell gleich(wertig)es Erbe erhält. In Unternehmen gilt es in unserer Gesellschaft hingegen als fair und gerecht, wenn der/die Leistungsstärkste mit der größten Verantwortung dafür auch materiell am höchsten honoriert wird. Jede Unternehmerfamilie steht damit bei der Übergabe des Unternehmens an die nächste Generation vor einem unlösbaren Gerechtigkeitsdilemma, denn einerseits müsste das Unternehmen an alle Kinder gleich und andererseits nur an den/die Leistungsstärkste/n übertragen werden.

Da Unternehmerfamilien diesem Dilemma entrinnen wollen, greifen sie zu verschiedenen Mitteln:

  • Negieren: Das Problem wird nicht als solches anerkannt. Man geht stillschweigend davon aus, dass man sich in der eigenen Familie versteht und daher keine Konflikte über die Verteilung des Erbes entstehen werden.
  • Vollendete Tatsachen schaffen: Der/die Abgebende kommt zu dem Schluss, dass es keine wirklich gerechte Lösung geben kann. Um sich mit dem Problem nicht länger auseinandersetzen zu müssen, entscheidet er/sie daher schnell und eigenständig. Unabhängig von der Art der Entscheidung schafft er/sie vollendete Tatsachen und zwingt die Betroffenen, sich (möglicherweise wider Willen) damit arrangieren zu müssen.
  • Vertagung: Die Abgebenden verschieben das eigene Dilemma in die nächste Generation. Sie behandeln ihre Kinder gleich, übertragen also jedem den gleichen Firmenanteil und eine gleich mächtige Position in der Geschäftsführung. Gleichzeitig legen sie aber fest, dass ab der nächsten Generation die Geschäftsführerposition und/oder die Anteile jeweils nur an eine/n Enkel/in weitergeben werden dürfen. Sie delegieren das eigene Gerechtigkeitsdilemma zur Lösung in die nächste Generation – meist unter dem Hinweis auf eine (angeblich) nicht bewältigbare Komplexität und (vermeintlich) schädliche Anteils- und Machtzersplitterung.
  • Sophismus: Eine scheinbare Lösung stellt die Trennung von Stimmrecht und Besitzrecht dar. Zunächst glaubt man damit das Dilemma gelöst zu haben, indem man allen Kindern gleich viele Anteile am Unternehmen überträgt (Familiengerechtigkeit), aber nur eines der Kinder alle Stimmrechte bekommt (Unternehmensgerechtigkeit), mit dem Hinweis, dass immer nur eine/r die volle Entscheidungsmacht haben solle, um unternehmerisch handeln zu können. Webfehler dabei ist nur, dass in Folgegenerationen Situationen entstehen können, bei denen die 100% Stimmrechte bei einem Minderheiteneigentümer liegen, während ein Mehrheitseigentümer vollkommen rechtlos ist.

Zur Illustration:

Als der Gründer Franz Unbill vor vier Generationen sein Unternehmen an die nächste Generation weitergab, war ihm zweierlei wichtig: Er wollte einerseits seine beiden Kinder gleich (gerecht) behandeln und andererseits, dass das Unternehmen machtvoll geführt werden würde, weshalb die Geschäftsführung unumschränkte Entscheidungsbefugnis haben sollte. So trennte er die Stimmrechte von den Besitzrechten. Seinem Sohn Manfred übertrug er also 50% Besitzanteile, die Geschäftsführung und 100% der Stimmrechte. Seine Tochter Petra erhielt ebenfalls 50% der Besitzanteile, aber keinerlei Stimmrechte. Er verfügte außerdem, dass jeder Geschäftsführer die Geschäftsleitung immer nur an einen Sohn übertragen durfte und diesem dann immer die 100% Stimmrechte mit der Geschäftsführung zufielen. Manfred hatte zwei Kinder: Michael und Marga, während Petra nur eine Tochter Philippa hatte. Entsprechend dem Willen und Muster von Franz übertrug Manfred je 25% der Besitzanteile an seine beiden Kinder und die Geschäftsführung gemeinsam mit den 100% Stimmrechten an Michael. Petra vererbte ihrer Tochter ihre 50% Firmenanteile ohne Stimmrechte. Philippa bekam einen Sohn Paul. Marga zwei Söhne, während Michael vier Töchter hatte, bevor er endlich den ersehnten Sohn Maximilian bekam. Da Michael schon 65 Jahre alt und gesundheitlich angeschlagen, sein Sohn Maximilian aber noch zu jung war, setzte er als operativen Nachfolger einen Fremdgeschäftsführer ein. Nach seinem Tod fielen seinen fünf Kindern je 5% der Besitzanteile zu und auf den gerade 18-jährigen Maximilian wurden die 100% Stimmrechte übertragen.

In der vierten Generation gestaltet sich die Situation nun also folgendermaßen: Die Firma wird durch einen Fremdgeschäftsführer geleitet. Es gibt insgesamt acht Eigentümer; fünf davon mit je 5% Firmenanteilen, zwei mit je 12,5% Besitzanteilen und einen mit 50%. Alle Stimmrechte liegen bei dem Jüngsten der Gesellschafter, der selbst nur 5% Besitzanteile hält. Es herrscht massive Uneinigkeit, weil die Situation als extrem falsch und ungerecht empfunden wird, da die ganze Macht in der Hand eines als (aufgrund seines Alters verständlicherweise) inkompetent erachteten Minderheiteneigentümers liegt. Dieser wird von Steuerberatern und Anwälten bestimmt, und der Fremdgeschäftsführer trifft relativ selbstherrlich weitreichende Entscheidungen. Paul ist erbost, weil er, obwohl ihm die Hälfte der Firma gehört, keinerlei Einfluss auf deren Geschicke nehmen kann. Ihm ist aber jegliche Macht genommen, strukturelle Veränderungen durchsetzen zu können. Er leitet daher gerichtliche Verfahren an mehreren Fronten gleichzeitig ein. Diese wirken sich auf den Familienzusammenhalt und möglicherweise über kurz oder lang auch auf das Unternehmen stark negativ aus.

Alle diese Maßnahmen stellen also offensichtlich keine nachhaltigen Lösungen dar. Denn sie verschieben das Problem nur und verschärfen es möglicherweise sogar noch durch eine dauerhafte Manifestation und machen damit das vorhandene Dilemma erst recht unlösbar.

Die Lösung ist: keine Lösung. Dies klingt paradox, doch es bedeutet nichts anderes als: ein nicht lösbares Dilemma nicht lösen zu wollen. Das heißt aber im Umkehrschluss, sich zu scheinbar ungerechten Entscheidungen durchzuringen und diese auszuhalten. Damit diese aber nicht wie ein Bumerang zurückkommen, sollte folgendes gewährleistet sein:

  • keine einsamen und schnellen Entscheidungen, sondern den Entscheidungen (längere) Findungsprozesse voranstellen
  • frühzeitige Kommunikation über die Beweggründe der Entscheidung
  • alle Betroffenen beteiligen

Verfahrensgerechtigkeit statt Ergebnisgerechtigkeit

Da es häufig keine umfassende Ergebnisgerechtigkeit geben kann (denn was in der Familie richtig ist, kann im Unternehmen falsch sein und umgekehrt), hilft es den Betroffenen, das Ergebnis zu akzeptieren, wenn sie den Weg, der zu dieser Entscheidung führte, mitgegangen sind und als fair und gerecht empfinden. So zustande gekommene Ergebnisse können in der Regel von allen akzeptiert werden, denn die Betroffenen verstehen dann das Dilemma und begreifen, dass es keine allumfassend gerechte Lösung im Ergebnis geben kann.


Zur Illustration:

1890 Hacken und FC Öse trennen sich nach einem Fußballspiel 2:2. Alle Fans verlassen aufgebracht das Stadion. Der Schiedsrichter schien bestochen und gewährte dem FC Öse ein Abseitstor, gab für eine eindeutige Schwalbe einen Elfmeter für FC Öse und stellte zum Schluss noch einen schlimm gefoulten Hackener wegen angeblichen Maulens vom Platz, ohne den Ösener, der sein Bein stehen gelassen hatte, auch nur zu ermahnen. Das Ergebnis ist zwar gleich, das Spiel wurde aber als extrem unfair empfunden. Damit gilt auch das Ergebnis als ungerecht.
Ganz anders beim FC Fuss, der im Heimspiel dem TSV Ball mit 1:4 unterliegt. Keiner der Fans empfindet das ungleiche Ergebnis als ungerecht. Die TSV-ler waren einfach die bessere Mannschaft, haben nicht gefoult, und auch der Schiedsrichter hat unparteiisch gepfiffen. Das Ergebnis ist zwar ungleich, aber das Spiel war fair und damit wird das Ergebnis trotzdem als gerecht empfunden.
Haftlmeier-Seiffert, Rena
2014

Faktoren einer erfolgreichen Nachfolge in Familienunternehmen

aus
Nachfolge
Gesellschafterkompetenz
in: Wirtschaftszeitung für Bremen und Umgebung, Ausgabe 36, November/ Dezember 2014, S. 8 ff.
EQUA Publikation
Verlag Wirtschaftszeitung
Unternehmensnachfolge

Einführung
Die Übertragung eines Unternehmens auf die nächste Generation ist für jedes Familienunternehmen und jede Unternehmerfamilie von besonderer Bedeutung. Denn alle wissen, dass hier das Alles-oder-Nichts-Prinzip gilt. Gelingt die Nachfolge, dann ist die Zukunft des Unternehmens und der Familie in der Regel aufs Nächste gesichert, scheitert sie, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass das Unternehmen untergeht und die Familie zerstritten ist.

Dieses Alles-oder-Nichts liegt darin begründet, dass bei der Übergabe das gesamte System Familienunternehmen – Unternehmerfamilie besonders fragil und anfällig für Störungen ist; die alten Strukturen gelten nicht mehr und die neuen haben sich noch nicht etabliert. In dieser Phase gibt es deshalb ein hohes Risiko des Untergangs.

Da sich dessen die meisten Unternehmerfamilien bewusst sind, werden häufig lange Überlappungszeiten zwischen der alten und der jungen Generation gewünscht. Sie werden sowohl von den Abgebenden als auch von den Nachfolgenden als probates Mittel gegen die Risiken im Zuge der Unternehmensübergabe angesehen. Dies ist naheliegend, da man damit die Instabilität vermeiden möchte. Lange Überlappungszeiten stärken allerdings das System nicht unbedingt. Ja solche langen Übergabezeiten können sogar regelrecht kontraproduktiv wirken. Sie verlängern die Phase der Unsicherheit. Denn während der Übergangszeit kommt es nicht selten vor, dass der Vorgänger(1) (nicht aus irgendeiner Böswilligkeit sondern aus einer Unsicherheit heraus) indifferent bezüglich seiner teilweise abgegebenen Verantwortung ist und deshalb beispielsweise Entscheidungen des Nachfolgers zurückholt; genauso stellt möglicherweise der Nachfolger fest, dass seine Entscheidungen zwar nicht unbedingt über den Schreibtisch des Seniors gehen, dass aber Mitarbeiter immer wieder Rückversicherungen beim Vorgänger einholen, denn auch die Mitarbeiter, Kunden oder andere Stakeholder sind in langen Übergabephasen verunsichert. Und da sie alles richtig machen wollen, fragen sie lieber noch mal beim Senior nach. Damit wird aber die Autorität des Nachfolgers, der sich ja profilieren muss und will, weiter untergraben, was möglicherweise den Vorgänger erneut darin bestärkt, dem Junior doch wieder mehr auf die Finger zu schauen. Eine Endlosschleife ist generiert und verlängert und verstärkt damit die Unsicherheitsphase. Und dies nicht nur aus der Perspektive der Protagonisten selbst, sondern vor allem auch bei Dritten und Mitbetroffenen.

Deshalb ist es manchmal (natürlich nicht immer und in jedem Falle) besser, einen Graben mit einem mutigen Sprung zu überqueren und nicht lange zu zweit auf einer wackeligen, morschen Brücke zaudernd zu verweilen und so lange hin und her zu wanken, bis sie doch endlich bricht.
Ein System kann dann als stabil gelten, wenn alle Subsysteme, aus denen es sich zusammensetzt, untereinander ausbalanciert und gut miteinander verknüpft sind.

Da ein Familienunternehmen aus drei Subsystemen besteht (Familie, Unternehmen, Eigentum), gilt es auch hier, diese im Gleichgewicht zu halten und stark miteinander zu verbinden. Ist eines der Systeme unterrepräsentiert, dann wirkt sich das auf das gesamte System aus – es wird fragil.

Wie sich zeigt, ist das System Familienunternehmen in der Ausgangssituation aus der Perspektive des Vorgängers stabil und in der Zielsituation beim Nachfolger. In der Übergabephase ist das System aber für beide instabil, da die Eigentums- und Machtstrukturen ungeklärt bzw. indifferent sind.
Auch wenn Eigentum und Führung (auf dem Papier) gleichzeitig übertragen werden und auch wenn in der Realität die operative Führung langsam übergeben wird, liegen sowohl bei den Protagonisten als auch bei den betroffenen Dritten (Mitarbeiter, Familienmitglieder, etc.) Unsicherheiten bezüglich Macht und Befugnisse vor. Das System ist daher instabil.

Sind Familienunternehmen per se schon eher instabile Gebilde, da hier ständig und immer unterschiedliche, ja widersprüchliche Anforderungen ausbalanciert werden müssen(2), so kristallisieren sich gerade an der fragilen Phase der Nachfolge alle latent vorhandenen und meist bis dahin gut in Schach gehaltenen Konfliktpotenziale. Hier scheinen sie auf, hier können sie machtvolle Wirkung erzielen.

Dies ist den allermeisten Unternehmerfamilien sehr bewusst. Deshalb entwickel(te)n sie in der Regel irgendwelche Strategien, um ihre Nachfolge erfolgreich zu managen. Dass dabei nicht jede davon zwangsläufig auch richtig funktioniert, ist bekannt.

Nachfolgerkompetenz
Betrachtet man Unternehmerfamilien kurz vor oder während eines Übergabeprozesses, so fällt auf, dass sich die allermeisten der besonderen Herausforderung und der Instabilität sehr bewusst sind. Sie wissen, dass sie gute Voraussetzungen dafür schaffen müssen, um einen Erfolg der Übergabe wahrscheinlich zu machen.

Wie Studien gezeigt haben, zählt für Unternehmerfamilien dazu in erster Linie, den Nachfolgekandidaten auf seine Aufgaben gut vorzubereiten und ihn fachlich (sehr) gut zu qualifizieren. Dies wird meist als unabdingbare Voraussetzung angenommen. Darüber hinaus erfolgt die Auswahl sehr häufig unter dem Gebot der Freiwilligkeit und der persönlichen Eignung. Denn fast alle Unternehmerfamilien wissen, dass der potenzielle Nachfolger zusätzlich zu der Fachkompetenz auch persönliche (Führungs- und Entscheidungs-) Kompetenzen mitbringen muss, um ein Unternehmen erfolgreich führen zu können.

Wie die Auswahl des Nachfolgers und dessen persönliche wie fachliche Qualifizierung dann im Einzelnen aussehen und ob externe Hilfe hinzugezogen wird, sei hier nicht weiter erörtert und beurteilt. Wichtig ist, dass in der Regel die besondere Herausforderung bewusst und der Wille vorhanden ist, den Nachfolger entsprechend zu unterstützen, zu qualifizieren und einzuarbeiten.

Vorgängerkompetenz
An jeder Übergabe ist aber natürlich nicht nur der Übernehmer beteiligt, sondern auch der Übergeber. Daher ist es einleuchtend, dass der Erfolg einer Unternehmensübertragung in die nächste Generation nicht nur von den Kompetenzen der Nachfolger abhängt. Auch die Vorgänger müssen entsprechend kompetent handeln.

Wie die Beobachtung zeigt, scheinen darauf die Unternehmerfamilien allerdings weniger Augenmerk zu legen. Der bisher erfolgreiche Unternehmenslenker wird kaum hinterfragt und es wird dem Senior wesentlich weniger Bereitschaft zur prinzipiellen Veränderung abverlangt. Dies ist durchaus nachvollziehbar. Es mag mit seinen erwiesenen Erfolgen als Unternehmer, mit seinem Alter, mit seiner Rolle als Patriarch zu tun haben. Aber eine Übergabe bedeutet trotzdem per Definition eine tiefgreifende Veränderung. Sie beinhaltet eine (die) extrem(st)e Form der Veränderung im Unternehmen wie auch im Leben des Abgebenden. Außerdem sind hier plötzlich ganz andere persönliche Kompetenzen nötig, wie sie bisher vom Familienunternehmer noch nie gefordert wurden: in zweiter Reihe stehen und unterstützen und nicht mehr selbst in erster Reihe kämpfen; Loslassen, anstelle von Bindung und Fokussierung; Toleranz und nicht mehr Kompromisslosigkeit; sich nicht ausschließlich über unternehmerische Erfolge definieren, sondern über anderes Engagement; nicht mehr in Wettbewerbsmustern denken, sondern integrative und harmonische Strukturen etablieren etc.

Gesellschafterkompetenz
Nachfolge hat sich verändert. Bis vor wenigen Generationen galt in weiten Teilen unserer Gesellschaft das Erstgeborenenrecht, aufgrund dessen ein Hof oder ein Unternehmen ungeteilt an den erstgeborenen Sohn vererbt und dieser mit der Führung betraut wurde. Die nachgeborenen Söhne schickte man dann oft in ein Priesterseminar oder eine Kadettenanstalt, damit sie ihr Auskommen in einer Offizierslaufbahn fanden oder kirchliche Pfründe sie ernährten. Die Töchter wurden versorgt, indem man sie möglichst gut verheiratete und mit einer mehr oder weniger großen Mitgift ausstattete.
Spätestens seit der Französischen Revolution hat sich aber in unserer westlichen Welt ein verändertes Gerechtigkeitsverständnis etabliert. Seither gilt das Prinzip der Egalität. Es ist gesellschaftliche Übereinkunft, dass alle Nachfahren in der Regel ein gleiches Erbe beanspruchen dürfen. Auch unsere Gesetzgebung schützt dieses Prinzip, denn die gesetzliche Erbfolgeregelung verteilt unter allen (verwandtschaftlich gleich nahen) Nachfahren gleich und spricht sogar enterbten Nachfahren einen Pflichtteil zu.

Aus diesem Grunde ist es nicht verwunderlich, dass heute Unternehmerfamilien ihr Vermögen (das nicht selten fast ausschließlich aus der Firma besteht) sehr häufig auf alle Nachfahren zu gleichen Teilen übertragen. Die Unternehmensführung wird aber oft nur einem (dem geeignetsten) Nachkommen übergeben. Unternehmerfamilien regeln also die Nachfolge in den einzelnen Subsystemen unterschiedlich: alle Kinder werden Eigentumsnachfolger, während nur einer (eine Auswahl) die Führungsnachfolge antritt.

Wenn man von Unternehmensnachfolgern spricht, wird in der Regel damit der Nachfolger in der Unternehmensführung bezeichnet. Die Eigentumsnachfolge bleibt häufig bei der Betrachtung der Nachfolge außen vor.

Wie oben beschrieben, wird in Unternehmerfamilien in Bezug auf die Nachfolgeregelung meistens viel Wert auf eine gute Auswahl und eine gute Qualifizierung des Nachfolgers in der Unternehmensführung gelegt. Die Eigentumsnachfolger werden dabei in der Regel kaum berücksichtigt. Sie sollen und dürfen ganz anderen Lebensentwürfen nachgehen und erwerben daher meist auch ganz andere Qualifikationen.

Aufgrund ihrer Eigentümerschaft von oft maßgeblichen Firmenanteilen müssen sie aber trotzdem wichtige Unternehmensentscheidungen mittragen und mitverantworten. Dass dies nur qualifiziert möglich ist, wenn die Miteigentümer über entsprechende Kompetenzen verfügen, liegt auf der Hand. Leider legen bisher Unternehmerfamilien auf Gesellschafterkompetenz allerdings verhältnismäßig wenig wert. Spätestens der (Führungs-) Nachfolger, der sich mit weiteren Eigentümern (Geschwistern) abstimmen muss und der daher in seinen unternehmerischen Entscheidungen nicht gänzlich frei ist, wird dies aber spüren. Gerade in unternehmerisch schwierigen Situationen, in denen meist schnell gehandelt und entschieden werden muss, bleibt nämlich wenig Zeit, erst einmal Wissen und Zusammenhänge zu vermitteln oder gar inkompetente Meinungen bzw. Blockaden aus Unwissenheit zu überwinden. Dann kann sich ein wenig kompetenter Eigentümerkreis als Gefährdung für die Firma erweisen. Falls aber eine solche Situation eintritt, wird meist nur die (junge) Unternehmensführung dafür verantwortlich gemacht. Nur selten werden die Gründe dafür in den dahinter liegenden Gesellschafterstrukturen und der Kompetenz bzw. Inkompetenz der reinen Gesellschafter gesehen.
Gesellschafterkompetenz bedeutet dabei weder betriebswirtschaftliches, produktspezifisches noch branchenspezifisches Fach- und Spezialwissen (dazu ist die Geschäftsführung und zweite Managementebene da), sondern besteht vielmehr aus der persönlichen Kompetenz, sich mit den Belangen der Firma auseinandersetzen zu wollen, sich zu engagieren, unternehmerische Zusammenhänge zu begreifen und Entscheidungen mit gesundem Menschenverstand zu fällen(3).

Nicht bei allen Gesellschaftern ist eine empathische Nähe zur Firma unbedingt und selbstredend immer vorhanden. Zumal, wenn Gesellschafter geografisch weit vom Stammsitz und von der Gesellschafterfamilie entfernt und vielleicht auf eine ganz andere Kernfamilie ausgerichtet leben. Sollte dies der Fall sein, so kann Nähe durch (echtes) Interesse bewusst generiert werden. Dazu eigenen sich Einladungen zu Betriebsführungen oder Vorführungen neuer Produkte, zu Betriebsfesten, Messen und Jubiläen genauso wie gemeinsame Reisen zu ausländischen Niederlassungen, die Einrichtung von Familientagen und vieles mehr. Auch die gemeinsame Arbeit an den Familienmaximen(4) kann Interesse, und damit Nähe sowie Empathie befördern. Echtes Interesse bedeutet, dass die Gesellschafter bereit sind, Zeit zu investieren, Energie darauf zu verwenden. Einem solchen Interesse wird dann unweigerlich auch Engagement folgen, gepaart mit Solidarität mit dem Unternehmen.
Kurz: Gesellschafterkompetenz bedeutet aktive Anteilnahme.

Ein Gesellschafter sollte wie ein Konzertkritiker(5) sein. Dieser beherrscht die teuflisch schweren Musikstücke auch nicht selbst, und doch kann er die jeweilige Interpretation beurteilen. So wie der Konzertkritiker aber gut vorbereitet sein und sowohl das Stück als auch die Epoche im Allgemeinen kennen sollte, so benötigt der kompetente Gesellschafter sowohl Kenntnisse über die eigene Firma, die Produkte als auch Grundkenntnisse in BWL und VWL im Allgemeinen. Branchenkenntnisse entsprechen im Vergleichsbeispiel der Kenntnis anderer Interpretationen von anderen Künstlern, die zwar nicht dringend notwendig aber sehr hilfreich sein können.

Neben diesen Grundkenntnissen ist es darüber hinaus für den Konzertkritiker aber auch und besonders wichtig, dass er sich auf die Darbietung einlässt und konzentriert zuhört. Er darf weder abgelenkt sein noch emotionslos und schematisch nur das rein Technische der Darbietung beurteilen, er muss sich auf die besondere musikalische Aussage einlassen wollen. Genauso sollte ein guter Gesellschafter eine besondere und empathische Nähe zum Unternehmen (zu seiner Geschichte, seinen Produkten, seinen Mitarbeitern, ggf. zur Technik etc.) entwickeln.

Fazit
Um eine Unternehmensnachfolge gut zu meistern, wird in Unternehmerfamilien der sorgfältigen Auswahl und Qualifizierung der Führungs-Nachfolger eine große Bedeutung beigemessen. Dabei wird oft übersehen, dass dies aber nur einen Teil einer erfolgreichen und nachhaltigen Firmenübertragung ausmacht. Zusätzlich ist es auch nötig, den Abgebenden bei seinen (persönlichen) Herausforderungen zu unterstützen. Darüber hinaus – und dem wird in der Regel noch weniger Aufmerksamkeit gewidmet – sollten die weiteren (passiven) Erben ebenfalls qualifiziert werden, indem sie fundierte Gesellschafterkompetenzen erwerben, da diese maßgeblich zum dauerhaften Erfolg des Führungs-Nachfolgers beitragen und damit eine geglückte Generationsübertragung und die Zukunftssicherung des Familienunternehmens erst möglich machen.


———-
(1) Wie üblich und in unserer Sprache durchaus seit jeher implizit mitgedacht, gilt trotz Verwendung der grammatikalisch männlichen Form inhaltlich auch die weibliche.
(2) Vgl.: Groth, Torsten/ Schlippe, Arist von, Die Form der Unternehmerfamilie – Paradoxiebewältigung zwischen Entscheidung und Bindung, in: Familiendynamik Jg. 37, 4/2012, S. 268-280; Schuman, Amy/ Stutz, Stacy/ Ward, John L., Family Business as Paradox, Palgrave Macmillan: New York 2010; Simon, Fritz B. (Hrsg.), Die Familie des Familienunternehmens. Ein System zwischen Gefühl und Geschäft, Carl-Auer: Heidelberg ³2011.
(3) Vgl. dazu auch die Ausführungen zum Stichwort Gesellschafterkompetenz im EQUA-Glossar
(4) Vgl. dazu auch die Ausführungen zum Stichwort Familienmaximen im EQUA-Glossar
(5) Diesen Vergleich verdanke ich Prof. Dr. Hermut Kormann.

Haftlmeier-Seiffert, Rena

Gibt es das Unternehmererfolgsgen?

aus
Unternehmer*innen-Persönlichkeit
Familienmaximen
Sozialistion in Unternehmerfamilien
Werte
in: ZusammenWachsen. Dialogmedium für Unternehmerfamilien 01/2013, S. 12
EQUA Publikation

Um sich der Antwort auf diese Frage zu nähern, sollte als erstes geklärt sein, was überhaupt Unternehmer-Erfolg bedeutet.

Im Allgemeinen wird in unserer Gesellschaft unter einem erfolgreichen Unternehmer ein Mensch verstanden, der es durch sein unternehmerisches Tun schafft, eine Unternehmung so zu gestalten, dass sie in guten Zeiten ordentliche Gewinne erwirtschaftet und auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten stabil bleibt. Denn niemand würde jemanden als erfolgreichen Unternehmer bezeichnen, der in einem Jahr beispielsweise durch die Vermarktung einer genialen Erfindung viel Geld verdient und im nächsten Jahr dann seine Aktivitäten rapide zurückfährt, um auf einer Südseeinsel seine Einnahmen zu verleben. So würde höchstens ein Lottogewinner oder Glücksritter handeln. Seriöser Unternehmer-Erfolg hängt also offensichtlich unmittelbar mit dem Willen zur Dauerhaftigkeit und Langlebigkeit zusammen.

So lautet also die Frage: Gibt es ein Gen, das Unternehmer dazu befähigt, ihre Unternehmung auf Dauer stabil zu halten, es gesund wachsen zu lassen und vor dem Untergang zu bewahren?

Gäbe es ein solches Gen, dann könnte sich jeder Unternehmer ganz fatalistisch zurücklehnen, denn unternehmerischer Erfolg oder Misserfolg wäre sowieso vorbestimmt. Dann hieße es (analog der Erfahrung, dass bei großen, schlanken Vorvätern und -müttern die Nachfahren aufgrund der ererbten Gene wieder groß und schlank werden), dass man als Spross einer erfolgreichen Unternehmerfamilie sehr wahrscheinlich ebenfalls wieder Erfolg haben wird.

Offensichtlich gibt es aber ein solches Gen nicht. Zu oft beobachten wir, dass die Nachfahren von erfolgreichen Unternehmern die ererbte Firma nicht genauso erfolgreich und häufig leider sogar in den Ruin führen.

Deshalb ist also im Umkehrschluss Unternehmer-Erfolg wohl doch eher erworben bzw. erlernt und kann durch die richtig implementierten Maßnahmen, Strukturen und einen entsprechenden Willen quasi erzwungen werden. Wäre dem so, dann müsste jeder Unternehmer (nur) eines der zahlreichen, schlauen und durchaus richtigen Lehrbücher umsetzen, die eine oder andere Regel befolgen und schon wäre der Erfolg gesichert. Doch wir alle kennen Unternehmer, die scheinbar alles richtig machen und die dann doch ihr Unternehmen insolvent melden müssen. Meist werden in solchen Fällen externe Faktoren als verantwortlich angeführt. Einzuwenden ist hier allerdings, dass all die anderen Unternehmer an den gleichen externen Widrigkeiten nicht scheitern.

Was ist es aber dann, was Unternehmer erfolgreich macht?

Vergleicht man die untergegangenen mit den langlebigen Familienunternehmen, so kann man häufig feststellen, dass die erfolgreichen Unternehmerfamilien starke und lebendige Familienmaximen besitzen.

Der aus der (französischen) Moralphilosophie bekannte Begriff Maxime wird dort verwendet, um die obersten (persönlichen) Lebensregeln bzw. die (persönlichen) Grundsätze zu beschreiben, die das eigene Wollen und Handeln unmittelbar und maßgeblich steuern. Maximen entsprechen damit einem subjektiven (nicht rechtlichen) Gesetz, das Grundlage für das eigene Denken und Tun bildet. Wird dieser Begriff nun vom einzelnen Individuum auf eine Familie übertragen, so stellen die Familienmaximen die familiensubjektiven, normativen und (moralisch) verbindlichen Grundsätze für die Familienmitglieder dar, die ihr Denken und Handeln leiten und bestimmen.

Solche fest verinnerlichten, nicht ständig zu hinterfragenden und nicht von Moden abhängigen, also stabilen (aber durchaus langfristig veränderbaren) Familienmaximen sind vor allem dann maßgebliche Grundlage für Unternehmer-Erfolg, wenn sie Basis für eine Kultur der Flexibilität und gleichzeitig der Stabilität sind, wenn sie Empathie und Engagement fordern und fördern, wenn sie die Balance von sich widersprechenden Handlungsaufträgen (wie sie jeder Unternehmer kennt) möglich machen, wenn sie eine ehrliche Haltung gegenüber Menschen, Entscheidungen und auch gegenüber Fehlern kultivieren und die Einmaligkeit (der Personen, der Familie und der Unternehmung) manifestieren. Wenn Nachfahren in einer solchen Umgebung aufwachsen, wenn sie starke Familienmaximen erleben, scheinen sie den Unternehmer-Erfolg quasi mit der Muttermilch aufzusaugen.

Stabiler Unternehmer-Erfolg scheint also weder angeboren noch grundsätzlich an Hochschulen erlernbar zu sein. Er hat vielmehr sehr viel mit dem Aufwachsen in Familien zu tun, die starke und lebendige unternehmerische Familienmaximem (vor-)leben.

Haftlmeier-Seiffert, Rena
2011

Wahrnehmungsfehler. Vorbehalte gegen Mitgesellschafter

aus
Gesellschafterkompetenz
Konflikte
in: unternehmermagazin 1/2-2011, S. 46
EQUA Publikation
Unternehmer Medien
Gesellschafterkompetenz

Schon blöd, dass bei uns die Menge der Gesellschafteranteile mit Dummheit gepaart ist“, sagte neulich eine junge Gesellschafterin zu mir. Sie kommt aus einem großen Unternehmen mit sehr vielen Familiengesellschaftern, die in zwei Stammeslager gespalten sind. Der eine Stamm, aus dem sie kommt, war wohl in der Vergangenheit mit Kinderreichtum gesegnet, weshalb hier die Anteile sehr klein zersplittert sind, während sich beim anderen Stamm größere Einzelanteile erhalten haben.

Mein Cousin ‚tickt‘ nicht richtig. Bedauernswerterweise muss man bei vielen seiner Handlungen und Entscheidungen feststellen, dass er hochgradig psychisch angeschlagen ist. Er macht alles nach bestem Wissen und Gewissen fürs Unternehmen. Doch leider ist er krank, der Arme“, so ein geschäftsführender Gesellschafter über seinen Partner in der Geschäftsführung und Mitgesellschafter, mit dem er im Dauerstreit liegt.

Und eine dritte Besucherin erzählte mir: „
Stellen Sie sich vor, welche Frechheit mein Vater besitzt: zuerst verweigert er mir die Nachfolge im Unternehmen, weil er findet, eine Frau hat darin nichts zu suchen und setzt statt dessen meinen völlig unterentwickelten kleinen Bruder ein. Deshalb haben wir über ein Jahr schon nicht mehr miteinander geredet. Und jetzt lädt er mich zum 100-jährigen Betriebsjubiläum ein. Da will er mich doch nur vor der ganzen Belegschaft als die dem kleinen Bruder Unterlegene bloßstellen. Um den Mitarbeitern eine harmonische Familie vorzugaukeln, dazu bin ich gut genug. Nicht mit mir. So eine Boshaftigkeit!


So unterschiedlich die Aussagen meiner Gesprächspartner sind, so sehr ähneln sie sich. Denn sie alle zeigen ein typisch menschliches (und in der Evolution oft sogar sehr hilfreiches) Verhaltensmuster: den feindseligen Wahrnehmungsfehler (vgl. Dogde 1993) oder den falsch-konnotierten Erklärungsfehler. Denn Kontrahenten im Streit werden oft als böse, dumm oder zumindest krankhaft wahrgenommen, um ihre Handlungen, die nicht den eigenen Erwartungen entsprechen, zu erklären. Dabei sind solche unerwarteten Handlungen in diesem Zusammenhang häufig kleine Friedensangebote. Sie werden jedoch umgedeutet, um ins eigene (feindselige) Schema zu passen und damit negiert.

Vielleicht wollte der Vater mit seiner Einladung zum Betriebsjubiläum der Tochter wieder einen Weg zum Unternehmen und zur Familie öffnen, sie wieder integrieren und ihr dabei sogar eine wichtige Rolle als Gesellschafterin zuweisen. Sie sollte möglicherweise eine Kontroll- und Beratungsfunktion erhalten, da der Vater sich aus dieser Rolle nach und nach zurückziehen will, er aber für seinen in der Tat noch etwas unreifen Sohn eine gute Beraterin sucht. Auch weiß er, dass der Bruder immer sehr auf seine große Schwester hörte. Der Erklärungsfehler der Tochter bestand jedoch darin, eine gegnerische Attacke zu vermuten und nicht ein Friedensangebot.

Etwas eleganter ist es, den Kontrahenten mit seinen anderen Ansichten als krankhaft hinzustellen. Dann kann der Arme ja nichts dafür. Und doch oder gerade deshalb fühlt man sich in seiner Überlegenheit bestärkt, kann ihm freundlich mitleidig gegenübertreten und hat auch gar kein so schlechtes Gefühl dabei, da man ihm ja nicht wirklich was Böses will. Und trotzdem werden die kleinen Friedensangebote des Cousins als krankhafte Anwandlungen abgetan, da sie auf eine nicht konsistente Persönlichkeit zu deuten scheinen. Natürlich nicht konsistent, sonst wären sie ja keine Schritte Richtung Frieden, heraus aus der geschlossenen Gegenkriegspartei.

Wenn man seinen ‚Gegner‘ als unfähig oder dumm hinstellt, so kann er zwar ebenfalls nichts dafür, allerdings ist diese Bewertung weniger freundlich, wenn auch genauso raffiniert, da man sich damit im Umkehrschluss natürlich als den Schlaueren markiert.

Warum scheint es diesen feindseligen Wahrnehmungsfehler oder diesen falsch-konnotierten Erklärungsfehler aber besonders häufig in Unternehmerfamilien zu geben? Nicht etwa weil es dort besonders viele bösartige, besonders dumme oder psychisch kranke Personen gibt. Dies ließe sich mit keiner Statistik beweisen. Nicht weil es hier besonders viel Streit und Konflikte gibt. Und dies wiederum nicht weil Unternehmerfamilien besonders streitsüchtig und besonders wenig kompromissbereit sind, wiederum nein, sondern weil im System Familienunternehmen besonders viele widersprüchliche Dilemmata und Paradoxien auszubalancieren sind. Denn was im Unternehmen richtig ist, kann in der Familie richtiggehend falsch sein und umgekehrt. Zählt im System Unternehmen beispielsweise wettbewerbliches Verhalten mit Willen zur Leistung und Vernichtung des Minderen zur gängigen und zielführenden Methode der Optimierung, so wäre ein solches Verhalten in der Familie geradezu schändlich. Hier muss bedingungslos geliebt, gefördert und respektiert werden. Wenn nun aber ein Unternehmerkind das Prinzip des Wettbewerbs so verinnerlicht hat, dass es sein Können permanent auf Kosten des Bruders herausstellt, so wird es schnell innerhalb der Familie als krankhaft ehrgeizig gebrandmarkt. Würde aber umgekehrt ein Unternehmer immer auf alle schwachen Mitarbeiter Rücksicht nehmen, sie trotz Minderleistung sehr gut bezahlen und bedingungslos respektieren, so wird er bald als inkompetenter, ja einfältiger Unternehmer dastehen. Sowenig dieser Unternehmer dumm und sowenig der Bruder krankhaft sein muss, so sehr durchbricht ihr Verhalten die an sie gestellten (unreflektierten) Erwartungen. Sie irritieren und bedürfen einer Erklärung. Böse, dumm oder krankhaft sind gute Etiketten, mit denen man sich jeder weiteren Nachfrage oder Auseinandersetzung über den Grund für das beobachtete und scheinbar falsche Tun enthebt, und mit denen man sich selbst gleichzeitig auch noch ganz leicht im Umkehrschluss als schlau, lebensstrotzend und gut hinstellt. Dabei manifestiert man die eigene, kaum hinterfragte Einstellung und Handlung und bestätigt diese. Im ersten Moment scheint dies ein einfacher Weg, um zu überleben (deshalb hat uns ein solches Verhalten im Laufe der Evolution ja auch einen Vorteil verschafft), auf Dauer und in einer nunmehr wesentlich komplexeren Welt wird es aber um so anstrengender, weil Konflikte und Streit und Gegnerschaft immer wieder bestätigt und daher nie überwunden werden oder sogar im großen gemeinsamen Untergang enden. Es lohnt sich also bei irritierenden oder verstörenden Handlungen von Konfliktgegnern auch einmal nach neuen Konnotationen zu suchen und damit neu und nicht feindselig zu erklären.

Um diese evolutionsbedingten Verhaltensmuster zu überwinden, bedarf es Selbstreflexion und Bewusstheit über das eigene Tun und Denken sowie Bereitschaft zu echter Kommunikation. Unterstützung hierfür kann man bei speziellen Seminaren, durch Coachings und durch ernsthafte Beschäftigung mit Fachliteratur finden. Denn so sehr man diesen typischen Verhaltensmustern ausgeliefert ist, so wenig ist es zwingend, dass man sich ihnen ergibt und sie auf ewig perpetuiert.

Haftlmeier-Seiffert, Rena
2010

Kunst der Integration. Fremdmanager oder Führungskraft in Familienunternehmen

aus
Fremdmanagement
Unternehmensführung
in: unternehmermagazin 10/2010, S. 37
EQUA Publikation
Unternehmer Medien
Unternehmensführung

Schon allein der allseits verwendete Begriff ‚Fremdmanager‘ ist verräterisch. Impliziert er doch Distanz. Der angestellte Manager wird von der Unternehmerfamilie als fremd empfunden, als nicht dazu gehörig, als fremdartig, kurz: als Fremdkörper.

Doch auch die umgekehrte Perspektive ist aufschlussreich:
Erst neulich erzählte mir ein junger Manager, der sein Betriebswirtschaftsstudium mit Bestnote abgeschlossen hatte, dass er höchst irritiert gewesen sei, nachdem er seine erste Stelle in einem großen Familienunternehmen angetreten hatte. Nichts funktionierte. Egal, was er tat oder initiierte, stieß auf BeFREMDen. Und so glaubte er sich bald in einem äußerst suspekten oder wenigstens exotischen Umfeld. Folgerichtig entschied er sich im Einvernehmen mit seinem Arbeitgeber zur Trennung und versuchte es in einem nächsten Unternehmen. Wieder eine spannende Branche mit großen Zuwächsen und märchenhaften Gewinnmöglichkeiten. Wieder ein Familienunternehmen. Doch schon nach kurzem gab es erneut BeFREMDen auf allen Seiten.

Sollte der junge und engagierte Manager an sich und seinen Fähigkeiten zweifeln (was ihm durchaus signalisiert wurde)? Waren alle Unternehmen verrückt oder tickten nicht richtig (was der junge Manager teilweise kopfschüttelnd annahm)? Oder sind die gesamten Wirtschaftswissenschaften und die dort gelehrte Betriebswirtschaftslehre völliger Schwachsinn, der an der Realität vorbeigeht?

Keine dieser Annahmen und dieser indirekten Vorwürfe ist richtig. Denn sowohl der junge Managernachwuchs ist in der Regel ziemlich fähig. Auch die Familienunternehmen sind oft äußerst rentabel und alles andere als unwirtschaftlich oder gar realitätsfern. Und auch die internationalen Wirtschaftswissenschaften bilden hervorragende Betriebswirte aus.

Trotzdem funktionierte die Zusammenarbeit nicht. Denn es trafen zwei unterschiedliche Systeme mit unterschiedlichen Grundvoraussetzungen aufeinander. Der junge Betriebswirt war hervorragend vorbereitet auf eine Position in einem Unternehmen im anonymen Streubesitz (Publikumsgesellschaft) aber nicht auf eine Stellung in einem Familienunternehmen.

Zur Illustration:
Der junge Betriebswirt arbeitete bestens fundierte und durchgerechnete Vorschläge zur Gewinnmaximierung aus. Diese wurden jedoch rundheraus abgelehnt, mit dem Hinweis, das Unternehmen wollte primär (im Sinne eines ehrbaren Kaufmanns) die Zufriedenheit der Mitarbeiter und Kontinuität bei der Belieferung der Kunden mit bester Qualität auf lange Zeit. Er war völlig ratlos. Unterstellte man ihm etwa betrügerisches Handeln? Dabei schlug er doch nur eine Standortverlagerung (nicht einmal ins Ausland!) vor, um bessere Betriebsabläufe zu generieren und eine geringere Fertigungstiefe, da man viele Komponenten als Lohnarbeit billiger herstellen lassen konnte. Was ihn jedoch anfänglich richtig erboste, war die Tatsache, dass die Letztentscheidung nicht beim operativen Management lag und auch die Kommunikation darüber nicht über offizielle Meetings und vorbereitete Präsentationen mit für alle nachvollziehbaren Unterlagen mit erläuternden Graphiken und Fakten-Tabellen lief. Er hatte bis dahin gedacht, dass ein Management Sachentscheidungen zu treffen hat, denen fundiert ausgearbeitete Projektskizzen zugrunde liegen. Hier galten jedoch seine anberaumten Sitzungen als Zeitverschwendung, denn die Kommunikation hatte schon auf dem Gang oder beim informellen Mittagessen stattgefunden, die wunderbar anschaulichen Präsentationen mit Fakten, Tabellen und Graphiken wurden nur mit dem feuchten Finger durchgeblättert und als nice-to-have abgetan. Aber am allerirritierendsten war es für ihn festzustellen, dass die Gewinnmaximierung nicht als oberstes Ziel galt sondern als Ergebnis, wenn man alles oder viel lange richtig macht. Wenn Gewinne durch Zukauf im Ausland und damit indirekten Abbau von Arbeitsplätzen sowie durch zumindest anfänglich ungesicherte Qualität der Produkte, wenn ein neuer Standort mit besseren Abläufen nur durch Ansehensverlust in der Region und durch ungesicherte Versorgung der Kunden in der Übergangszeit zu erkaufen waren, dann wurden diese Überlegungen über die rechnerischen Gewinne gestellt. Zwei Welten prallten aufeinander. Der junge international ausgebildete Betriebswirt und das große und alte Familienunternehmen in der Region waren sich grundlegend fremd.

Der angestellte Manager in Familienunternehmen benötigt Zusatzqualifikationen, die über das rein wirtschaftswissenschaftliche Wissen hinausgehen. Er muss sich auf die gelebten Werte und Ziele des Familienunternehmens und der Unternehmerfamilie einlassen, kongruente Ziele verfolgen und diese nicht nur intellektuell verstehen, sondern auch als Person vertreten und leben. Er sollte bei allen Regelabläufen bereit sein, informelle Strukturen auch als solche anzuerkennen (auch das sind Strukturen!) und dieses richtig einsetzen. Und er muss viel Zeit und Energie darauf verwenden, die Balance zwischen Unternehmen und Eigentümerfamilie ausgewogen zu halten und nicht nur die (vermeidlich wichtigeren) Interessen des Unternehmens in den Mittelpunkt stellen. Nur dann wird der externe Manager zum Mitglied eines Familienunternehmens. Und dann werden seine Vorschläge großes Gewicht haben und seine Position mit (zum Teil informeller) Macht ausgestattet sein. Er wird das Familienunternehmen nicht als exotische Organisation außerhalb aller Wirklichkeit erleben, sondern dieses als zutiefst in der (lokalen) Realität verankert finden. Fremd wird vertraut, Irritation wird Erfolg.

Haftlmeier-Seiffert, Rena
2010

Webfehler in der Nachfolge. Übergänge auf die zweite und dritte Generation

aus
Nachfolge
in: unternehmermagazin 7/8-2010, S. 41
EQUA Publikation
Unternehmer Medien
Unternehmensnachfolge
Der Vater erstellt’s,
der Sohn erhält’s
und beim Enkel zerfällt’s.


Dieser Spruch ärgert mich. Egal in welcher Form er daherkommt, ob als Volksweisheit oder gar als Goethe-Bonmot, so transportiert er doch nur ein Klischee. Dieses wird zwar durch die häufige Wiederholung auch nicht wahrer, setzt sich aber in unseren Gehirnen als unangreifbare Tatsache fest.
Und: Sehen wir nicht immer wieder, wie ehemals solide Unternehmen in der dritten Generation untergehen? Bestätigt nicht die traurige Realität den Spruch so häufig? Wie kann also sein Wahrheitsgehalt angezweifelt werden? Denn abgesehen davon, dass wir möglicherweise einer aufgrund des Spruches verengten Wahrnehmung aufsitzen und die in der zweiten oder vierten Generation gescheiterten Unternehmen ausblenden, gibt es unzweifelhaft durchaus viele Unternehmen, die die dritte Generation nicht überstehen.

Und gleich sind wir mit Vorverurteilungen gegenüber den verwöhnten Erb*innen als partyfeiernde Nachfolger*innen, die wie die Maden im Speck aufwachsen und von Beruf ‚Sohn‘ sind, bei der Hand. Der Schuldige oder zumindest Prügelknabe ist gefunden.

Wir sollten uns die Mühe machen, einmal genauer hinzusehen:
Die Party-Playboys sind in den seltensten Fällen Unternehmernachwuchs. Im Gegenteil. Wie eine Studie am Friedrichshafener Institut für Familienunternehmen zeigt, sind die Unternehmerkinder sogar ausgesprochen diszipliniert, zu Bescheidenheit und Pflichtbewusstsein erzogen, besonders leistungsbereit und sehen sich schon früh in der Verantwortung für das familiäre Unternehmen und für die Gesellschaft.

Wie geht dies nun aber mit unserer Wahrnehmung zusammen?

Aufgrund unserer Erfahrung in der EQUA-Stiftung möchte ich die These wagen, dass nicht die dritte Generation die Schuld am Scheitern trägt, sondern dass bei der Übergabe von der ersten auf die zweite Generation Fehler gemacht wurden, die erst in der dritten Generation zum Tragen kommen. Das Muster der ersten Übergabe ist möglicherweise entscheidend.

Zur Illustration:

Neulich lernte ich zwei über 50-jährige Brüder kennen, die mir ganz stolz erzählten, sie hätten nun endlich den schwierigen Prozess der Nachfolge hinter sich. Es sei nicht einfach gewesen, den 82-jährigen Senior dazu zu bewegen, aber jetzt sei es zur großen Zufriedenheit aller geregelt und sie hätten auch gleich alles festgeschrieben, um in der nächsten Generation dieselben Probleme zu vermeiden. Der Vater habe sich aus dem operativen Geschäft endgültig zurück gezogen und die Anteile je zur Hälfte auf die Söhne übertragen. Die Schwester sei ausbezahlt worden, arbeite aber noch in der Buchhaltung mit. Sie hielten die 50%-Lösung für sehr gut, da diese zur Einigkeit zwinge. Und weil sie sich in ihren Talenten wunderbar ergänzten und sich gegenseitig persönlich respektierten, sei dies eine sehr fruchtbare Konstellation. Der Firma gehe es deshalb sehr gut. Auch in Zukunft solle immer je ein Sohn das operative Geschäft übernehmen und 50% der Anteile erhalten, während die anderen Geschwister angemessen abgefunden werden. Als ich dann ganz vorsichtig fragte, wie viele Kinder sie hätten und in welchem Alter diese seien, bekam ich zur Antwort, dass einer der Brüder zwei Söhne und eine Tochter und der andere zwei Söhne und zwei Töchter habe und dass alle im Alter zwischen 5 und 15 Jahren seien.

Dieses scheinbar so gelungene und leider auch in Stein gehauene Übergabe-Muster verurteilt in meinen Augen das Unternehmen in der dritten Generation zu sehr schweren Zeiten und möglicherweise sogar zum Untergang.

Warum?

Zwei Kinder sollen alle Anteile bekommen, fünf müssen ausbezahlt werden. Dies stellt eine nicht zu vernachlässigende finanzielle Belastung dar.

Wie kann man davon ausgehen, dass ausgerechnet je ein (männlicher) Nachfahre aus jeder Familie geeignet sein wird, das Unternehmen zu leiten? Vielleicht hat nur einer überhaupt das Zeug dazu. Vielleicht sind es aber auch zwei Brüder oder zwei Schwestern aus einer Familie, während die andere Familie hervorragende Lehrer*innen, Notar*innen und Zahnärzt*innen hervorbringt? Dann werden Ungeeignete die Führung übernehmen und Geeignete bleiben außen vor.

Und selbst wenn der unwahrscheinliche Zufall eintritt, dass ausgerechnet ein Sohn aus der einen Familie und ein Sohn aus der anderen Familie besonders befähigt sind, das Unternehmen zu leiten, und selbst wenn die Finanzkraft so groß ist, dass fünf Geschwister/Cousinen angemessen ausbezahlt werden können, so sind doch beide Cousins in unterschiedlichen Kernfamilien aufgewachsen. Sie werden sich nicht mehr unbedingt so blind verstehen wie die beiden Brüder der Vorgängergeneration, sie werden möglicherweise die Leistungen und die Talente des anderen nicht so genau kennen und schätzen bzw. sogar im Wettbewerb beargwöhnen. Und da sie beide gleichberechtigt sind, können sie sich gegenseitig blockieren.

Es ist also (leider) durchaus wahrscheinlich, dass ein finanziell ziemlich angespanntes Unternehmen von einem oder zwei nicht unbedingt besonders fähigen gleichberechtigten Geschäftsführern geleitet wird, die sich untereinander in rivalisierendem Kleinkrieg bekämpfen, was das Unternehmen lähmen, Entscheidungen verhindern und letztendlich den Ruin zur Folge haben wird. Dabei wird die Außenwahrnehmung folgende sein: Die Nachkommen der dritten Generation leben auf zu großem Fuße und verprassen alles, was die Vorgängergenerationen erschaffen haben. Denn möglicherweise genießen die ausbezahlten Geschwister ihr Vermögen und die beiden ungeeigneten und überforderten und daher nicht erfolgreichen und im Konflikt erstickten Geschäftsführer suchen Ersatzbefriedigung in Yachten und Rennautos. Dies wäre nur all zu menschlich.

Doch das ist nicht der Grund für das Scheitern, sondern Folge eines weit zurück liegenden Fehlers, den der Großvater machte – in bestem Wissen und Gewissen und in der Überzeugung alles gut und zukunftssicher geordnet hinterlassen zu haben.

Haftlmeier-Seiffert, Rena
2010

Erziehung zur Nachfolge. Werte und Erwartungen der Eltern

aus
Erziehung in Unternehmerfamilien
Sozialistion in Unternehmerfamilien
Nachfolge
Werte
in: unternehmermagazin 9/2010, S. 65
EQUA Publikation
Unternehmer Medien
Unternehmensnachfolge

Erst kürzlich berichtete mir ein Unternehmer, er würde sich um die Nachfolge in seinem Unternehmen keine Sorgen machen. Denn seinen Kindern würden von klein auf die entsprechenden Werte vermittelt. Werte wie: Leistungsbereitschaft, Mut zur Entscheidung, Flexibilität, Durchsetzungswille, Frustrationstoleranz.

Wenige Wochen später traf ich zufällig seine Frau. Im Laufe des Abends erzählte sie verschiedene Kleinigkeiten, Ansichten oder stellte einfach Tatsachen fest – alles ganz unspektakulär, alles ohne Harm und Frustration, sondern fröhlich und zutiefst sympathisch.

Manches davon gebe ich hier nun gestrafft und geordnet wieder:
Sie sei aus einem Lehrerhaushalt und habe selbst Grundschullehrerin werden wollen. Dann habe sie sich aber in ihren Mann verliebt und jung geheiratet. Zwar sei sie etwas irritiert gewesen, als ihre Schwiegereltern einen Ehevertrag verlangten. Aber da sie mit dem Unternehmen sowieso nichts zu tun haben und auch nicht so aussehen wollte, als habe sie ihren Mann nicht aus Liebe, sondern aus Berechnung geheiratet, war für sie alles in Ordnung. Bald hatte sie drei Kinder und war mit Wickeln, Trostlieder singen, Brei füttern u. ä. voll beschäftigt. Ihr Mann sei wenig zu Hause, was sie anfangs fast zur Verzweiflung gebracht habe. Er arbeite täglich meist 12 Stunden, auch samstags. Außerdem sei er viel im Ausland. So habe sie die Kindererziehung alleine in der Hand, was für sie zwar manchmal schwierig, aber in Ordnung sei, da sie ja sowieso Grundschullehrerin hätte werden wollen und Kinder liebe. Da verlasse sich ihr Mann auch ganz auf sie. Ihr Mann berichte zu Hause wenig vom Unternehmen, da er dann, wenn er schon mal daheim sei, ausspannen möchte, was sie auch verstehe. Auch gehe sie das Ganze ja sowieso nichts an. Als Angeheiratete dürfe sie weder im Unternehmen arbeiten noch Gesellschafteranteile besitzen. So war sie auch nie auf Gesellschafterversammlungen oder bei Betriebsfesten – dazu sei sie weder eingeladen noch habe sie mit den Kindern für so etwas Zeit. Es herrsche bei ihnen eine klare und bewusste Trennung von Familie und Unternehmen, was sie gut fände. Und auch zu den anderen Mitgliedern der Unternehmerfamilie gebe es keinen intensiven Kontakt. Man habe zwar nichts gegeneinander, aber sehr befreundet sei man auch nicht, zumal in der Familie ihres Mannes manchmal etwas skurrile Vorstellungen herrschen. Als Lehrerstochter war sie beispielsweise vollkommen gleichberechtigt mit ihrem Bruder aufgewachsen. Deshalb konnte sie folgendes nicht nachvollziehen und sie ärgere sich immer noch: Ihre erste Tochter war drei Jahre alt, als ihr Sohn geboren wurde. Sofort kamen alle Verwandten zu Besuch und lobten laut und voller Freude, wie wunderbar es sei, endlich einen Stammhalter zu haben. Während dessen saß die Tochter mit traurigem Gesicht auf der Treppe und sagte: ‚Mami, ich bin doch auch da‘!

Beide Ehepartner sind sich offensichtlich einig, dass sie ihre Aufgaben gut aufgeteilt haben (jeder macht das, was er am besten kann), dass sie ihr Leben so leben, wie sie es leben wollen, und dass die Kinder gut geraten und später einmal das Unternehmen übernehmen werden.

Wenn ich nun trotz dieser optimalen Voraussetzungen daran zweifle, so stehe ich mit ziemlich unmöglichen Unkenrufen da.

In meinen Augen wird nämlich immer wieder verkannt, dass die Mutter die entscheidende Rolle bei der Erziehung des Nachwuchses zum Unternehmertum hat, zumal dann, wenn der Vater wie so oft kaum zu Hause ist. Wie aber soll eine Lehrersstochter, die selbst keine Beziehung zum Unternehmen hat, ja geradezu bewusst davon ausgeschlossen wird, den Kindern eine positive Nähe zum Unternehmen vermitteln und sie zu Unternehmensnachfolgern erziehen? Das ist schier unmöglich, und bestimmt kein böser Wille, wenn es nicht klappt. Hinzu kommt, dass die Kinder fühlen, wie die Mutter das Unternehmen in gewisser Weise als Konkurrenz empfindet, da sie mit ihm um die knappe Zeit des geliebten Mannes buhlen muss und sogar im Zweifelsfall hintan zu stehen hat. Sie bekommen von der Mutter eher die Werte vermittelt, die der Grundschullehrerin anstehen: Nachsicht mit und Förderung der Schwachen, Toleranz, Gleichberechtigung ohne Vorbedingungen. Als Unternehmer benötigt man aber Leistungswille, Wettbewerbsdenken, Akzeptanz der Ungleichheit etc. Den Kindern wird von der Mutter etwas anderes vorgelebt. Und so kann der Vater zwar die Unternehmereigenschaften von seinen Kindern verbal einfordern, die Realität wird ihn spätestens dann einholen, wenn die Nachfolge ansteht.

Haftlmeier-Seiffert, Rena
2020

Familienunternehmen: eine noch immer unterschätzte Unternehmensform

aus
Familienunternehmen
in: Liberale Perspektiven 2/2020, S. 15-17
EQUA Publikation
Verband liberaler Akademiker

Auch wenn mittlerweile bekannt ist, dass Familienunternehmen das Rückgrat unserer deutschen Wirtschaft darstellen und dass man in anderen Ländern mit großer Hochachtung vom ‚German Mittelstand‘ spricht, werden hierzulande Familienunternehmen noch immer von vielen belächelt und als rückständig und wenig relevant betrachtet.
Gerne will ich im Folgenden der (abwertenden) Wahrnehmung von Familienunternehmen nachgehen. Diese gibt es nach wie vor, obwohl sich gerade in der aktuellen Corona-Krise wieder zeigt, dass die privat gehaltenen Familienunternehmen Stabilität bedeuten. Denn sie nehmen in der Regel weiter ihre gesellschaftliche Verantwortung an, indem sie ihre Produktion durch schnelle Umstellung und Anpassung am Laufen halten, plötzlich benötigte Produkte zur Verfügung stellen können und Arbeitsplätze sichern, während manche von anonymen Aktionären gehaltene Großkonzerne Milliardenhilfen vom Staat einsammeln und gleichzeitig Tausende von Mitarbeitern entlassen.

Der Neid

Nach wie vor gilt (oft unausgesprochene aber gesellschaftlich durchaus und übereinstimmend anerkannt) der Vorwurf, dass die Nachfolger und Erben von Familienunternehmen ‚von Beruf Sohn‘ seien, nichts leisten und das Vermögen ihrer Vorfahren durchbringen oder sich kapitalistisch an der Arbeitskraft anderer bereichern würden. Auch wenn Studien mittlerweile nachgewiesen haben, dass Mitglieder von Unternehmerfamilien – nicht zuletzt, weil sie den Vorwurf der Neider kennen – besonders leistungsbereit sind und ihre Altersgenossen insbesondere der Generation Y in Bezug auf Engagement und Einsatz weit hinter sich lassen, wird dies in der Öffentlichkeit (noch) nicht wirklich wahrgenommen. Ironischerweise werfen gerne ‚Kapitalisten‘ Unternehmerfamilien vor, ‚kapitalistische Ausbeuter’ zu sein. Denn viele nehmen sich selbst zwar als einfache und ‚normale‘ Bürger mit bravem, abhängigem Job wahr, sind aber im Grunde reine Kapitalisten, wenn man genau hinschaut. Viele haben nämlich zumindest eine Lebensversicherung, die in der Regel (auch) in Aktienfonds investiert ist; außerdem legen die meisten ihr Geld nicht unters Kopfkissen, sondern (gerade in Niedrigzinszeiten) nicht selten in Aktienfonds an. Diese betreiben aber anonym und dadurch völlig rücksichtslos rein renditegetrieben das Spiel an der Börse und zwingen die Großkonzerne dazu, ihre Rentabilität beispielsweise auf Kosten von Arbeitsplätzen zu maximieren. Das ist Kapitalismus pur.

Die Überheblichkeit

Nicht selten werden Familienunternehmen mit kleinen, rückständigen Unternehmen ohne Professionalität gleichgesetzt. Zwar gibt es solche Unternehmen durchaus. Doch hat dies in der Regel mit schlechter Führung zu tun und nichts mit der Eigentümer- und Verantwortungsstruktur.
Der Vorwurf der allgemeinen Rückständigkeit von Familienunternehmen ist offensichtlich völlig haltlos, da gerade der German Mittelstand hochinnovativ ist, flexibel Nischen besetzt und als technologiegetrieben gilt.
Auch muss der Vorwurf der geringen Professionalität genau betrachtet werden. Wenn man Professionalität mit festen Strukturen, Regelwerken, Formalisierungen, Organigrammen etc. gleichsetzt, dann mag der Vorwurf gelten. Es ist allerdings durchaus hochprofessionell, wenn man Wettbewerbsvorteile nutzt, indem man schnell, flexibel, unkonventionell-situationsgerecht und deshalb gerade wenig formalisiert handelt. Und dies gilt insbesondere dann, wenn sich dieses Handeln empathisch an den (Mit-)Menschen, einem nachhaltigen Langfristdenken und humanistischen Werten orientiert und nicht blind an er fixierten Governance-Regelung und der Gewinnmaximierung.

Familienunternehmen sind anders

Durch diese anders verstandene Professionalität können Familienunternehmen in der Regel schneller und flexibler agieren. Da ihr Formalisierungsgrad deshalb notgedrungen geringer ist, könnte damit ggf. die Empfindung der Unsicherheit einhergehen. Diese wird jedoch durch Vertrauen und Loyalität zwischen allen Stakeholdern in der Regel mehr als ausgeglichen. Und gerade diese verlässliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit von Unternehmerfamilie und Mitarbeiter*innen und auch Lieferanten und Kunden bildet eine gute Basis für kreative Neuerungen, die (auch) die besondere Innovationskraft unserer Familienunternehmen erklärt.
Wissen und Know-How wird hier oft über Personen (und nicht unbedingt über Institutionen) weitergegeben. Dies birgt zwar einerseits die Gefahr des Ausfalls von Wissensträger*innen, erhöht aber andererseits auch wieder die Reaktionsgeschwindigkeit.
Familienunternehmen haben in der Regel höhere Eigenkapitalquoten und weniger Liquidität zur Verfügung. Die geringere Liquidität mag zwar vordergründig Investitionen etwas behindern, allerdings schützt es auch vor unnötigen Ausgaben. Und nicht zuletzt deshalb wird – wie Studien zeigen – in Familienunternehmen zwar statistisch weniger Geld für Innovationen ausgegeben, die erfolgreichen Neuerungen sind aber wesentlich mehr, was bedeutet: weniger Input mit mehr Output, also Effizienz. Und die hohen Eigenkapitalquoten werden zwar von Managern in Dax-Konzernen gern als unproduktives Kapital belächelt, zeigen sich aber in Krisenzeiten (wie wir sie gerade wieder erleben) als äußerst stabilisierend. Nicht zuletzt stellt deshalb der Mittelstand das Rückgrat der deutschen Wirtschaft dar.
In Dax-Konzernen ist ein hoher Gewinn das oberste Ziel. Es ist gleichgültig mit welchen Produkten und welchen Mitarbeitern möglichst viel Rendite erwirtschaftet wird. Denn es ist der Sinn der Dax-Unternehmen, möglichst viel Geld zu verdienen. Schließlich wünschen die Aktionäre (Sparfonds, Lebensversicherungen etc.) eine möglichst hohe Ausschüttung. So werden denn auch die Gewinne regelmäßig verteilt.
In Familienunternehmen ist es umgekehrt. Hier gilt in der Regel der Gewinn nicht als Ziel und Sinn, sondern als Voraussetzung. Das Geldverdienen wird als Basis betrachtet, um gut wirtschaften zu können, um sinnvolle Produkte oder Dienstleistungen, die unser Leben erleichtern, entwickeln und anbieten zu können, um die Arbeitsplätze der Mitarbeiter zu sichern und die Verantwortung für ein gutes Gemeinwohl übernehmen zu können. Und damit sind wir wieder am Anfang: In der Regel bereichern sich diese ‚ausbeuterischen Kapitalisten‘ nur sehr selten persönlich an der Firma. Die Gewinne werden meist nicht ausgekehrt, sondern größtenteils thesauriert, um der Firma Innovationspotential und Eigenkapital und damit Spielraum zur Verfügung zu stellen. Die meisten Unternehmerfamilien betrachten sich deshalb eher als Treuhänder, denn als Besitzer ihres Unternehmens. Sie empfinden nicht, dass ihnen die Gewinne zustehen, sondern der Firma, die diese ja auch erwirtschaftet hat.

Volkswirtschaftliche und damit gesellschaftliche Relevanz von Familienunternehmen

Diese Treuhänderhaltung der Unternehmerfamilien stabilisiert unsere Gegenwart. Durch das hohe Eigenkapital der Familienunternehmen schafft es diese Unternehmensform in der Regel, Krisen besser zu bewältigen und trägt damit über den Erhalt der Arbeitsplätze zum Gemeinwohl bei.
Diese Treuhänderhaltung gestaltet unsere Zukunft. Denn durch die hohe Thesaurierung der Gewinne können Familienunternehmen innovative Ideen, Produkte, Dienstleistungen etc. realisieren. So bleiben wir eine zukunftsfähige Gesellschaft mit einer zukunftsfähigen Volkswirtschaft.

Haftlmeier-Seiffert, Rena
Cravotta, Sven

Entscheidungsfindung in Unternehmerfamilien

Das Chamäleon-Modell als Erklärungsmuster

aus
in: FUS 4/2019, S. 114-119
Bibliografie
Haftlmeier-Seiffert, Rena
2023

Die besonderen Herausforderungen beim Management von Familienunternehmen und Klöstern

aus
Unternehmensführung
Resilienz
Werte
in: Christine Duller et al. (Herausgeber), Herausforderungen im Management von Familienunternehmen, S. 89-100
Bibliografie
Springer Gabler
ISBN 978-3-658419-77-6
Unternehmensführung

Zusammenfassung

Durch den Vergleich der (scheinbar) so verschiedenen Organisationen Klöster und Familienunternehmen schärft sich das Verständnis für beide. In diesem Beitrag wird gezeigt, dass beide Organisationen mit sehr ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind. Deshalb werden hier zur guten Führung auch ähnliche Managementkompetenzen benötigt. Diese Führungskompetenzen sind jedoch nicht (nur) die in anderen Unternehmensformen üblichen wie: Fachexpertise, Controlling, Markt- und Wettbewerbskenntnisse etc., sondern es sind gerade Kompetenzen, die häufig von außen sogar als Inkompetenz und/oder Unprofessionalität wahrgenommen werden. Doch genau diese anderen Kompetenzen sind es, die beiden Organisationen das Überleben über viele Jahrzehnte, ja bei Klöstern sogar viele Jahrhunderte, sichern und es ermöglichen, im eigentlichen Sinne nachhaltig erfolgreich zu sein.

Hinführung

Zwar mag es zunächst abseitig erscheinen, die Führung von Klöstern (Feldbauer-Durstmüller und Neulinger 2010; Feldbauer-Durstmüller und Niederwimmer 2022; Feldbauer-Durstmüller et al. 2019; Payer-Langthaler und Feldbauer-Durstmüller 2013; Payer-Langthaler et al. 2014) mit dem Management von Familienunternehmen (Feldbauer-Durstmüller et al. 2008; Feldbauer-Durstmüller et al. 2012; Hiebl et al. 2013) zu vergleichen, da doch beide Organisationen völlig unterschiedlich sind. Das mag für deren äußere Erscheinung (nämlich punkvolle Gebäude versus funktionale Hallen oder Büros), deren Mitglieder (nämlich eine homogene eingeschlechtliche Glaubensgemeinschaft versus eine multiple und gemischte Funktionsgemeinschaft) oder deren Ziele (nämlich Gotteslob versus die Herstellung von Gütern oder Dienstleistungen) gelten. Rückt man jedoch die Strukturen dieser beiden (Unternehmens-)Organisationen ins Zentrum der Betrachtung, dann findet man doch große Vergleichbarkeit und insbesondere sehr ähnliche Herausforderungen vor. In der Gegenüberstellung beider Organisationen kann man die Beobachtung schärfen und damit die Besonderheiten und Herausforderungen, die es sowohl beim Management von Familienunternehmen als auch von Klöstern gibt, verstehen lernen.

Im Folgenden will ich nun genau hier ansetzen und die Unternehmensarten Familienunternehmen und Klosterökonomien in den Mittelpunkt stellen und diese strukturell vergleichen, um die besonderen Herausforderungen beim Management dieser beiden Organisationen zu markieren. Dabei werde ich folgende Hypothesen verfolgen:

1. Die Organisationstruktur von Familienunternehmen ist komplex.

2. Die Organisationsstruktur von Klöstern ist komplex.

3. Die Komplexität von beiden basiert insbesondere auf systemimmanenten Dilemmata und Paradoxien.

4. Voraussetzung für das Management der komplexen Systeme Familienunternehmen und Klöster ist ‚Paradoxiefreundlichkeit‘.

5. Um ‚paradoxiefreundlich‘ sein zu können, ist eine starke und stabile Werteorientierung hilfreich.

6. Klassisches Kennzahlen-Controlling genügt nicht, Familienunternehmen und Klöster erfolgreich zu führen und nachhaltig zu sichern.

1. Familienunternehmen

1.1. Die komplexe Organisation von Familienunternehmen

Vordergründig mag es so scheinen, als seien große Börsenunternehmen komplex, da sie nicht selten in einer verzweigten und verschachtelten globalen Konzernstruktur organisiert sind. Ganz abgesehen davon, dass (große, alte) Familienunternehmen ebenso verzweigte und globale Konzernstrukturen aufweisen können (Weggenmann, abgerufen am 14. November 2022), zumal sie nicht selten aufgrund einer Risikostreuung wesentlich diversifizierter aufgestellt sind als Börsenunternehmen, so sind diese Konzernstrukturen doch cum grano salis als trivial und nicht als komplex zu bezeichnen. Denn sie sind klar, eindeutig und in logischer Abfolge verknüpft und können in der Regel deshalb auch wunderbar in einem (wenn auch noch so großen) Organigramm abgebildet werden, mit eindeutigen und linearen Verbindungen und Ober-, Neben- bzw. Unterordnungen. Das sind triviale Systeme. Komplexe Systeme sind hingegen Strukturen mit Elementen und Faktoren, die sich zirkulär, redundant oder sprunghaft, also nicht linear und daher unvorhersehbar gegenseitig beeinflussen, sich ergänzen, sich widersprechen, sich verknüpfen, sich abstoßen und somit kurz gesprochen: aufeinander in ‚chaotischer‘ Weise im mehrdimensionalen Raum ohne eindeutige Wenn-dann-Beziehung aufeinander einwirken. Die Möglichkeiten sind in der Regel fast unübersehbar und vor allem auch unvorhersehbar (Bar-Yamm 1997; Füllsack 2011; Ladyman und Wiesner 2020; Lewin 1993; Mainzer 1999; Waldrop 1996).

Familienunternehmen sind komplexe Systeme. Denn sie bestehen nicht nur aus einem unter Umständen großen und verzweigten Unternehmen, sondern auch aus einer unter Umständen großen und verzweigten Familie. Dabei macht allerdings nicht die Größe und Verzweigung per se die Komplexität aus, auch wenn sie diese durchaus befeuern kann. Vielmehr ist es die Verknüpfung von Familie und Unternehmen, die aus dem eigentlich trivialen System Unternehmen mit seiner logischen und effizienten Organisation und seinen funktionierenden Maschinen und dem nicht mehr ganz so trivialen System Familie mit seinen menschlichen Individuen mit ihren psychologischen Bedürfnissen ein hochkomplexes System mit Wirkkräften kreiert, die meist weder linear, vorhersehbar oder logisch begründbar, sondern oft dynamisch, unvorhersehbar und unwägbar sind. Die Koexistenz und enge Verflechtung von Familie und Unternehmen macht das System Familienunternehmen komplex (Schlippe et al. 2011; Simon 2002; Simon 2020). Dabei sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es nicht (nur) die Familie und ihre Protagonisten sind, die zur Komplexität beitragen, sondern die Verknüpfung von sich im Grunde Widersprechendem: von Familie und Unternehmen. Denn Familiensysteme basieren auf Vertrauen, Liebe, Toleranz, Nachsicht, Wertschätzung, Gleichheit. Die Mitglieder werden ohne Bewertung vorbehaltlos und bedingungslos geliebt, respektiert und als ganze Menschen anerkannt (Schlippe 2009). Natürlich gibt es Familien, in denen all diese Werte und Haltungen nicht zu finden sind und man sich beispielsweise Liebe ‚verdienen‘ muss. Diese gelten dann allerdings als korrumpiert, gestört und dysfunktional. In Unternehmen gelten ganz andere Logiken. Sie basieren auf Leistung, Wettbewerb, Effizienz und der unnachsichtigen Markierung von Stärken und Schwächen. Mitglieder werden hier aufgrund ihres Erfolgs belobigt. Hier gilt Ungleichheit. Aus diesem Grunde empfindet man es auch als richtig, wenn bei einer Managerin mit der Verantwortung für mehrere tausend Mitarbeiter und einem mehr als 70-Stunden-Job am Ende des Monats unten auf dem Gehaltszettel eine höhere Zahl steht als bei einem Teilzeithilfsarbeiter. Hier wird Leistung bewertet und nicht der ganze Mensch geliebt (Schlippe 2009). Auch in Unternehmen gibt es natürlich in der Realität Dysfunktionalitäten: Wenn Mitarbeiter nepotistisch bevorzugt (‚geliebt‘) werden und ihnen Minderleistung auf Dauer nachsichtig verziehen wird, oder wenn in sozialromantischen Systemen jeder Mitarbeitende gleich viel verdient. Dann gilt nicht mehr Leistung als Bedingung. Und weil dies offensichtlich für Unternehmensorganisationen dysfunktional ist, überleben Unternehmen mit Vetternwirtschaft und Missachtung der Leistungsmaxime in der Regel genauso wenig lang wie sozialromantische Unternehmen mit marxistischer Grundhaltung.

1.2. Systemimmanente Dilemmata bei Familienunternehmen

Gibt es in Familienunternehmen Verwerfungen, dann wird dies häufig mit Unprofessionalität erklärt und nicht selten wird den mächtigen Akteuren auch noch Inkompetenz vorgeworfen. Doch beides greift zu kurz. Dahinter kann nämlich ein Dilemma stecken, das aus der Komplexität des Systems Familienunternehmen resultiert. Denn hier treffen, wie oben gezeigt, zwei sich widersprechende Systeme aufeinander, weshalb die Protagonisten Alltagsparadoxien ausgesetzt sind, in denen es kein Falsch oder Richtig gibt. Vieles, was auf den ersten Blick unprofessionell wirkt, vieles, was auf den ersten Blick inkompetent erscheint, basiert auf dem Dilemma, dass es gleichzeitig vorhandene, sich aber diametral widersprechende Bedürfnisse der Unternehmerfamilie und des Familienunternehmens gibt (Wimmer et al. 2022). Unprofessionalität wird meist mit dem Fehlen von Institutionen und Regelwerken gleichgesetzt. Ob dem so ist, steht auf einem anderen Blatt, da Formalisierung per se noch nicht professionell ist, denn meines Erachtens können kompetente Unternehmer sehr berufsmäßig (und nichts anderes heißt professionell) sein, wenn sie ohne viele Regeln richtige Entscheidungen treffen (Binz Astrachan und Pieper 2021; Kammerlander et al. 2021). Ob nun aber umfassende Regelungen und Formalisierung schlecht oder gut sind, soll hier nicht beurteilt werden. Wichtiger ist in diesem Zusammenhang das richtig beobachtete Phänomen, dass es in Familienunternehmen oft wenig Regelwerke und Formalisierung gibt. Dies ist aber wohl weniger der Unprofessionalität geschuldet, als dem Vorhandensein von Komplexität, denn komplexe Systeme lassen sich nun einmal kaum mit kausalen, linearen und damit trivialen Regelwerken und mit Wenn-dann-Beziehungen bearbeiten. Die geringe Formalisierung trägt also der vorhandenen Komplexität Rechnung und ist deshalb durchaus als angemessenes und damit professionelles Verhalten zu bewerten. Genauso basiert die scheinbare und vordergründig oft zu beobachtende angeblich Inkompetenz von Unternehmerfamilien häufig auf den paradoxen Anforderungen, denen sie sich ausgesetzt sehen. Denn was, wie gezeigt, in dem einen System richtig ist, wirkt im anderen System oft dysfunktional. Handelt nun eine Unternehmerfamilie in einem System richtig, so ist dies nicht selten im anderen System geradezu falsch. Beurteilt aber ein außenstehender Betrachter eine entsprechende Handlung aus der Perspektive des einen Systems, die Handlung der Unternehmerfamilie trägt aber dem anderen System Rechnung, so erscheint sie dem Betrachter schnell als inkompetent, weil offensichtlich falsch. Um es am Beispiel zu zeigen: Vielleicht ist es nämlich für das Familiensystem unglaublich wichtig, dass der zweite drogenabhängige Sohn doch im Unternehmen eine Anstellung findet, weil er so Struktur im Leben bekommt und er sonst komplett auf die so genannte schiefe Bahn abgleiten würde, er wird als ganze Person respektiert und geliebt. Im System Unternehmen ist eine solche Einstellung jedoch völlig falsch, weil man von Minderleistung und damit von der Schädigung des Unternehmens ausgehen muss. Die Unternehmerfamilie hat diesen Sohn aus familiär richtigen Gründen eingestellt. Sie befindet sich hier in der Logik der Familie. Der außenstehende Betrachter befindet sich aber möglicherweise in der Logik des Unternehmens und bewertet deshalb diese Handlung zurecht als falsch. Er begreift dies als Nepotismus, Inkompetenz bei der Beurteilung des eigenen Nachwuchses oder als Ignoranz von Tatsachen. Als Unternehmerfamilie, die ja zu beiden Systemen gehört, befindet man sich deshalb ständig in der Paradoxie, dass eine Handlung zugleich richtig und falsch sein kann.

2. Klöster

2.1. Die komplexe Organisation von Klöstern

Auch in Klöstern haben wir es mit komplexen Strukturen zu tun. Die Komplexität entsteht auch hier aus der Koppelung zweier unterschiedlicher und sich teilweise widersprechender Systeme. Zum einen gibt es die Gemeinschaft der Mönche beziehungsweise Nonnen, deren Ziel es ist, ein gottesfürchtiges und -gefälliges Leben im Glauben zu führen, bescheiden zu teilen und allen Beladenen und Belasteten zu helfen. Die Ordensgemeinschaft ist geprägt von Nächstenliebe, Freigiebigkeit, Demut und Mildtätigkeit. Aufgabe ihrer Mitglieder ist es, sich selbst zurückzunehmen und Schwächere zu unterstützen (als Beispiel für das Leben, Selbstverständnis und Wirken von Ordensgemeinschaft seien die Regula Benedicti angeführt: http://benediktiner.benediktiner.de/index.php/regula-prolog.html, abgerufen am 14. November 2022). Nicht Leistung zählt, sondern jeder ist vor Gott gleich (Galater 3:28; Römer 3:19-28) und wird mit allen seinen Schwächen angenommen und geliebt, während Stärke als Gnade und damit Auftrag Gottes verstanden wird, die Schwachen und Beladenen zu unterstützen (2 Korinther 6:1, 2 Korinther 9:8). Zum anderen gibt es aber die Klosterökonomie, die wirtschaftlich funktionieren und im Wettbewerb bestehen muss, bei der deshalb Leistung und Erfolg zählen. Denn nur so kann sich die Ordensgemeinschaft ernähren und von ihr die Armen und Schwachen überhaupt erst mildtätig unterstützt werden.

Oft werden die Ordensökonomien von außen mit ihren Liegenschaften, prunkvollen Kirchen und riesigen Klostergebäuden, ihrem Wald- und Grundbesitz als vermögend angesehen. Da diese Vermögen aber meist aufgrund von einmaligen Zuwendungen und großzügigen Spenden oder Stiftungen nicht selten in Form von Realien und nicht von Geld entstanden sind (was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass viele Köster sogar Stift genannt werden), bedarf es kluger unternehmerischer Effizienz, diese Vermögen auf Dauer zu sichern oder gar zu mehren und damit wirtschaftlichen Gewinn zu erzielen. Schaut man in die Rechnungsbücher der Klöster, so zeigt sich aber wohl nicht selten, dass sie aus sich selbst heraus wirtschaftlich alles andere als erfolgreich sind (Niederwimmer 2019). Schnell ist man mit dem Urteil bei der Hand, dass die Ordensmitglieder in Bezug auf ihre Ökonomie unprofessionell und inkompetent handeln würden und eben zu vergeistigt seien, ganz abgesehen von dem (oft indirekten) Vorwurf, dass sich nur eine ganz bestimmte und wenig lebenstüchtige Auswahl an Menschen zum Leben in einem Orden berufen fühlten (Niederwimmer 2019). Diese Argumente sollen hier nicht näher diskutiert werden. Denn Ordensgemeinschaften befinden sich genauso wie Unternehmerfamilien immer wieder paradoxen Anforderungen ausgesetzt, was möglicherweise Vieles erklären kann.

2.2. Systemimmanente Dilemmata in Klöstern

Einerseits müssen die Mitglieder nämlich Leistung erbringen und ökonomisch im Wettbewerb erfolgreich sein, und andererseits sollen sie sich selbst zurücknehmen, demütig und nicht überall der/die Erste sein wollen, die Schwachen stützen und die eigenen Stärken in den Dienst anderer stellen und in Güte und Gnade und nicht um des Erfolgs willen handeln. Damit stecken Ordensgemeinschaften genauso wie Unternehmerfamilien in einem Dilemma. Die scheinbare Unprofessionalität und Inkompetenz erwachsen aus diesem christlichen Selbstverständnis des demütigen Hintanstehens, der Güte, der Anerkenntnis und der Unterstützung der Schwächeren, die nicht von den Stärkeren übervorteilt werden sollen. Diese Haltung ist weder unprofessionell noch inkompetent, sondern basiert ausschließlich auf der christlichen Überzeugung und ist für die Ordensgemeinschaften wesentlich und sogar konstitutiv. Aus (kloster-)ökonomischer Sicht ist diese Haltung jedoch oft geradezu falsch, denn damit wird meist wirtschaftlicher Erfolg konterkariert. Wie sollen die Ordensmitglieder also handeln? Als harte, wettbewerbsgestählte Unternehmer, um die Ordensökonomie zu erhalten, oder als Männer/Frauen der Gnade, der Freigiebigkeit, der Hinwendung, um entsprechend ihrem christlichen Auftrag und dem abgelegten Ordensgelübde zu handeln?

3. Management von Familienunternehmen und Klöstern

Wie oben gezeigt, sind Mitglieder aus Unternehmerfamilien und hier insbesondere die Geschäftsführer und Mitglieder aus Ordensgemeinschaften und hier insbesondere die Äbte gleichermaßen paradoxen Anforderungen ausgesetzt und befinden sich daher oft in einem Dilemma. Da das Wesen von Paradoxie und Dilemma in ihrer Unlösbarkeit besteht (Cohen 2005; Hagenbüchle und Geyer 2002; Kannetzky 2000; Rescher 2001; Sainsbury 2001), da jede scheinbare Lösung zwar auf der einen Seite richtig, aber auf der anderen Seite falsch ist und es keine Lösung gibt, die allen Bedürfnissen oder Anforderungen gerecht werden könnte, werden häufig in solchen Situationen folgende (Management-)Strategien angewendet, um das Problem (scheinbar) zu lösen:

3.1. Vogel-Strauß-Politik

Es ist nur zu menschlich, wenn man angesichts unlösbarer Situationen beginnt, Probleme nicht sehen zu wollen, Probleme ausblendet und eben bei Paradoxien nur die eine Seite wahrnimmt. Als Außenstehender spricht man dann schnell von Blindheit oder Inkompetenz, angesichts der Nichtwahrnehmung von doch so offensichtlichen Aspekten. Doch diese Vogel-Strauß-Politik ist für viele ein probates Mittel, um dem unlösbaren Dilemma zu entkommen. Sie ist als Kognitive Dissonanz aus der Psychologie bekannt (Festinger 2012; Maxeiner und Rühle 2014), allerdings bisher in der (Familien- und Klöster-)Unternehmensforschung höchstens am Rande behandelt. Trotzdem ist zu beobachten, dass beispielsweise Unternehmerfamilien nicht sehen (wollen), wie einzelne Mitglieder leiden und sich in immer unhaltbareren Situationen befinden und aufgrund einer dysfunktionalen Familie psychisch krank werden. Denn dies darf nicht wahr sein, da das Familienunternehmen eine tüchtige Führung braucht. Oder Ordensmitglieder leben weiterhin scheinbar naiv in den Tag hinein, kommen allen ihren Ordensaufgaben im gottgefälligen und mildtätigen Bereich hervorragend nach, verschließen aber die Augen davor, dass das Kloster eigentlich bankrott ist. Ja, sie führen möglicherweise nicht aus Unprofessionalität ihre Bücher schlecht, sondern weil sie so nicht sehen (können), wie schlimm es um das Kloster bestellt ist und sie so den paradoxen Anforderungen scheinbar entkommen.

3.2. Basta-Lösung

Andere blenden zwar möglicherweise die eine Seite der paradoxen Anforderungen nicht aus, wissen sich angesichts der Unlösbarkeit von Paradoxien aber nicht zu helfen und entscheiden dann, indem sie zur sogenannten Basta-Lösung greifen. Basta-Lösungen wurden bisher kaum in der (Familien- und Klöster-)Unternehmensforschung behandelt. Sie sind aber aus der politischen Theorie als Dezisionismus bekannt (Bolsinger 1998; Brodocz 2015). Hier wird bewusst parteiisch nur die eine Seite beachtet und dann gegen alle Widerstände, die aus den paradoxen Anforderungen erwachsen, diese Entscheidung mit Macht durchgesetzt. Geschäftsführer in Familienunternehmen oder Äbte in Klöstern mögen deshalb oft wie herrschsüchtige Autokraten wirken, die nach Gutdünken autoritär und rücksichtslos entscheiden. Meist wird dies als Charakterschwäche ausgelegt. Doch könnte es auch als (hilfloses) Instrument gewertet werden, um den paradoxen Anforderungen zu entkommen. Wie gut und vor allem nachhaltig solche Basta-Lösungen in der Realität sind, sei hier nicht beurteilt. Hier geht es vielmehr um das Verstehen, warum manchmal schmerzliche Basta-Lösungen getroffen werden, die der Entscheider zwar (kurzfristig) als Befreiung aus verstrickten Situationen empfinden mag, die jedoch bei anderen Betroffenen oft zu großen Verletzungen und nachhaltiger Irritation führen.

3.3. Kompromiss

In Entweder-oder-Situationen wird der Kompromiss (Greiffenhagen 1999; Margalit 2011; Zanetti 2022) in der Regel als klassische Lösung betrachtet. Er hat allerdings den Schönheitsfehler, dass oft beide Seiten ‚verlieren‘. Denn keine Anforderung, kein Bedürfnis – egal auf welcher Seite – wird ganz befriedigt. Um im Beispiel von oben zu bleiben: Der drogenabhängige Sohn wird zwei Tage in der Woche im eigenen Unternehmen angestellt. Eigentlich ein schöner Kompromiss, der einerseits dem Unternehmen nicht zu viel Minderleistung zumutet und andererseits dem Sohn eine Perspektive gibt. So scheint es. Denn wahrscheinlich wird es genau umgekehrt sein. Nicht beide gewinnen, sondern beide verlieren. Das Unternehmen verschwendet Geld und Ressourcen und damit unternehmerischen Erfolg und der Sohn wird in zwei Tagen der Woche keine Struktur beziehungsweise Halt finden und keine tieferen sozialen Beziehungen außerhalb seines Milieus aufbauen und die Arbeit als Zwang empfinden. Die Unternehmerfamilie verliert durch diesen Kompromiss sowohl ihren Sohn weiter als auch Effizienz und Erfolg im Unternehmen.

3.4. ‚Paradoxiefreundlichkeit‘

Große alte Unternehmerfamilien zeigen oft im Umgang mit konträren und unvereinbaren Anforderungen, die aus der Verquickung von Unternehmen und Familie entstehen, eine ‚Parodoxiefreundlichkeit‘ (Rüsen und Heider 2020; Schlippe et al 2017; Simon 2012) – auch als ‚Gegenparadoxie‘ zu betrachten (Schlippe 2020). Dies bedeutet die Fähigkeit, nicht jede Unstimmigkeit zu markieren, sondern Widersprüche und Dilemmata auszuhalten und bewusst offen stehen zu lassen. Dazu benötigt man ein Maß an Paradoxiebewusstheit, also die Einsicht, dass in bestimmten Situationen eindeutige Lösungen nicht möglich und daher – und das ist besonders wichtig – auch nicht erstrebenswert sind. Wie oben beschrieben, gibt es in Ordensgemeinschaften und Klöstern genauso wie in Unternehmerfamilien paradoxe Handlungsaufforderungen. Auf welche Weise dort ‚Paradoxiefreundlichkeit‘ gelebt werden kann, möchte ich an einem Beispiel illustrieren: In einem Stift führte mich der Abt stolz durch ‚seine‘ Bibliothek und zeigte mir wunderbare und kostbare, zum Teil 1000 Jahre alte Handschriften. Ganz nebenbei erwähnte er, dass im Laufe der Jahrhunderte immer mal wieder Bücher abhandenkämen (kein Imperfekt, sondern Präsenz!) und ehemalige Schätze einfach nicht mehr auffindbar seien. Das breite Lächeln, das sein Gesicht während dieser Aussage überzog, irritierte mich zutiefst. Denn ich konnte nicht verstehen, dass dieser Abt und dieses Kloster, das sich durch seine alte und hervorragende Bibliothek definierte, einen solchen Schwund einfach so hinnahmen. Erst später erkannte ich, dass sein Lächeln nichts anderes als ‚Paradoxiefreundlichkeit‘ ausdrückte. Denn zum einen ist die Bibliothek mit seinen Schätzen konstitutiv für dieses Kloster und macht quasi das Selbstverständnis der Ordensgemeinschaft aus, darf also auf keinen Fall Schaden nehmen. Zum anderen war das Kloster aber wohl schon häufiger finanziell so angeschlagen, dass der Fortbestand gefährdet war, was nur der Verkauf der einen oder anderen Buch-Rarität verhinderte. Die jeweiligen Äbte befanden sich in einer Zwickmühle: einerseits die Bibliothek und damit das Zentrum des Klosters zu bewahren und andererseits auch das Kloster als Ort für die Ordensgemeinschaft erhalten zu müssen. Das Aushalten des Unvereinbaren beziehungsweise des empfundenen Widerspruchs wurde durch das Lächeln des Abtes für ihn emotional annehmbar und forderte mich indirekt und freundlich dazu auf, diese Ungereimtheit als solche ebenfalls zu akzeptieren.

Auch wenn ‚Paradoxiefreundlichkeit‘ oft wie unprofessionelles, uneindeutiges, zögerliches und inkompetentes Handeln wirken mag und sich diesen Vorwurf auch gefallen lassen muss – vor allem, wenn Außenstehende nur die Perspektive der einen Seite einnehmen – so ist dieses doch als höchst professionell zu bewerten und verlangt den Protagonisten durchaus menschliche Größe und Haltung ab. Denn es ist nichts schwieriger, als Unsicherheit – und nichts anderes sind paradoxe Handlungsanforderungen, bei denen es keine umfassend richtige Lösung gibt – auszuhalten (Evers und Nowotny 1985).

Diese Haltung könnte bei Ordensmitgliedern durch ihr Gottvertrauen und die Überzeugung von der Gnade Gottes gestützt werden, während es bei Unternehmerfamilien möglicherweise der seit vielen Generationen vorhandene unternehmerische Erfolg ist, der immun gegen den Zwang zur eindeutigen (Basta-)Entscheidung macht.

Neben einer souveränen Persönlichkeit helfen auch tief verankerte Werte, verunsichernde Paradoxien ohne richtige Lösungen auszuhalten und als solche stehen zu lassen. Denn ein stabiles Wertegerüst gibt Sicherheit. Ordensgemeinschaften sind per se Wertegemeinschaften, die sich den christlichen Grundwerten verpflichtet fühlen und diese als Maßstab ihres Tuns anerkennen. Ihre Mitglieder sind bewusst in die Ordensgemeinschaft eingetreten, wurden während ihres Noviziats auf die gemeinsamen christlichen Werte eingeschworen und legen dann ein Gelübde ab, in dem sie bestätigen, ihr Leben nach diesen Werten auszurichten. Ordensmitglieder besitzen als Gemeinschaft ein stabiles Wertegerüst. Ganz anders bei Unternehmerfamilien. Hier wird man ungefragt hineingeboren, unterschiedlich und oft emotional fernab sozialisiert und muss wohl in den seltensten Fällen ein Gelöbnis ablegen, bevor man Firmenanteile erbt. Hier sollte deshalb, anders als in Ordensgemeinschaften, an einem gemeinsamen und stabilen Wertegerüst anhaltend gearbeitet werden, sonst verflüchtigt sich ein solches sehr schnell. Und es ist auffällig, dass große alte Unternehmerfamilien meist ein tief verankertes Wertesystem haben und auch viel dafür tun, dieses stabil zu halten (Moog 2021; Schlippe et al. 2017). Dieses ermöglicht ihnen offensichtlich ‚paradoxiefreundlich‘ sein zu können. Auf welche Werte sie sich hierbei beziehen, ist eher nebensächlich. Aber Verantwortung, Fairness, Ehrlichkeit und Demut sind in der Regel dabei (Rüsen 2014).

4. Familienunternehmen und Klöster nachhaltig führen und sichern

Nach diesen Ausführungen ist nachvollziehbar, warum beispielsweise das klassische Controlling als Managementinstrument bei Familienunternehmen und Ordensökonomien zu kurz greift. Denn dieses beachtet nur das Unternehmenssystem. Da aber sowohl Familienunternehmen als auch Klöster aus mindestens zwei Systemen bestehen, die sich oft sogar auch noch diametral widersprechen, benötigt man andere Führungs- und Strategieinstrumente. Diese müssen viel mehr Aspekte als nur die für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens berücksichtigen. Denn auch die Familie muss als Familie und die Ordensgemeinschaft muss als Ordensgemeinschaft ‚erfolgreich‘ sein können. Und deren ‚Erfolge‘ sind eben ganz andere als wirtschaftliche. Deshalb müssen beide Systeme bei Entscheidungen berücksichtigt und daraus resultierende paradoxe Anforderungen balanciert werden. Wenn eine Balance aber nicht möglich ist, hilft die ‚Paradoxiefreundlichkeit‘. Ein stabiles Wertegerüst und Persönlichkeiten mit menschlicher Größe sind dafür Voraussetzung. Ein Kennzahlen-Controlling kann dabei ein partielles Hilfsmittel, aber kaum ein hinreichendes Instrument sein, Klöster und Familienunternehmen zu führen und langfristig zu sichern.

5. Zusammenfassung

Auch wenn man auf den ersten Blick nicht glauben würde, dass Klöster und Familienunternehmen strukturell etwas gemeinsam haben, so konnte herausgearbeitet werden, dass bei diesen beiden Unternehmensarten am Ende sogar sehr ähnliche Strukturen und damit auch Herausforderungen bestehen, da beide aus unterschiedlichen und sich zum Teil auch widersprechenden Systemen bestehen. Da das Führen und die strategische Ausrichtung auf der Basis von klassischem Controlling, also auf der Basis von Kennziffern und Zahlen, in der Regel nur zu eindimensionalen und trivialen Lösungen des Richtig oder Falsch führen und im Entweder-oder-Denken gründen, eignet es sich wenig, um Herausforderungen, die in Paradoxien und in Komplexität ihren Ursprung haben, zu begegnen. Klöster und Familienunternehmen benötigen deshalb als komplexe Systeme zusätzliche Instrumente. Eines davon kann man mit ‚Paradoxiefreundlichkeit‘ beschreiben, auch wenn dieses von der Umwelt häufig nicht als professionelles Führungsinstrument wahrgenommen wird.

Literatur

[1] Bar-Yamm, Y. (1997). Dynamics of Complexity. Reading: Addison-Wesley.

[2] Binz Astrachan, C., & Pieper, T. M. (2021). Die professionelle Unternehmerfamilie. In EQUA-Stiftung (Hrsg.), Unternehmerfamilien. Eigentum verpflichtet (S. 101-121). Bonn: Unternehmer Medien.

[3] Bolsinger, E. (1998). Was ist Dezisionismus? Rekonstruktion eines autonomen Typs politischer Theorie. Politische Vierteljahresschrift, 471-502.

[4] Brodocz, A. (2015). Die politische Theorie des Dezisionismus: Carl Schmitt. In A. Brodocz & G. S. Schaal (Hrsg.), Politische Theorien der Gegenwart I (4. Aufl., S. 287-322). Opladen & Toronto: Barbara Budrich.

[5] Cohen, M. (2005). 99 moralische Zwickmühlen: eine unterhaltsame Einführung in die Philosophie des richtigen Handelns. München: Piper.

[6] Evers, A., & Nowotny, H. (1985). Über den Umgang mit Unsicherheit. In H.-W. Franz (Hrsg.), 22. Deutscher Soziologentag 1984 (S. 626-629). Opladen: Westdeutscher Verlag.

[7] Feldbauer-Durstmüller, B., & Neulinger, M. (2010). Stabilität über Jahrhunderte. Corporate Governance österreichischer Benediktinerklöster. In H. K. Prammer (Hrsg.), Corporate Sustainability. Der Beitrag von Unternehmen zu einer nachhaltigen Entwicklung in Wirtschaft und Gesellschaft (S. 219-244). Wiesbaden: Springer.

[8] Feldbauer-Durstmüller, B., & Niederwimmer, K. (2022). Controlling in Klöstern. In W. Becker & P. Ulrich (Hrsg.), Handbuch Controlling (2. Auflage, S. 555-575). Wiesbaden: Springer.

[9] Feldbauer-Durstmüller, B., Wimmer, B., & Duller, C. (2008). Controlling in österreichischen Familienunternehmen–dargestellt am Bundesland Oberösterreich. Zeitschrift für Planung & Unternehmenssteuerung, 18(4), 427-443.

[10] Feldbauer-Durstmüller, B., Wolf, T., & Neulinger, M. (2019). Unternehmen und Klöster. Wirtschaft und monastisches Leben im interdisziplinären Dialog. Wiesbaden: Springer.

[11] Feldbauer-Durstmüller, B., Duller, C., Mayr, S., Neubauer, H., & Ulrich, P. (2012). Controlling in mittelständischen Familienunternehmen–ein Vergleich von Deutschland und Österreich. Controlling & Management, 56(6), 408-413.

[12] Festinger, L. (2012). Theorie der Kognitiven Dissonanz. Bern: Huber Verlag, unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1978.[13] Füllsack, M. (2011). Gleichzeitige Ungleichzeitigkeiten. Eine Einführung in die Komplexitätsforschung. Wiesbaden: VS-Verlag.

[14] Greiffenhagen, M. (1999). Kulturen des Kompromisses. Opladen: Leske & Budrich.

[15] Hagenbüchle, R., & Geyer, P. (2002). Das Paradox. Eine Herausforderung des abendländischen Denkens (2. Auflage). Würzburg: Königshausen & Neumann.

[16] Hiebl, M., Feldbauer-Durstmüller, B., & Duller, C. (2013). Die Organisation des Controllings in österreichischen und bayerischen Familienunternehmen. Zeitschrift für KMU und Entrepreneurship, 61(1-2), 83-114.

[17] Kammerlander, N., Henning, J., Berlinger, S., & Schöber, T. (2021). Governance der Unternehmerfamilie. Zwischen Professionalität und Leidenschaft. In EQUA-Stiftung (Hrsg.), Unternehmerfamilien. Eigentum verpflichtet (S. 122-137). Bonn: Unternehmer Medien.

[18] Kannetzky, F. (2000). Paradoxes Denken. Paderborn: Mentis.[19] Ladyman, J., & Wiesner, K. (2020). What is a complex system?. Yale: Yale University Press.

[20] Lewin, R. (1993). Die Komplexitäts-Theorie. Hamburg: Hoffmann & Campe.

[21] Mainzer, K. (1999). Komplexe Systeme und Nichtlineare Dynamik in Natur und Gesellschaft. Wiesbaden: Springer.

[22] Margalit, A. (2011). Über Kompromisse – und faule Kompromisse. Berlin: Suhrkamp Verlag.[23] Maxeiner, S., & Rühle, H. (2014). Warum wir uns die Welt schönreden. Wie kognitive Dissonanz unser Leben bestimmt. In S. Maxeiner & H. Rühle (Hrsg.), Dr. Psych’s Psychopathologie, Klinische Psychologie und Psychotherapie. Zollikon: Jerry-Media-Verlag.

[24] Moog, P. (2021). Werte in Familienunternehmen. Mythos oder real existent? In EQUA-Stiftung (Hrsg.), Unternehmerfamilien. Eigentum verpflichtet (S. 166-187). Bonn: Unternehmer Medien.

[25] Niederwimmer, K. (2019). Implementierung eines Controlling-Systems im Kloster. In B. Feldbauer-Durstmüller, T. Wolf & M. Neulinger (Hrsg.), Unternehmen und Klöster. Wirtschaft und monastisches Leben im interdisziplinären Dialog (S. 53-82). Wiesbaden: Springer.

[26] Payer-Langthaler, S., & Feldbauer-Durstmüller, B. (2013). Performance Management im Kloster. Das Beispiel der Benediktiner in Österreich. In M. Gmür, R. Schauer & L. Theuvsen (Hrsg.), Performance Management in Nonprofit-Organisationen. Theoretische Grundlage, empirische Ergebnisse und Anwendungsbereiche (S. 98-108). Bern, Stuttgart, Wien: Haupt Verlag.

[27] Payer-Langthaler, S., Sandberger, S., & Feldbauer-Durstmüller, B. (2014). Controlling und Performance-Verständnis in der klösterlichen Führung. Controlling in Forschung und Praxis, 25, 179-200.

[28] Regula Benedicti (o. J.): http://benediktiner.benediktiner.de/index.php/regula-prolog.html. Zugegriffen: 14. November 2022.

[29] Rescher, N. (2001). Paradoxes. Their Roots, Range and Resolution. Chicago: Open Court.

[30] Rüsen, T. A. (2014). Typische Inhalte und Regelwerke in Familienverfassungen. [Unveröffentlichter Vortrag im Rahmen der 20. Trägersitzung des Wittener Instituts für Familienunternehmen 2014].

[31] Rüsen, T. A., & Heider, K. (2020). Einführung und Grundlagen. In T. A. Rüsen & K. Heider (Hrsg.), Aktive Eigentümerschaft in Familienunternehmen. Gesellschafterkompetenz in Unternehmerfamilien entwickeln und anwenden (S. 23-89). Berlin: Erich Schmidt Verlag.

[32] Sainsbury, R. M. (2001). Paradoxien. Stuttgart: Reclam.

[33] Schlippe, A. V. (2009). Zwischen Ökonomie und Psychologie: Konflikte in Familienunternehmen. Zeitschrift für Konfliktmanagement, 12(1), 17-21.

[34] Schlippe, A. V. (2020). Die Unternehmerfamilie verstehen. In T. A. Rüsen & K. Heider (Hrsg.), Aktive Eigentümerschaft in Familienunternehmen. Gesellschafterkompetenz in Unternehmerfamilien entwickeln und anwenden (S. 157-259). Berlin: Erich Schmidt Verlag.

[35] Schlippe, A.V., Groth, T., & Rüsen, T.A. (2017). Die beiden Seiten der Unternehmerfamilie. Familienstrategie über Generationen: Auf dem Weg zu einer Theorie der Unternehmerfamilie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

[36] Schlippe, A.V., Nischak, A., & El Hachimi, M. (2011). Familienunternehmen verstehen. In A. V. Schlippe, A. Nischak & M. El Hachimi (Hrsg.), Familienunternehmen verstehen. Gründer, Gesellschafter und Generationen (2. Auflage, S. 19-29). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

[37] Simon, F. B. (2002). Die Familie des Familienunternehmens: Ein System zwischen Gefühl und Geschäft. Heidelberg: Carl-Auer-Verlag.

[38] Simon, F. B. (2020). Einführung in die Theorie des Familienunternehmens (2. Auflage). Heidelberg: Carl-Auer-Verlag.

[39] Waldrop, M. M. (1996). Inseln im Chaos. Die Erforschung komplexer Systeme. Hamburg: Rowohlt Verlag.

[40] Weggenmann, H. (o. J.). Konzernstrukturen – Normalität in Familienunternehmen. In https://www.roedl.de/themen/entrepreneur/konzernstruktur-mittelstand/familienunternehmen-konzernstrukturen-normalitaet. Zugegriffen: 14. November 2022.

[41] Wimmer, R., Groth., T., & Simon F. B. (2022). Erfolgsmuster von Mehrgenerationen-Familienunternehmen. Witten: WIFU-Stiftung (Praxisleitfaden).

[42] Zanetti, V. (2022). Spielarten des Kompromisses. Berlin: Suhrkamp Verlag.

Haftlmeier-Seiffert, Rena
2019

Nachhaltigkeit in Familienunternehmen und Klosterökonomien

Ein Vergleich mithilfe des Getriebemodells der Nachhaltigkeit

aus
in: Feldbauer-Durstmülller, Birgit/ Wolf, Tanja/ Neulinger, Maximilian (Hrsg.), Unternehmen und Klöster, S. 133-156
Bibliografie
SpringerGabler
ISBN 978-3-658-26693-6

1. Einführung ins Thema

Vor einiger Zeit kam meine Tochter von einer kleinen Shoppingtour aus der Stadt nach Hause. Sehr stolz zeigte sie mir ihre neu erstandene Jeans und erklärte: erstens passe die Hose wie angegossen, zweitens habe diese nur € 30 gekostet und drittens wolle sie sowieso den ganzen Markenfetischismus nicht mehr mitmachen und setze damit ein Zeichen.
Als ich den Preis hörte, blitzten in meinem Hinterkopf sofort Bilder aus Bangladesch von ausgebeuteten Näherinnen auf, die völlig erschöpft auf der harten Bank ihres Arbeitsplatzes schlafen, sich kaum ein anständiges Essen von ihrem Lohn leisten können und überdies dann möglicherweise auch noch in so baufälligen mehrstöckigen Hallen arbeiten, dass diese unter dem Gewicht der Nähmaschinen und hineingepferchten Näherinnen zusammenklappen und alle unter sich begraben. Ich nahm meine Tochter ins Gebet und so vereinbarten wir, das nächste Mal eine fair hergestellte Jeans zu kaufen.
Einige Monate später gingen wir dann in einen Fachladen, waren überwältigt von der schieren Auswahl, nervten alle Verkäuferinnen, die uns keine Auskunft über die Herstellbedingungen und verwendeten Farben und Materialien geben konnten, konsultierten die vielfältigen Auskünfte im Internet und wählten schließlich eine teure Hose aus, von der wir annehmen mussten, dass diese unter fairen Bedingungen und mit umweltfreundlichen Materialien hergestellt wurde.
Doch unser gutes Gewissen bekam schon nach der dritten Wäsche dieser Jeans einen Dämpfer. Denn das Gewebe löste sich im Schritt auf und die Hose fiel buchstäblich auseinander. Ihre billige Konkurrentin hält hingegen auch nach sehr vielen Wäschen nach wie vor die Form und wärmt die Beine meiner Tochter noch immer.
Schon an diesem kleinen Beispiel wird offensichtlich, dass der Versuch nachhaltigen Verhaltens nicht selten in einem Dilemma endet. Denn es ist nicht zu klären, inwiefern Ressourcenverschwendung und unfaire Arbeitsbedingungen gegeneinander aufzuwiegen sind.

Auch beim Kauf von Äpfeln – ein Lebensmittel, das fast jeder von uns beinahe täglich das ganze Jahr über isst – stecken wir häufig in einem Dilemma.
Mittlerweise ist weithin bekannt, dass viele Bio-Äpfel aufgrund der hohen Nachfrage um die halbe Welt geflogen sind, bevor sie in unserer Obstschale landen. Dass dies wenig nachhaltig ist, hat allmählich Einzug in unser Bewusstsein gefunden. Doch die Sache ist wesentlich komplexer. Und dabei geht es nicht um Leute, die mit ihrem großen SUV aufs Land fahren, um beim Obstbauern ein paar Bio-Äpfel zu erstehen. Oder um solche, die israelisches Bio-Obst kaufen und damit maßgeblich dazu beitragen, dass in diesem Wüstenland der Wassermangel noch größer wird und der Spiegel von See Genezareth und totem Meer dramatisch sinken(1). Nein, es geht um die Konsumenten, die bewusst auf dem Wochenmarkt regionale Äpfel einkaufen.
Damit die regionalen Äpfel unserer Vorstellung von einem schönen Apfel entsprechen, sind es oft süße, rotbackige Sorten, die nicht unbedingt zur Lagerung geeignet sind. Damit diese aber nicht schrumpelig oder gar faulig und vom Kunden auch noch nach Weihnachten gern gekauft werden, hält man sie mit großem Aufwand frisch und knackig. Das Obst wird gekühlt, bedampft, begast etc. Und so wurde errechnet, dass es ab März/April nachhaltiger sein kann, einen Bio-Apfel aus Neuseeland zu essen anstelle eines Bodenseeapfels(2).

Das Dilemma der Nachhaltigkeit ergibt sich hier daraus, dass unsere Realität so komplex und daher kaum mehr durchschaubar ist. Vernünftiges und nachhaltiges Handeln eines Endkonsumenten oder eines Unternehmens, sei es nun eines Familienunternehmens oder einer Klosterwirtschaft, wird dadurch fast unmöglich.

Durch die Einführung des Getriebemodells der Nachhaltigkeit kann diese Komplexität veranschaulicht werden, was zur Bewusstheit beiträgt, die wiederum ein angemessenes Handeln ermöglicht.
Dies soll im Folgenden am Beispiel des Wirtschaftens von Familienunternehmen und Klosterökonomien vorgeführt werden.
Grundlage für die Entwicklung des Getriebemodells der Nachhaltigkeit ist zunächst die Betrachtung des Begriffs Nachhaltigkeit, dann ein Definitionsversuch sowie ein Überblick über die bereits vorhandenen Nachhaltigkeitsmodelle.


2. Versuch einer Annäherung an den Begriff Nachhaltigkeit
Was bedeutet eigentlich Nachhaltigkeit?
Bei näherer Betrachtung stellt man fest, dass der Begrifft recht indifferent und uneindeutig verwendet wird(3).

Um den Begriff besser erfassen zu können, wollen wir uns deshalb kurz dem Wort selbst zuwenden:

Nachhaltigkeit leitet sich von dem Verb nachhalten ab.
Dieses besteht aus einer Vorsilbe und einem Hauptverb.
Die Bedeutung der Vorsilbe nach ist leicht zu erfassen. Nach kann räumlich und zeitlich verwendet werden und stellt das Gegenteil von vor dar. So kann man vor einer Gruppe oder nach einer Gruppe gehen (räumlich). Oder ein Ereignis kann vor Weihnachten oder nach Weihnachten stattfinden (zeitlich).

Ganz anders verhält es sich beim Verb halten. Dessen Bedeutung ist sehr schillernd(4). In folgendem Kontext „Würden Sie bitte meine Tasche halten?“ bedeutet halten: tragen, greifen, fassen. Bei: „Alle Busse halten hier!“, versteht man unter halten jedoch: bremsen, abstoppen, zum Stillstand bringen, beenden, parken etc. „Die Säulen halten dieses Haus“ meint hingegen: stützen, sichern. Halten bedeuten wiederum: bewahren, dauern, bleiben, wenn es heißt: „Wir halten uns an die (alten) Regeln“. Man kann aber auch „Aktien halten“, „sich am Geländer halten“ oder „Versprechen halten“. Auch „halten die Bilder an der Wand“, wenn sie gut befestigt sind. Das Verb halten hat also viele Bedeutungen, die sich jeweils aus dem Kontext erschließen. Zusätzlich erfährt das an sich so einfache Verb noch mehr Bedeutungen durch eine schier unendliche Anzahl an Vorsilben, mit dem es verbunden werden kann: innehalten, erhalten, einhalten, anhalten, enthalten, hinhalten, aufhalten, herhalten, maßhalten, zuhalten, abhalten, ranhalten, behalten, aushalten, durchhalten, mithalten, verhalten, standhalten, vorhalten, unterhalten, festhalten und schließlich auch nachhalten.

Das Wort hat also eine große Bedeutungsvielfalt. Die jeweils gemeinte Bedeutung ergibt sich zwar aus dem Kontext. Trotz alledem sind aber alle anderen Bedeutungen ebenfalls immer latent vorhanden und schwingen quasi unter der Oberfläche mit.

Damit zeigt sich allein schon an der Begrifflichkeit, wie schwierig eine Definition von Nachhaltigkeit ist, da die Bedeutung des Wortes changiert.

Nachhaltigkeit: Definitionsversuche
Beim Begriff Nachhaltigkeit steht selbstverständlich die Bedeutung bewahren, dauern im Vordergrund. Aber auch anhalten, schwingt mit, denn um nachhaltig zu sein, muss der Ressourcenverbrauch gebremst werden. Zudem ist stützensichern beinhaltet, weil die Zukunft durch nachhaltiges Verhalten gesichert wird.

Der Begriff ist in diesem Sinne erstmals in der frühen Neuzeit nachweisbar.

Erstes bekanntes Konzept der Nachhaltigkeit im 17. Jahrhundert
In Europa herrschte zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert (insbesondere im 17. und 18. Jahrhundert) die sogenannte Kleine Eiszeit. Die Winter waren sehr kalt, die Flüsse zugefroren etc. Um nicht zu erfrieren, holzte die Bevölkerung die Wälder ab. Gegen diesen Raubbau wandte sich erstmals Hans Carl von Carlowitz (1645-1714), indem er mahnte, dass nur so viele Bäume geschlagen werden dürften, wie der Wald auf natürliche Weise regenerieren konnte(5). Sein Ziel war, den Wald in seinen wesentlichen Eigenschaften langfristig zu erhalten. Er erkannte damit das Prinzip der Nachhaltigkeit und legte den Grundstein für nachhaltiges Denken und Handeln, wenngleich er sich damals ausschließlich auf die Waldwirtschaft bezog.

Frühe moderne Definition nach dem Brundtland-Bericht der Vereinten Nationen (1987).
„Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs“(6).
Die Vereinten Nationen haben damit vor ca. 30 Jahren den Schwerpunkt auf den Ausgleich von Gegenwart und Zukunft gelegt.

Seither sind viele Definitionsversuche vorgenommen worden. Je nach Perspektive fallen diese aber unterschiedlich aus.

Ökonomische Perspektive
Im Zentrum steht hier die Sicherung des Fortbestands einer wirtschaftlichen Einheit(7). Dabei sollen die ökonomischen Gewinne sozial- und umweltverträglich erwirtschaftet werden. Ein nachträgliches ‚green washing‘ wird nicht als nachhaltig anerkannt.

Ökologische Perspektive
Hier steht der Schutz der Natur im Vordergrund(8). So soll das Niveau der Abbaurate erneuerbarer Ressourcen ihre Regenerationsrate nicht übersteigen, die Emissionen dürfen nicht höher liegen als die Assimilationskapazität und der Verbrauch nicht regenerierbarer Ressourcen muss durch eine entsprechende Erhöhung des Bestandes an regenerierbaren Ressourcen kompensiert werden.

Inhaltlich gefüllte Handlungsmaxime
Obwohl es bis heute keine einheitliche Definition von Nachhaltigkeit gibt, ist sie in Wissenschaft und Politik genauso wie in der Unternehmenspraxis ein häufig verwendeter Begriff. Nachhaltigkeit stellt hier meist weniger ein Konzept als vielmehr eine normative Handlungsmaxime dar, die in der Hauptsache auf Selbstbeschränkung und Reduktion beruht. Diese Handlungsmaxime beinhaltet vor allem drei Facetten:
Erstens darf nicht mehr verbraucht werden, als jeweils nachwachsen, sich regenerieren, künftig wieder bereitgestellt werden kann.
Zweitens dürfen die ökologischen, ökonomischen und sozialen Ziele nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern sind gleichrangig zu balancieren.
Und drittens soll dabei eine globale Verteilungsgerechtigkeit genauso wie eine epochenübergreifende Generationengerechtigkeit herrschen.

Versuch einer Definition
Ziel von nachhaltigem Handeln ist das würdevolle Leben aller heutigen und zukünftigen Menschen. Dies ist nur durch den sorgsamen Umgang mit der natürlichen, wirtschaftlichen und sozialen Umwelt möglich.
Der Begriff Nachhaltigkeit beschreibt eine gesamtheitliche und daher interdisziplinäre, interglobale und intergenerationale Form des ökologischen und ökonomischen Handelns, das vorausschauend und vorsorgend allen gegenwärtigen und zukünftigen Menschen vergleichbare oder bessere Lebensbedingungen sichern soll, indem die dazu notwendigen Ressourcen durch Selbstbeschränkung und Reduktion sorgsam verwendet und entsprechend geschützt werden.


3. Nachhaltigkeitsmodelle
Um dieses Konzept bzw. die Handlungsmaximen anschaulich und greifbar zu machen, wurden verschiedenste Nachhaltigkeitsmodelle entwickelt.
Zunächst sollen hier die bekanntesten und wichtigsten Nachhaltigkeitsmodelle kurz vorgestellt und diskutiert werden, bevor ein eigenes Modell entwickelt wird.

Drei-Säulen-Modell (nach Bernd Heins(9))



Kritiker verweisen darauf, dass dieses Modell eine ‚Gleichwertigkeit‘ von Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft impliziere. Da es sich dabei aber um drei völlig unterschiedliche Systeme handelt mit sehr anderen Herausforderungen und Aufgaben, kann man sie weder vergleichen noch bei Interessenskonflikten gegeneinander aufwiegen.

Modifiziertes Drei-Säulen-Modell (nach Volker Stahlmann(10))



Nach diesem Modell steht Nachhaltigkeit auf dem Fundament des richtigen Umgangs mit den natürlichen Ressourcen. Diese bilden die Basis für alle Handlungen. Dabei wäre nachzuweisen, inwiefern und inwieweit die Ressourcen(schonung) und das(der) Klima(schutz) tatsächlich die Basis für Nachhaltigkeit im kulturellen, sozialen und ökonomischen Bereich darstellen oder inwieweit sie den Blick nicht etwas verengen bzw. vom Eigentlichen ablenken.

Drei-Kreise-Modell (nach Helge Majer(11))



Dieses Modell trägt der Überlegung Rechnung, dass echte Nachhaltigkeit nur dann entstehen kann, wenn alle drei Aspekte (Ökonomie, Ökologie und Soziale Gerechtigkeit) gleichzeitig berücksichtigt werden. Nur in der Schnittmenge liegt nachhaltiges Handeln.

TBL Triple-Bottom-Line-Konzept (nach John Elkington(12))
Von diesem Modell wird die jedem Betriebswirt und Unternehmer bekannte Gewinn- und Verlustrechnung (G&V) aufgegriffen und diese auch auf ökologische und soziale Aspekte übertragen.
Ziel ist, dass jedes Unternehmen eine dreifache G&V aufstellen soll, um von der Gesellschaft (auch von Banken und anderen Stakeholdern) entsprechend bewertet zu werden.
Dieses Modell wird in der Praxis durchaus angewendet und so gibt es bereits einige Unternehmen, die in ihrem Jahresbericht entsprechend von TBL eine dreifache G&V veröffentlichen, wenngleich es natürlich unscharf und interpretierbar, d.h. von der Perspektive des beurteilen-den Menschen abhängig bleibt, wie man Respektlosigkeit, faire Arbeitsbedingungen, Umwelt-verschmutzung etc. bewertet und verrechnet.



C2C Cradle-to-Cradle-Prinzip (nach Michael Braungart/ William McDonough(13))
Dieses Modell konzentriert sich auf Ressourcenschonung. Soziale und ökonomische Aspekte sind bei ihm nachrangig.
Grundgedanke ist folgender: Wir leben heute (und schon immer) nach dem Prinzip Von-der-Wiege-bis-zur-Bahre. Dies ist naheliegend, da der Mensch seine eigene Existenz so erlebt und dieses Prinzip deshalb auf seine gesamte Umwelt überträgt. Das C2C-Prinzip lautet jedoch: Von-der-Wiege-wieder-zur-Wiege. Bei ihm geht man davon aus, dass alle Materialien durch echte Kreislaufwirtschaft immer wieder verwendet und niemals als Müll oder Schrott entsorgt werden. Dabei gilt es, ein echtes Re-cycling zu installieren und kein Down-cycling mehr zu betreiben. Wenn wir heute einen Hochglanzprospekt zum Altpapier geben, dann wird er nicht tatsächlich re-cycled und wieder zu einem Hochglanzprospekt, sondern er wird zu Klopapier downgecycled, das dann zu guter Letzt in der Vernichtung landet. Echtes Re-cycling bedeutet nach dem C2C-Prinzip, dass das Material ohne Qualitätsverlust immer wieder für dasselbe Produkt verwendet wird. Voraussetzung dafür sind aber reine Materialien (z.B. reine Kunststoffe, pures Holz, reine Wolle) und keine Mischmaterialien (z.B. textile Mischgewebe) bzw. Verbundstoffe (z.B. bei Milchtüten, die aus kunststofflaminiertem Karton aus Pappe, Polyethylen, Aluminium oder EVOH bestehen). Unvermeidliche, gefährliche Giftstoffe, die wir in unserer heutigen Welt durchaus benötigen (z.B. Quecksilber in Handys) gelangen beim C2C-Prinzip nicht in die Umwelt, sondern werden in reiner Form in geschlossenen industriellen Kreisläufen immer wieder verwendet.



Faktor-5-Konzept (nach Ernst Ulrich von Weizsäcker(14))
Dieses Nachhaltigkeitskonzept zeigt, dass ein „ressourcenleichtes“ Wirtschaften möglich ist und rechnet vor, dass dieselben Produkte und Dienstleistungen bei entsprechendem Willen mit nur 20% der heute dafür benötigten Ressourcen und Rohstoffe hergestellt bzw. angeboten werden könnten.


Nach dem Faktor-10-Konzept (nach Friedrich Schmidt-Bleek(15)) genügen sogar 10% der heute benötigten Ressourcen.

Diskussion der Nachhaltigkeitsmodelle
Die meisten Nachhaltigkeitsmodelle und -konzepte stellen, wie gezeigt, die Reduktion des Rohstoff- und Ressourcenverbrauchs und damit den Schutz der Erde in den Mittelpunkt.
Dies ist zwar keineswegs falsch, jedoch meines Erachtens etwas zu kurz gedacht. Eine solche Betrachtungsweise blendet nämlich aus, dass die Frage nach Nachhaltigkeit immer aus der Perspektive des Menschen gestellt wird. Somit sollte bei allen Nachhaltigkeitsüberlegungen nicht der Schutz unseres Planeten im Zentrum stehen. Dieser ist zwar durchaus Bedingung, aber nicht Ziel. Denn gleichgültig, was wir mit der Erde anstellen und wie wir sie ausbeuten, verseuchen und knechten, sie wird weiterbestehen – dann aber allerdings wahrscheinlich ohne uns Menschen(16) . Wenn es aber um das Überleben der einzelnen Menschen und der gesamten Menschheit geht, dann gilt es, alle Nachhaltigkeitsüberlegungen konsequenterweise auch auf diesen zurück zu beziehen. Deshalb sollte im Mittelpunkt jeglicher Nachhaltigkeitsüberlegung der Mensch stehen. Und dabei geht es nicht darum, dass eine Säugetierart mit aufrechtem Gang überlebt, sondern der Mensch als Mensch mit all seinen typisch menschlichen und kulturellen und ihn gerade vom Tier unterscheidenden Eigenschaften und Bedürfnissen. Im Zentrum steht also der Mensch, der in Würde lebt(17).

Getriebemodell (Rena Haftlmeier-Seiffert)
Gemäß der oben eingeführten Nachhaltigkeits-Definition sind folgende Faktoren für ein nachhaltiges Handeln wichtig:

Im Zentrum steht die Sicherung der allgültigen (für alle, immer, überall) Menschenwürde.

Damit Menschen aber in Würde leben können, müssen ihre Bedürfnisse befriedigt werden. Dies ist nur durch die Produktion von Gütern und entsprechenden Dienstleistungen möglich. Und dabei ist nicht nur an die fundamentalen Bedürfnisse nach gesunder Nahrung, angemessener Kleidung und Wohnung zu denken, sondern auch an die Bedürfnisse nach Kultur, Musik, Tanz, Literatur, Mobilität und vieles mehr, was uns Menschen erst zum Menschen macht.
Darüber hinaus ist ein würdevolles Leben selbstverständlich auch nur möglich, wenn die Natur und Umwelt intakt ist. Ist die Luft so verschmutzt, dass ein Atmen nur noch schwer möglich ist, sind die Flüsse verseucht, die Meere verdreckt, ist ein Leben und schon gar ein menschenwürdiges Leben nicht möglich.
Wichtig ist dabei, dass es eine selbstverständliche Maxime sein muss, dass ein solches Leben in Würde allen Menschen gleichermaßen zusteht. Dies ist nur durch eine globale und generationsübergreifende soziale Fairness möglich. Es nützt selbstverständlich nichts, wenn eine Schwedin auf Kosten eines Pakistanis oder wenn die Großeltern auf Kosten ihrer Enkel in Würde leben. Denn die Würde des Menschen gilt für alle und jeden.



Das Getriebemodell zeigt, wie all diese Aspekte ineinandergreifen müssen, um sich drehen zu können.

Dabei ist das Modell noch weiter zu denken, denn die drei Hauptzahnräder, welche die drei Hauptaspekte der Nachhaltigkeit symbolisieren, werden natürlich von verschiedenen kleineren Zahnrädern angetrieben, die wiederum von noch kleineren in Gang gesetzt werden.



Blockiert nur ein Zahnrad, dann bleibt das gesamte Getriebe und damit auch die zentrale Welle stehen – die Sicherung der allgültigen Menschenwürde ist dann nicht gewährleistet.


4. Nachhaltigkeit in der Realität. Anwendung des Getriebemodells
Interessenskonflikte im Getriebemodell
Es bestehen in Bezug auf Nachhaltigkeit häufig Konflikte, bei der jede Partei vollkommen sinnvolle und vor allem auch berechtigte Interessen besitzt, die sich allerdings diametral widersprechen. Solche Interessenskonflikte gelten als nicht lösbar, müssen aber trotzdem balanciert werden, um wirklich nachhaltig zu handeln.

Dies kann wieder gut am Beispiel des Holzraubbaus in der Kleinen Eiszeit illustriert werden: Natürlich waren die Holzbesitzer daran interessiert, nicht mehr Holz zu schlagen, als nachwachsen konnte, um den Wald auch noch für die nächsten Generationen und auf Dauer zu erhalten. Ein völlig berechtigter und sinnvoller Anspruch, der darin gipfelte, dass verzweifelte Menschen mit polizeilicher Gewalt vom Holzschlagen in den Wäldern abgehalten wurden. Andererseits war aber das Brennholz für die Bevölkerung im Winter absolut überlebensnotwendig.
Dieser Interessenskonflikt war nicht trivial, denn er mündete in einem unausweichlichen existenziellen Dilemma: Wenn bereits die Großeltern erfroren sind, werden überhaupt keine Enkel geboren, andererseits werden die Enkel erfrieren, wenn die Großeltern zuvor den gesamten Wald abgeholzt haben. Kurz: die Sicherung des eigenen Überlebens durch kurzfristigen Raubbau steht gegen den langfristigen Ressourcenerhalt, der für das Überleben der Nachfahren notwendig ist. Nachhaltiges Handeln bedeutet deshalb den Ausgleich und die Balance von und bei Interessenkonflikten.

Familienunternehmen im Getriebemodell



Verortet man Familienunternehmen im Getriebemodell der Nachhaltigkeit, so wird anschaulich, dass die (Mitglieder der) Unternehmerfamilien selbstverständlich zum einen die maßgeblichen Treiber für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen sind. Dabei sind sie allerdings auch wiederum von ihren Stakeholdern angetrieben(18).

Die Unternehmerfamilien sind es aber auch, die sich um die soziale Fairness in ihren Unternehmen und in ihrer Region bzw. an ihren Standorten kümmern genauso wie um den Natur- und Ressourcenschutz(19), wenngleich sie dafür natürlich nicht allein verantwortlich sind.
Ihre Zahnräder treiben (gemeinsam mit anderen) die Hauptwelle an und sichern damit die all-gültige Menschenwürde, sofern sie gleichmäßig ineinandergreifen, und ihre Geschwindigkeit aufeinander abgestimmt ist.
Vernachlässigen oder hintertreiben die Unternehmerfamilien gar einen der Aspekte, ist ihr Wirtschaften nicht als nachhaltig zu bezeichnen. Dann handeln sie wider die allgültige Menschenwürde.
Im Getriebemodell würde dies bedeuten, dass eines der Zahnräder blockiert wird und deshalb das gesamt Nachhaltigkeitsgetriebe stillsteht.

Klosterwirtschaft im Getriebemodell



Ersetzt man im Getriebemodell die Unternehmerfamilien durch Ordensgemeinschaften, so wird schnell klar, dass nun nicht mehr die Würde des Menschen im Zentrum zu stehen hat, sondern das Gotteslob bzw. der Gottesdienst. Nicht der Mensch ist Ausgangspunkt und Ziel, sondern Gott. Er ist das Alpha und Omega (Grund und Ziel) für den Schutz der Schöpfung (Naturschutz und Ressourcenerhalt)(20) , für die Nächstenliebe (soziale Fairness)(21) und für die Überlebenssicherung (durch die Produktion von Nahrung, Kleidung, Wohnung, Wissen, Kultur etc.) der Ordensmitglieder(22) bzw. auch der Menschheit selbst, denn diese ist unabdingbar für das Gotteslob, da kein anderes Wesen der Schöpfung dazu befähigt ist.

Das Modell macht dabei deutlich, dass wir es hier mit einer autopoietischen Struktur zu tun haben. Denn das Gotteslob/ der Gottesdienst ist zwar einerseits der Antrieb zur Nächstenliebe, Antrieb zum Schutz der Schöpfung sowie Antrieb zur Produktion von Lebensnotwendigkeiten, diese wirken allerdings andererseits auch wieder auf das Gotteslob zurück bzw. stellen dieses wiederum selbst dar(23).
Genauso verhält es sich bei den Ordensgemeinschaften, deren Sinn und Ziel ein Leben im Dienste und zum Lobe Gottes ist; sie loben Gott über ihren Dienst am Nächsten oder an der Schöpfung oder in der Produktion von Nahrung etc. bzw. in der Wissenschaft oder über die Musik etc. Auch hier gibt es wieder den autopoietischen Rückbezug, so dass nicht auszumachen ist, ob das Gotteslob/ der Gottesdienst die Existenz der Ordensgemeinschaften etc. bedingt bzw. umgekehrt.
Im Getriebemodell ist also nicht auszumachen, welches Zahnrad passiv angetrieben wird und welches den Antrieb selbst darstellt.

Wichtig ist allerdings weniger welches Zahnrad den Antrieb darstellt, als vielmehr, dass das gesamte Getriebe nur dann funktioniert, wenn alle Zahnräder mit derselben Geschwindigkeit ineinandergreifen. Blockiert ein Zahnrad, steht das gesamte Getriebe still.
Ist also beispielsweise eine Ordensgemeinschaft müßig oder gar zänkisch, wird sie keinen Dienst am Nächsten verrichten können oder vernachlässigt den Dienst an der Schöpfung, dann leidet darunter das Gotteslob bzw. Gott wird nicht mehr angemessen gedient.

So veranschaulicht das Getriebemodell der Nachhaltigkeit die gegenseitigen Abhängigkeiten und die Komplexität, der die jeweiligen Klosterökonomien ausgesetzt sind, wenn sie nachhaltig wirtschaften. Nur die wertungsfreie Berücksichtigung aller Aspekte gleichermaßen gewährleistet ein nachhaltiges Wirtschaften, das wiederum in letzter Konsequenz dem Lobe Gottes dient.


5. Nachhaltigkeit als konstitutives Element
Nachhaltigkeit ist bei Familienunternehmen konstitutiv
(Börsennotierte) Unternehmen in Streubesitz denken von Quartalsbilanz zu Quartalsbilanz und deren Geschäftsführer meist nur bis zum Ende ihres Drei- bis Fünfjahresvertrags. Mit einer Einstellung: ‚nach diesem Quartal/ dem Ende meines Anstellungsvertrages die Sintflut‘, ist dann aber der Verschwendung (das Gegenteil von Ressourcenschonung), der Mitarbeiterausbeutung (das Gegenteil von sozialer Fairness) etc. Tür und Tor geöffnet. Bei einem solchem Wirtschaften steht dann nicht die Würde aller Menschen, sondern die Profitmaximierung im Mittelpunkt(24). Solches Wirtschaften ist nicht nachhaltig.

Familienunternehmen denken hingegen transgenerational und wollen das Unternehmen langfristig in der Familie halten(25). Deshalb beziehen sie in ihrem gegenwärtigen Wirtschaften, also bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen, immer die Zukunft mit ein.
Durch die weit verbreitete Treuhändermentalität(26), die in der Überzeugung gipfelt, dass nur die Gewinne genutzt werden sollen und die Substanz nicht angegriffen werden darf, handeln Familienunternehmen ressourcenschonend.
Außerdem bestehen in der Regel in Familienunternehmen lange und persönliche Beziehungen zwischen der Unternehmerfamilie und den Mitarbeitern, da die Mitarbeiter als Teil der Familie angesehen werden. Aus diesem Grunde sind Familienunternehmen auch dafür bekannt, soziale Verantwortung zu übernehmen und fair gegenüber den Mitarbeitern(27) zu sein.
Familienunternehmen ohne ein Denken über den Tag hinaus, ohne Ressourcenschonung und Mitarbeiterbindung wären keine Familienunternehmen. Familienunternehmen sind dann Familienunternehmen, wenn sie sich als ‚enkelfähig‘(28) erweisen.
Es gehört also zum Selbstbild, so zu wirtschaften, dass das Unternehmen an sich und deshalb auch die Lebensumstände etc. auf Dauer bewahrt bleiben. Nachhaltigkeit ist damit konstitutiv für Familienunternehmen.
Wenn diese Aspekte im Zentrum des (unternehmerischen) Wirtschaftens stehen, setzen die Unternehmen gemäß unserem Getriebemodell das Nachhaltigkeitsgetriebe in Gang, bei dem die Sicherung der allgültigen Würde des Menschen im Mittelpunkt steht.

Nachhaltigkeit ist bei Klosterökonomien konstitutiv
Der christliche Glaube beruht auf der Vorstellung von der Unendlichkeit(29) und Ewigkeit(30) Gottes, Gott stellt das Alpha und Omega(31) ohne Endlichkeit dar.
Auch wenn spätestens seit Augustinus immer wieder die Endlichkeit der Schöpfung diskutiert wird(32), tut diese Diskussion der Tatsache keinen Abbruch, dass sich das Lob Gottes immer auf den unendlichen Gott selbst bezieht, auch wenn es über das Lob an einer möglicherweise endlichen Schöpfung(33) geschieht.
Dem Unendlichkeitsgedanken ist aber die Nachhaltigkeit immanent, denn Unendlichkeit ist per se auf Dauer ausgerichtet.
Auch die Aufgaben der Ordensgemeinschaften, nämlich der Dienst am Nächsten(34) und an der Schöpfung(35) , sind zentrale Aspekte der Nachhaltigkeit, wenngleich diese in einer säkularisierten Welt als soziale Fairness und als Ressourcenerhalt und Naturschutz bezeichnet werden.
Da Ordensgemeinschaften die Klosterökonomie als einen Aspekt ihres Dienstes an Gott begreifen(36), dieser aber selbst wiederum auf die Unendlichkeit ausgerichtet ist, kann ihr ökonomisches Handeln nicht kurzfristig ausgelegt sein. Es muss nachhaltig sein, sonst widerspricht es dem Grund und Ziel ihres Tuns.
Damit ist nachhaltiges Wirtschaften in der Klosterökonomie konstitutiv.

Wenn diese Aspekte im Zentrum der Klosterwirtschaft stehen, setzen die Ordensgemeinschaften gemäß unserem Getriebemodell das Nachhaltigkeitsgetriebe in Gang, bei dem das Gotteslob, der Gottesdienst bzw. die Gottesliebe und die christlichen Werte im Allgemeinen im Mittelpunkt stehen.


6. Zusammenfassung
Das Getriebemodell macht klar, dass nachhaltiges Wirtschaften nur dann möglich ist, wenn es nicht um seiner selbst willen betrieben wird, sondern wenn es einem höheren Ziel dient.
Es konnte gezeigt werden, dass gerade in Familienunternehmen und Klosterwirtschaften dies par excellence gegeben ist. Denn bei ihnen ist nachhaltiges Wirtschaften konstitutiv.
Wichtig ist dabei, dass alle Aspekte der Nachhaltigkeit gleichermaßen berücksichtigt (und beispielsweise nicht nur der Schutz der Erde) und nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen.
Dabei darf kein Interessenskonflikt so stark werden, dass eines der Zahnräder blockiert. Keine der Interessen darf die anderen dominieren. Es muss gewährleistet sein, dass sich immer alle Räder in gleicher Geschwindigkeit drehen. Denn auch wenn ein Zahnrad schneller läuft als ein anderes, funktioniert das Nachhaltigkeitsgetriebe nicht. Bei Interessenkonflikten muss deshalb möglicherweise die Gesamtgeschwindigkeit gedrosselt werden, um das Getriebe am Laufen zu halten und die allgültige Würde des Menschen bzw. darüber hinaus das Gotteslob zu sichern. Das Gegenteil wäre ein zu schnelles Drehen eines Rades (z.B. die Sicherung der Bedürfnisbefriedigung durch eine überhitzte Wirtschaft) und damit in der Konsequenz der Bruch von langsamer laufenden Rädern und damit der Stillstand des Gesamtgetriebes.


________________________________________
(1) Totes Meer in Gefahr: Der Salzsee braucht dringend Wasser, in: SZ, 30.1.2017, [totes-meer].
(2) Alexander Dallmus, Bodensee- und Neuseelandapfel, in: Bayern 1 – Umweltkommissar, 25.2.2013 [apfel-regional-neuseeland].
(3) Grober, 2013.
(4) [duden/halten].
(5) [Sylvicultura Oeconomica, 1713]; Nachdruck: Carlowitz 1713, 2013.
(6) [un-documents].
(7) Schaltegger, 2007.
(8) Begon/Howarth/Townsend, ³2017.
(9) Bernd Heins reklamiert dieses Modell zwar für sich, jedoch ist nicht zweifelsfrei erwiesen, ob es einen einzelnen Urheber dafür gibt, oder ob das Modell ‚gewachsen‘ ist (Kopfmüller, 2001, S. 47).
(10) Stahlmann, 2008.
(11)

Haftlmeier-Seiffert, Rena
2007

Eigenkapitalpartnerschaft in Familienunternehmen

Ein Instrument zur Lösung von Konflikten im Gesellschafterkreis

aus
EQUA-Schriftenreihe Heft 3/2007
EQUA Publikation
Eigenverlag
ISBN 978-3-939761-02-0
Haftlmeier-Seiffert, Rena

Beratungskompetenz

Nötige Zusatzqualifikationen für die Beratung von Familienunternehmen

aus
in: supervision 3.2008, S. 31-34
Bibliografie
Haftlmeier-Seiffert, Rena
Cravotta, Sven

Das Chamäleon-Modell als Erklärungsmuster für die Organisationsstrukturen von Unternehmerfamilien

aus
in: ZfKE 67. Jg 1/2019, S. 1-34
Bibliografie
ISSN 1860-4633
Haftlmeier-Seiffert, Rena
2018

Nachhaltigkeit in Familienunternehmen

aus
CSR Corporate Social Resposibility
Nachhaltigkeit
EQUA-Schriftenreihe, Heft 21/2018
EQUA Publikation
UnternehmerMedien
ISBN 978-3-937960-36-4
Werteorientierung
Haftlmeier-Seiffert, Rena

Familienunternehmen

Eine noch immer unterschätzte Unternehmensform

aus
in: Liberale Perspektiven 2/2020, S. 15-17
Bibliografie
Haftlmeier-Seiffert, Rena
2014

Faktoren einer erfolgreichen Nachfolge

Nachfolgerkompetenz, Vorgängerkompetenz und Gesellschafterkompetenz

aus
in: Kolbeck, Christoph/ Rabbe, Stephanie/ Haas, Catharina (Hrsg.), Einflussfaktoren auf die Nachfolge in Familienunternehmen, S. 47-52
Bibliografie
UnternehmerMedien
ISBN 978-3-937960-24-1
Haftlmeier-Seiffert, Rena
2012

Fred und die Firma

Kinderbuch

aus
Erziehung in Unternehmerfamilien
Sozialistion in Unternehmerfamilien
Unternehmerfamilie
Kinder in Unternehmerfamilien
EQUA Publikation
UnternehmerMedien
ISBN 978-3-937960-15-9
Familiendynamik
Haftlmeier-Seiffert, Rena
2014

EQUA-Fibel Familienunternehmen

Fachbegriffe und Fallbeispiele. Glossar für Gesellschafter

aus
Gesellschafterkompetenz
EQUA-Schriftenreihe Heft 14/2014
EQUA Publikation
UnternehmerMedien
ISBN 978-3-937960-23-4
Gesellschafterkompetenz
Haftlmeier-Seiffert, Rena
2021

Unternehmerfamilien im Wandel der Zeit

aus
Unternehmensgeschichte
in: EQUA-Stiftung (Hrsg.), Unternehmerfamilien. Eigentum verpflichtet, S. 8-13
EQUA Schriftenreihe Band/2021
EQUA Publikation
UnternehmerMedien
ISBN 978-3-937960-43-2
Haftlmeier-Seiffert, Rena
2011

Gesellschafterkompetenz (auch) als Bemühung um Nähe und Blance in Familienunternehmen

aus
Gesellschafterkompetenz
in: EQUA-Stiftung (Hrsg.), Gesellschafterkompetenz. Die Verantwortung der Eigentümer von Familienunternehmen, S. 48-63
EQUA Publikation
UnternehmerMedien
ISBN 978-3-937960-12-8
Gesellschafterkompetenz
Haftlmeier-Seiffert, Rena

Die unterschätzte Rolle der Ehefrau in der Unternehmerberatung

aus
Familiendynamik
Frauen im Familienunternehmen
Erziehung in Unternehmerfamilien
Kinder in Unternehmerfamilien
Partnerschaften in Unternehmerfamilien
in: PBWM (30.04.2024)
EQUA Publikation
Familiendynamik

Bei genauerem Blick auf und in Unternehmerfamilien, stellt man nicht selten fest, dass die Rolle von Ehe- beziehungsweise Lebenspartnerinnen* hier eine doch eher unzeitgemäße sein kann und insbesondere den Partnerinnen von Unternehmern (seltener geschlechtlich umgekehrt) in Bezug auf das Familienunternehmen eine untergeordnete Rolle mit wenig Bedeutung zugewiesen wird.

Das ist irritierend, da doch mittlerweile hinreichend bekannt ist, dass (möglichst diverse) Teams zu viel besseren Ergebnissen gelangen als Alleinstrategen. Weshalb beschneiden sich viele die Unternehmer dieser Ressource? Und was bedeutet das für Berater von Unternehmern im Private Banking und Wealth Management?

Angst vor Komplexität

Als Argument wird von Unternehmern häufig eine befürchtete Komplexität angeführt. Die Angeheirateten seien zum einen anders sozialisiert, brächten daher andere Vorstellungen mit und könnten deshalb unvorhersehbare Einflüsse in der Unternehmensführung geltend machen. Zum anderenseien Scheidungen und Trennungen nie auszuschließen und man scheue deren Folgen. Also hält man die Ehefrau oder Lebenspartnerin bewusst außen vor.

Doch wird die Komplexität dadurch wirklich reduziert? Eine Vogel-Strauß-Politik hilft wenig. Der Einfluss der Partnerinnen wird immer da sein und die Komplexität so nicht reduziert. Im Gegenteil, sie könnte sogar befeuert werden, da es keinen offenen und transparenten Umgang mit den (ungewollten) Einflüssen gibt, diese im Verborgenen geschehen und deshalb noch schwieriger mit ihnen umzugehen ist, weil kaum ansprechbar.

Außerdem haben die Lebenspartnerinnen nichtsdestoweniger eine hohe Bedeutung für den Fortbestand von Familienunternehmen. Mindestens zwei Aspekte sind dabei wesentlich: Die Angeheirateten übernehmen eine wichtige Rolle bei der Erziehung der nächsten Generation und sind zum andern oft Back-up und Sparring-Partner der Familienunternehmer.

Die Rolle der Erzieherin

‍Obwohl sich die alten Rollenbilder von der Mutter am Herd und dem Vater im Dienst langsam auflösen, herrschen gerade in Unternehmerfamilien häufig traditionelle Muster.

Fallbeispiel 1:

Erst kürzlich berichtete mir ein Unternehmer, er würde sich um die Nachfolge in seinem Unternehmen keine Sorgen machen. Seinen Kindern würden von klein auf Werte wie Leistungsbereitschaft, Mut zur Entscheidung, Flexibilität, Durchsetzungswille, Frustrationstoleranz vermittelt. Wenige Wochen später traf ich seine Frau. Manches, was sie berichtete, gebe ich nun gestrafft wieder:

Sie sei aus einem Lehrerhaushalt und habe selbst Grundschullehrerin werden wollen. Dann habe sie sich aber in ihren Mann verliebt und jung geheiratet. Zwar sei sie irritiert gewesen, als ihre Schwiegereltern einen Ehevertrag verlangten. Aber da sie mit dem Unternehmen sowieso nichts zu tun habe und auch nicht so aussehen wollte, als habe sie ihren Mann aus Berechnung geheiratet, war das für sie in Ordnung. Bald hatte sie drei Kinder und war mit deren Betreuung beschäftigt.

Ihr Mann sei seit je her wenig zu Hause. Er arbeite täglich circa 12 Stunden, auch samstags. So habe sie die Kindererziehung allein in der Hand, was für sie zwar manchmal schwierig aber in Ordnung sei. Da verlasse sich ihr Mann ganz auf sie.

Ihr Mann berichte zu Hause wenig vom Unternehmen, da er, wenn er schon mal daheim ist, ausspannen möchte. Auch gehe sie das Ganze ja sowieso nichts an. Als Angeheiratete dürfe sie weder im Unternehmen arbeiten noch Gesellschafteranteile besitzen. So war sie auch nie auf Gesellschafterversammlungen oder bei Betriebsfesten. Es herrsche bei ihnen eine klare und bewusste Trennung von Familie und Unternehmen.

Beide Ehepartner sind sich in diesem Beispiel offensichtlich einig, dass sie ihre Aufgaben gut aufgeteilt haben und dass die Kinder einmal das Unternehmen übernehmen werden. Daran könnte es aber Zweifel geben. Denn die Mutter spielt die entscheidende Rolle bei der Erziehung des Nachwuchses, gerade weil der Vater offensichtlich kaum zu Hause ist. Wie aber soll eine Lehrerstochter, die selbst keine Beziehung zum Unternehmen hat, geradezu bewusst davon ausgeschlossen wird, den Kindern eine positive Nähe zum Unternehmen vermitteln und sie zu Unternehmertum erziehen?

Hinzu kommt, dass die Kinder fühlen, wie die Mutter das Unternehmen in gewisser Weise als Konkurrenz empfindet, da sie mit ihm um die knappe Zeit des geliebten Mannes buhlen muss und sogar im Zweifelsfall hintan zu stehen hat. Darüber hinaus bekommen die Kinder von der Mutter unbewusst eher die Werte einer Pädagogin vermittelt: Nachsicht und Förderung der Schwachen, Toleranz, Gleichberechtigung ohne Vorbedingungen. Als Unternehmer benötigt man aber: Leistungswille, Wettbewerbsdenken, Akzeptanz der Ungleichheit. So kann der Vater zwar die Unternehmereigenschaften von seinen Kindern verbal einfordern, wie es in der Realität dann tatsächlich aussehen wird, zeigt sich spätestens, wenn die Nachfolge ansteht.‍

Gerade bei geschiedenen oder getrenntlebenden Eltern wird das besonders eklatant. In der Regel wachsen die Kinder dann bei der Mutter auf und bekommen von ihrem Unternehmervater wenig mit. Unternehmertum, Nähe zum Unternehmen und unternehmerische Verantwortung wird nicht vermittelt. Wenn solche Kinder dann das Unternehmen erben, ist es kein Wunder, wenn die Nachfolge schwierig ist.

Fallbeispiel 2:

Neulich erzählte mir ein Gesellschafter eines Familienunternehmens:

„Wir sind vier Brüder mit acht Frauen und 17 Kindern.“ Auf meinen wohl etwas irritierten Blick lächelte er und erklärte: „Jeder von uns hat eine Ex-Frau. Aber wir zählen diese trotzdem zur Familie. Schließlich erziehen sie unsere Kinder. Deshalb gehören sie weiterhin dazu. Meist ‚kümmert‘ sich dann ein anderer Bruder um die Ex und hält sie bei der Familie, weil man sich selbst nach einer Trennung etwas schwerer damit tut. Und so ist es unseren 17 Kindern aus den verschiedenen Patchwork-Beziehungen möglich, engen Kontakt zueinander zu haben.“

‍Hier wird das Gegenteil von Ausgrenzung, also eine gelungene Integration aller (ehemaligen) Angeheirateten gelebt. Die Komplexität wird nicht negiert, sondern Lösungen gefunden, mit ihr umzugehen. Ziel ist ausdrücklich, die nächste Generation als gute und verantwortungsvolle Unternehmerfamilie zu erziehen, die sich untereinander und dem Unternehmen nahe fühlt, um später die Verantwortung gegenüber Unternehmen und Familie tragen zu können. Ein schönes Beispiel, das allen Unternehmerinnen und Unternehmern zu denken geben sollte, die von der Überzeugung geleitet sind: „Wir kämen ja in den Dschungel, wenn wir alle Schwiegerkinder und Angeheiratete mitquatschen lassen und einbeziehen würden.“

Die Rolle des Back-ups‍

Es gibt Unternehmer, deren Schaffenskraft unerschöpflich zu sein scheint und die Vermutung nahe liegt, deren Tag habe 48 und nicht 24 Stunden. Bei genauerer Betrachtung ist es auch so. Denn hinter beinahe jedem dieser Unternehmer steckt eine Partnerin, die ihm mit all ihrer Kraft im Hintergrund zuarbeitet. Sie ist zum einen Eingeweihte und kennt geheime und (noch) nicht veröffentlichte Ideen, Konzepte und Neuerungen für das Unternehmen, sie ist Sparring-Partnerin bei allen kreativen Überlegungen. Zweitens ist sie graue Eminenz, denn sie ist maßgeblich an allen Entscheidungen im Hintergrund beteiligt und hat nicht selten sogar das ausschlaggebende Letztentscheidungsrecht – wenn auch ohne verbrieftes Mandat. Zum dritten erledigt sie notwendige Routinearbeiten.

Nun gibt es immer wieder Beispiele dafür, dass genau solche Frauen aus dem Hintergrund die Aufgaben des Mannes übernehmen, wenn dieser plötzlich und unerwartet ausfällt und das Unternehmen weiterführen. In der Eigenwahrnehmung ist es in der Regel für sie selbst nur eine organische Fortführung dessen, was sie ohnehin über Jahre hinweg taten. Für die Umwelt scheint es, als ob eine Frau plötzlich Chefin geworden sei.

Implikationen für die Beratung von Unternehmern

Unternehmer haben verschiedene Berater: Steuerberater, Rechtsanwälte und Vermögensberater, um das Firmen- und Privatvermögen zu sichern. Die meisten dieser Beratenden haben einen guten Kontakt zu ihren Mandaten, versuchen deren Bedürfnisse zu verstehen und umzusetzen. Doch nicht selten kommt es trotzdem zu Irritationen. Denn obwohl die Berater in ihrem jeweiligen Fachgebiet nach bestem Wissen und Gewissen gute Lösungen gefunden haben, ist der Unternehmer damit nicht zufrieden.

In solchen Fällen wäre es möglicherweise angeraten, die Lebenspartner hinzuzuziehen und deren Bedürfnisse, Vorstellungen und Überzeugungen in den Lösungsvorschlag zu integrieren. Zwar halten die vorwiegend keine Unternehmensanteile und haben keine legitimierte Funktion im Unternehmen und doch haben sie Einfluss auf den Unternehmer. Sie können scheinbar geeignete Lösungen geradezu konterkarieren, weil es im Hintergrund andere Vorstellungen und Bedürfnisse gibt, die emotional vom Unternehmer geteilt werden. Eine umfassende Beratung und Finanzplanung im Private Banking und Wealth Management berücksichtigt dies.

Haftlmeier-Seiffert, Rena
2024

Nachfolge ohne die Dynamiken in der eigenen Familie üben

Digitale Tauschbörse für Unternehmerfamilien

aus
Familiendynamik
Nachfolge
Unternehmensübergabe
Generationswechsel
Next Gen
in: FuS 2/2024, S. 72-73
Bibliografie
Unternehmensnachfolge
Ihre Suche ergab leider keine Treffer.
Mit den von Ihnen gesuchten Kriterien können wir keine Publikation finden. Bitte ändern Sie Ihre Auswahl oder setzen Sie die Kombination aus gesuchtem Stichwort/Fokusthema zurück.
Thank you! Your submission has been received!
Oops! Something went wrong while submitting the form.