Haftlmeier-Seiffert, Rena

Nachhaltigkeit in Familienunternehmen und Klosterökonomien

Ein Vergleich mithilfe des Getriebemodells der Nachhaltigkeit

in: Feldbauer-Durstmülller, Birgit/ Wolf, Tanja/ Neulinger, Maximilian (Hrsg.), Unternehmen und Klöster, S. 133-156
SpringerGabler
ISBN 978-3-658-26693-6
2019

1. Einführung ins Thema

Vor einiger Zeit kam meine Tochter von einer kleinen Shoppingtour aus der Stadt nach Hause. Sehr stolz zeigte sie mir ihre neu erstandene Jeans und erklärte: erstens passe die Hose wie angegossen, zweitens habe diese nur € 30 gekostet und drittens wolle sie sowieso den ganzen Markenfetischismus nicht mehr mitmachen und setze damit ein Zeichen.
Als ich den Preis hörte, blitzten in meinem Hinterkopf sofort Bilder aus Bangladesch von ausgebeuteten Näherinnen auf, die völlig erschöpft auf der harten Bank ihres Arbeitsplatzes schlafen, sich kaum ein anständiges Essen von ihrem Lohn leisten können und überdies dann möglicherweise auch noch in so baufälligen mehrstöckigen Hallen arbeiten, dass diese unter dem Gewicht der Nähmaschinen und hineingepferchten Näherinnen zusammenklappen und alle unter sich begraben. Ich nahm meine Tochter ins Gebet und so vereinbarten wir, das nächste Mal eine fair hergestellte Jeans zu kaufen.
Einige Monate später gingen wir dann in einen Fachladen, waren überwältigt von der schieren Auswahl, nervten alle Verkäuferinnen, die uns keine Auskunft über die Herstellbedingungen und verwendeten Farben und Materialien geben konnten, konsultierten die vielfältigen Auskünfte im Internet und wählten schließlich eine teure Hose aus, von der wir annehmen mussten, dass diese unter fairen Bedingungen und mit umweltfreundlichen Materialien hergestellt wurde.
Doch unser gutes Gewissen bekam schon nach der dritten Wäsche dieser Jeans einen Dämpfer. Denn das Gewebe löste sich im Schritt auf und die Hose fiel buchstäblich auseinander. Ihre billige Konkurrentin hält hingegen auch nach sehr vielen Wäschen nach wie vor die Form und wärmt die Beine meiner Tochter noch immer.
Schon an diesem kleinen Beispiel wird offensichtlich, dass der Versuch nachhaltigen Verhaltens nicht selten in einem Dilemma endet. Denn es ist nicht zu klären, inwiefern Ressourcenverschwendung und unfaire Arbeitsbedingungen gegeneinander aufzuwiegen sind.

Auch beim Kauf von Äpfeln – ein Lebensmittel, das fast jeder von uns beinahe täglich das ganze Jahr über isst – stecken wir häufig in einem Dilemma.
Mittlerweise ist weithin bekannt, dass viele Bio-Äpfel aufgrund der hohen Nachfrage um die halbe Welt geflogen sind, bevor sie in unserer Obstschale landen. Dass dies wenig nachhaltig ist, hat allmählich Einzug in unser Bewusstsein gefunden. Doch die Sache ist wesentlich komplexer. Und dabei geht es nicht um Leute, die mit ihrem großen SUV aufs Land fahren, um beim Obstbauern ein paar Bio-Äpfel zu erstehen. Oder um solche, die israelisches Bio-Obst kaufen und damit maßgeblich dazu beitragen, dass in diesem Wüstenland der Wassermangel noch größer wird und der Spiegel von See Genezareth und totem Meer dramatisch sinken(1). Nein, es geht um die Konsumenten, die bewusst auf dem Wochenmarkt regionale Äpfel einkaufen.
Damit die regionalen Äpfel unserer Vorstellung von einem schönen Apfel entsprechen, sind es oft süße, rotbackige Sorten, die nicht unbedingt zur Lagerung geeignet sind. Damit diese aber nicht schrumpelig oder gar faulig und vom Kunden auch noch nach Weihnachten gern gekauft werden, hält man sie mit großem Aufwand frisch und knackig. Das Obst wird gekühlt, bedampft, begast etc. Und so wurde errechnet, dass es ab März/April nachhaltiger sein kann, einen Bio-Apfel aus Neuseeland zu essen anstelle eines Bodenseeapfels(2).

Das Dilemma der Nachhaltigkeit ergibt sich hier daraus, dass unsere Realität so komplex und daher kaum mehr durchschaubar ist. Vernünftiges und nachhaltiges Handeln eines Endkonsumenten oder eines Unternehmens, sei es nun eines Familienunternehmens oder einer Klosterwirtschaft, wird dadurch fast unmöglich.

Durch die Einführung des Getriebemodells der Nachhaltigkeit kann diese Komplexität veranschaulicht werden, was zur Bewusstheit beiträgt, die wiederum ein angemessenes Handeln ermöglicht.
Dies soll im Folgenden am Beispiel des Wirtschaftens von Familienunternehmen und Klosterökonomien vorgeführt werden.
Grundlage für die Entwicklung des Getriebemodells der Nachhaltigkeit ist zunächst die Betrachtung des Begriffs Nachhaltigkeit, dann ein Definitionsversuch sowie ein Überblick über die bereits vorhandenen Nachhaltigkeitsmodelle.


2. Versuch einer Annäherung an den Begriff Nachhaltigkeit
Was bedeutet eigentlich Nachhaltigkeit?
Bei näherer Betrachtung stellt man fest, dass der Begrifft recht indifferent und uneindeutig verwendet wird(3).

Um den Begriff besser erfassen zu können, wollen wir uns deshalb kurz dem Wort selbst zuwenden:

Nachhaltigkeit leitet sich von dem Verb nachhalten ab.
Dieses besteht aus einer Vorsilbe und einem Hauptverb.
Die Bedeutung der Vorsilbe nach ist leicht zu erfassen. Nach kann räumlich und zeitlich verwendet werden und stellt das Gegenteil von vor dar. So kann man vor einer Gruppe oder nach einer Gruppe gehen (räumlich). Oder ein Ereignis kann vor Weihnachten oder nach Weihnachten stattfinden (zeitlich).

Ganz anders verhält es sich beim Verb halten. Dessen Bedeutung ist sehr schillernd(4). In folgendem Kontext „Würden Sie bitte meine Tasche halten?“ bedeutet halten: tragen, greifen, fassen. Bei: „Alle Busse halten hier!“, versteht man unter halten jedoch: bremsen, abstoppen, zum Stillstand bringen, beenden, parken etc. „Die Säulen halten dieses Haus“ meint hingegen: stützen, sichern. Halten bedeuten wiederum: bewahren, dauern, bleiben, wenn es heißt: „Wir halten uns an die (alten) Regeln“. Man kann aber auch „Aktien halten“, „sich am Geländer halten“ oder „Versprechen halten“. Auch „halten die Bilder an der Wand“, wenn sie gut befestigt sind. Das Verb halten hat also viele Bedeutungen, die sich jeweils aus dem Kontext erschließen. Zusätzlich erfährt das an sich so einfache Verb noch mehr Bedeutungen durch eine schier unendliche Anzahl an Vorsilben, mit dem es verbunden werden kann: innehalten, erhalten, einhalten, anhalten, enthalten, hinhalten, aufhalten, herhalten, maßhalten, zuhalten, abhalten, ranhalten, behalten, aushalten, durchhalten, mithalten, verhalten, standhalten, vorhalten, unterhalten, festhalten und schließlich auch nachhalten.

Das Wort hat also eine große Bedeutungsvielfalt. Die jeweils gemeinte Bedeutung ergibt sich zwar aus dem Kontext. Trotz alledem sind aber alle anderen Bedeutungen ebenfalls immer latent vorhanden und schwingen quasi unter der Oberfläche mit.

Damit zeigt sich allein schon an der Begrifflichkeit, wie schwierig eine Definition von Nachhaltigkeit ist, da die Bedeutung des Wortes changiert.

Nachhaltigkeit: Definitionsversuche
Beim Begriff Nachhaltigkeit steht selbstverständlich die Bedeutung bewahren, dauern im Vordergrund. Aber auch anhalten, schwingt mit, denn um nachhaltig zu sein, muss der Ressourcenverbrauch gebremst werden. Zudem ist stützensichern beinhaltet, weil die Zukunft durch nachhaltiges Verhalten gesichert wird.

Der Begriff ist in diesem Sinne erstmals in der frühen Neuzeit nachweisbar.

Erstes bekanntes Konzept der Nachhaltigkeit im 17. Jahrhundert
In Europa herrschte zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert (insbesondere im 17. und 18. Jahrhundert) die sogenannte Kleine Eiszeit. Die Winter waren sehr kalt, die Flüsse zugefroren etc. Um nicht zu erfrieren, holzte die Bevölkerung die Wälder ab. Gegen diesen Raubbau wandte sich erstmals Hans Carl von Carlowitz (1645-1714), indem er mahnte, dass nur so viele Bäume geschlagen werden dürften, wie der Wald auf natürliche Weise regenerieren konnte(5). Sein Ziel war, den Wald in seinen wesentlichen Eigenschaften langfristig zu erhalten. Er erkannte damit das Prinzip der Nachhaltigkeit und legte den Grundstein für nachhaltiges Denken und Handeln, wenngleich er sich damals ausschließlich auf die Waldwirtschaft bezog.

Frühe moderne Definition nach dem Brundtland-Bericht der Vereinten Nationen (1987).
„Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs“(6).
Die Vereinten Nationen haben damit vor ca. 30 Jahren den Schwerpunkt auf den Ausgleich von Gegenwart und Zukunft gelegt.

Seither sind viele Definitionsversuche vorgenommen worden. Je nach Perspektive fallen diese aber unterschiedlich aus.

Ökonomische Perspektive
Im Zentrum steht hier die Sicherung des Fortbestands einer wirtschaftlichen Einheit(7). Dabei sollen die ökonomischen Gewinne sozial- und umweltverträglich erwirtschaftet werden. Ein nachträgliches ‚green washing‘ wird nicht als nachhaltig anerkannt.

Ökologische Perspektive
Hier steht der Schutz der Natur im Vordergrund(8). So soll das Niveau der Abbaurate erneuerbarer Ressourcen ihre Regenerationsrate nicht übersteigen, die Emissionen dürfen nicht höher liegen als die Assimilationskapazität und der Verbrauch nicht regenerierbarer Ressourcen muss durch eine entsprechende Erhöhung des Bestandes an regenerierbaren Ressourcen kompensiert werden.

Inhaltlich gefüllte Handlungsmaxime
Obwohl es bis heute keine einheitliche Definition von Nachhaltigkeit gibt, ist sie in Wissenschaft und Politik genauso wie in der Unternehmenspraxis ein häufig verwendeter Begriff. Nachhaltigkeit stellt hier meist weniger ein Konzept als vielmehr eine normative Handlungsmaxime dar, die in der Hauptsache auf Selbstbeschränkung und Reduktion beruht. Diese Handlungsmaxime beinhaltet vor allem drei Facetten:
Erstens darf nicht mehr verbraucht werden, als jeweils nachwachsen, sich regenerieren, künftig wieder bereitgestellt werden kann.
Zweitens dürfen die ökologischen, ökonomischen und sozialen Ziele nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern sind gleichrangig zu balancieren.
Und drittens soll dabei eine globale Verteilungsgerechtigkeit genauso wie eine epochenübergreifende Generationengerechtigkeit herrschen.

Versuch einer Definition
Ziel von nachhaltigem Handeln ist das würdevolle Leben aller heutigen und zukünftigen Menschen. Dies ist nur durch den sorgsamen Umgang mit der natürlichen, wirtschaftlichen und sozialen Umwelt möglich.
Der Begriff Nachhaltigkeit beschreibt eine gesamtheitliche und daher interdisziplinäre, interglobale und intergenerationale Form des ökologischen und ökonomischen Handelns, das vorausschauend und vorsorgend allen gegenwärtigen und zukünftigen Menschen vergleichbare oder bessere Lebensbedingungen sichern soll, indem die dazu notwendigen Ressourcen durch Selbstbeschränkung und Reduktion sorgsam verwendet und entsprechend geschützt werden.


3. Nachhaltigkeitsmodelle
Um dieses Konzept bzw. die Handlungsmaximen anschaulich und greifbar zu machen, wurden verschiedenste Nachhaltigkeitsmodelle entwickelt.
Zunächst sollen hier die bekanntesten und wichtigsten Nachhaltigkeitsmodelle kurz vorgestellt und diskutiert werden, bevor ein eigenes Modell entwickelt wird.

Drei-Säulen-Modell (nach Bernd Heins(9))



Kritiker verweisen darauf, dass dieses Modell eine ‚Gleichwertigkeit‘ von Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft impliziere. Da es sich dabei aber um drei völlig unterschiedliche Systeme handelt mit sehr anderen Herausforderungen und Aufgaben, kann man sie weder vergleichen noch bei Interessenskonflikten gegeneinander aufwiegen.

Modifiziertes Drei-Säulen-Modell (nach Volker Stahlmann(10))



Nach diesem Modell steht Nachhaltigkeit auf dem Fundament des richtigen Umgangs mit den natürlichen Ressourcen. Diese bilden die Basis für alle Handlungen. Dabei wäre nachzuweisen, inwiefern und inwieweit die Ressourcen(schonung) und das(der) Klima(schutz) tatsächlich die Basis für Nachhaltigkeit im kulturellen, sozialen und ökonomischen Bereich darstellen oder inwieweit sie den Blick nicht etwas verengen bzw. vom Eigentlichen ablenken.

Drei-Kreise-Modell (nach Helge Majer(11))



Dieses Modell trägt der Überlegung Rechnung, dass echte Nachhaltigkeit nur dann entstehen kann, wenn alle drei Aspekte (Ökonomie, Ökologie und Soziale Gerechtigkeit) gleichzeitig berücksichtigt werden. Nur in der Schnittmenge liegt nachhaltiges Handeln.

TBL Triple-Bottom-Line-Konzept (nach John Elkington(12))
Von diesem Modell wird die jedem Betriebswirt und Unternehmer bekannte Gewinn- und Verlustrechnung (G&V) aufgegriffen und diese auch auf ökologische und soziale Aspekte übertragen.
Ziel ist, dass jedes Unternehmen eine dreifache G&V aufstellen soll, um von der Gesellschaft (auch von Banken und anderen Stakeholdern) entsprechend bewertet zu werden.
Dieses Modell wird in der Praxis durchaus angewendet und so gibt es bereits einige Unternehmen, die in ihrem Jahresbericht entsprechend von TBL eine dreifache G&V veröffentlichen, wenngleich es natürlich unscharf und interpretierbar, d.h. von der Perspektive des beurteilen-den Menschen abhängig bleibt, wie man Respektlosigkeit, faire Arbeitsbedingungen, Umwelt-verschmutzung etc. bewertet und verrechnet.



C2C Cradle-to-Cradle-Prinzip (nach Michael Braungart/ William McDonough(13))
Dieses Modell konzentriert sich auf Ressourcenschonung. Soziale und ökonomische Aspekte sind bei ihm nachrangig.
Grundgedanke ist folgender: Wir leben heute (und schon immer) nach dem Prinzip Von-der-Wiege-bis-zur-Bahre. Dies ist naheliegend, da der Mensch seine eigene Existenz so erlebt und dieses Prinzip deshalb auf seine gesamte Umwelt überträgt. Das C2C-Prinzip lautet jedoch: Von-der-Wiege-wieder-zur-Wiege. Bei ihm geht man davon aus, dass alle Materialien durch echte Kreislaufwirtschaft immer wieder verwendet und niemals als Müll oder Schrott entsorgt werden. Dabei gilt es, ein echtes Re-cycling zu installieren und kein Down-cycling mehr zu betreiben. Wenn wir heute einen Hochglanzprospekt zum Altpapier geben, dann wird er nicht tatsächlich re-cycled und wieder zu einem Hochglanzprospekt, sondern er wird zu Klopapier downgecycled, das dann zu guter Letzt in der Vernichtung landet. Echtes Re-cycling bedeutet nach dem C2C-Prinzip, dass das Material ohne Qualitätsverlust immer wieder für dasselbe Produkt verwendet wird. Voraussetzung dafür sind aber reine Materialien (z.B. reine Kunststoffe, pures Holz, reine Wolle) und keine Mischmaterialien (z.B. textile Mischgewebe) bzw. Verbundstoffe (z.B. bei Milchtüten, die aus kunststofflaminiertem Karton aus Pappe, Polyethylen, Aluminium oder EVOH bestehen). Unvermeidliche, gefährliche Giftstoffe, die wir in unserer heutigen Welt durchaus benötigen (z.B. Quecksilber in Handys) gelangen beim C2C-Prinzip nicht in die Umwelt, sondern werden in reiner Form in geschlossenen industriellen Kreisläufen immer wieder verwendet.



Faktor-5-Konzept (nach Ernst Ulrich von Weizsäcker(14))
Dieses Nachhaltigkeitskonzept zeigt, dass ein „ressourcenleichtes“ Wirtschaften möglich ist und rechnet vor, dass dieselben Produkte und Dienstleistungen bei entsprechendem Willen mit nur 20% der heute dafür benötigten Ressourcen und Rohstoffe hergestellt bzw. angeboten werden könnten.


Nach dem Faktor-10-Konzept (nach Friedrich Schmidt-Bleek(15)) genügen sogar 10% der heute benötigten Ressourcen.

Diskussion der Nachhaltigkeitsmodelle
Die meisten Nachhaltigkeitsmodelle und -konzepte stellen, wie gezeigt, die Reduktion des Rohstoff- und Ressourcenverbrauchs und damit den Schutz der Erde in den Mittelpunkt.
Dies ist zwar keineswegs falsch, jedoch meines Erachtens etwas zu kurz gedacht. Eine solche Betrachtungsweise blendet nämlich aus, dass die Frage nach Nachhaltigkeit immer aus der Perspektive des Menschen gestellt wird. Somit sollte bei allen Nachhaltigkeitsüberlegungen nicht der Schutz unseres Planeten im Zentrum stehen. Dieser ist zwar durchaus Bedingung, aber nicht Ziel. Denn gleichgültig, was wir mit der Erde anstellen und wie wir sie ausbeuten, verseuchen und knechten, sie wird weiterbestehen – dann aber allerdings wahrscheinlich ohne uns Menschen(16) . Wenn es aber um das Überleben der einzelnen Menschen und der gesamten Menschheit geht, dann gilt es, alle Nachhaltigkeitsüberlegungen konsequenterweise auch auf diesen zurück zu beziehen. Deshalb sollte im Mittelpunkt jeglicher Nachhaltigkeitsüberlegung der Mensch stehen. Und dabei geht es nicht darum, dass eine Säugetierart mit aufrechtem Gang überlebt, sondern der Mensch als Mensch mit all seinen typisch menschlichen und kulturellen und ihn gerade vom Tier unterscheidenden Eigenschaften und Bedürfnissen. Im Zentrum steht also der Mensch, der in Würde lebt(17).

Getriebemodell (Rena Haftlmeier-Seiffert)
Gemäß der oben eingeführten Nachhaltigkeits-Definition sind folgende Faktoren für ein nachhaltiges Handeln wichtig:

Im Zentrum steht die Sicherung der allgültigen (für alle, immer, überall) Menschenwürde.

Damit Menschen aber in Würde leben können, müssen ihre Bedürfnisse befriedigt werden. Dies ist nur durch die Produktion von Gütern und entsprechenden Dienstleistungen möglich. Und dabei ist nicht nur an die fundamentalen Bedürfnisse nach gesunder Nahrung, angemessener Kleidung und Wohnung zu denken, sondern auch an die Bedürfnisse nach Kultur, Musik, Tanz, Literatur, Mobilität und vieles mehr, was uns Menschen erst zum Menschen macht.
Darüber hinaus ist ein würdevolles Leben selbstverständlich auch nur möglich, wenn die Natur und Umwelt intakt ist. Ist die Luft so verschmutzt, dass ein Atmen nur noch schwer möglich ist, sind die Flüsse verseucht, die Meere verdreckt, ist ein Leben und schon gar ein menschenwürdiges Leben nicht möglich.
Wichtig ist dabei, dass es eine selbstverständliche Maxime sein muss, dass ein solches Leben in Würde allen Menschen gleichermaßen zusteht. Dies ist nur durch eine globale und generationsübergreifende soziale Fairness möglich. Es nützt selbstverständlich nichts, wenn eine Schwedin auf Kosten eines Pakistanis oder wenn die Großeltern auf Kosten ihrer Enkel in Würde leben. Denn die Würde des Menschen gilt für alle und jeden.



Das Getriebemodell zeigt, wie all diese Aspekte ineinandergreifen müssen, um sich drehen zu können.

Dabei ist das Modell noch weiter zu denken, denn die drei Hauptzahnräder, welche die drei Hauptaspekte der Nachhaltigkeit symbolisieren, werden natürlich von verschiedenen kleineren Zahnrädern angetrieben, die wiederum von noch kleineren in Gang gesetzt werden.



Blockiert nur ein Zahnrad, dann bleibt das gesamte Getriebe und damit auch die zentrale Welle stehen – die Sicherung der allgültigen Menschenwürde ist dann nicht gewährleistet.


4. Nachhaltigkeit in der Realität. Anwendung des Getriebemodells
Interessenskonflikte im Getriebemodell
Es bestehen in Bezug auf Nachhaltigkeit häufig Konflikte, bei der jede Partei vollkommen sinnvolle und vor allem auch berechtigte Interessen besitzt, die sich allerdings diametral widersprechen. Solche Interessenskonflikte gelten als nicht lösbar, müssen aber trotzdem balanciert werden, um wirklich nachhaltig zu handeln.

Dies kann wieder gut am Beispiel des Holzraubbaus in der Kleinen Eiszeit illustriert werden: Natürlich waren die Holzbesitzer daran interessiert, nicht mehr Holz zu schlagen, als nachwachsen konnte, um den Wald auch noch für die nächsten Generationen und auf Dauer zu erhalten. Ein völlig berechtigter und sinnvoller Anspruch, der darin gipfelte, dass verzweifelte Menschen mit polizeilicher Gewalt vom Holzschlagen in den Wäldern abgehalten wurden. Andererseits war aber das Brennholz für die Bevölkerung im Winter absolut überlebensnotwendig.
Dieser Interessenskonflikt war nicht trivial, denn er mündete in einem unausweichlichen existenziellen Dilemma: Wenn bereits die Großeltern erfroren sind, werden überhaupt keine Enkel geboren, andererseits werden die Enkel erfrieren, wenn die Großeltern zuvor den gesamten Wald abgeholzt haben. Kurz: die Sicherung des eigenen Überlebens durch kurzfristigen Raubbau steht gegen den langfristigen Ressourcenerhalt, der für das Überleben der Nachfahren notwendig ist. Nachhaltiges Handeln bedeutet deshalb den Ausgleich und die Balance von und bei Interessenkonflikten.

Familienunternehmen im Getriebemodell



Verortet man Familienunternehmen im Getriebemodell der Nachhaltigkeit, so wird anschaulich, dass die (Mitglieder der) Unternehmerfamilien selbstverständlich zum einen die maßgeblichen Treiber für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen sind. Dabei sind sie allerdings auch wiederum von ihren Stakeholdern angetrieben(18).

Die Unternehmerfamilien sind es aber auch, die sich um die soziale Fairness in ihren Unternehmen und in ihrer Region bzw. an ihren Standorten kümmern genauso wie um den Natur- und Ressourcenschutz(19), wenngleich sie dafür natürlich nicht allein verantwortlich sind.
Ihre Zahnräder treiben (gemeinsam mit anderen) die Hauptwelle an und sichern damit die all-gültige Menschenwürde, sofern sie gleichmäßig ineinandergreifen, und ihre Geschwindigkeit aufeinander abgestimmt ist.
Vernachlässigen oder hintertreiben die Unternehmerfamilien gar einen der Aspekte, ist ihr Wirtschaften nicht als nachhaltig zu bezeichnen. Dann handeln sie wider die allgültige Menschenwürde.
Im Getriebemodell würde dies bedeuten, dass eines der Zahnräder blockiert wird und deshalb das gesamt Nachhaltigkeitsgetriebe stillsteht.

Klosterwirtschaft im Getriebemodell



Ersetzt man im Getriebemodell die Unternehmerfamilien durch Ordensgemeinschaften, so wird schnell klar, dass nun nicht mehr die Würde des Menschen im Zentrum zu stehen hat, sondern das Gotteslob bzw. der Gottesdienst. Nicht der Mensch ist Ausgangspunkt und Ziel, sondern Gott. Er ist das Alpha und Omega (Grund und Ziel) für den Schutz der Schöpfung (Naturschutz und Ressourcenerhalt)(20) , für die Nächstenliebe (soziale Fairness)(21) und für die Überlebenssicherung (durch die Produktion von Nahrung, Kleidung, Wohnung, Wissen, Kultur etc.) der Ordensmitglieder(22) bzw. auch der Menschheit selbst, denn diese ist unabdingbar für das Gotteslob, da kein anderes Wesen der Schöpfung dazu befähigt ist.

Das Modell macht dabei deutlich, dass wir es hier mit einer autopoietischen Struktur zu tun haben. Denn das Gotteslob/ der Gottesdienst ist zwar einerseits der Antrieb zur Nächstenliebe, Antrieb zum Schutz der Schöpfung sowie Antrieb zur Produktion von Lebensnotwendigkeiten, diese wirken allerdings andererseits auch wieder auf das Gotteslob zurück bzw. stellen dieses wiederum selbst dar(23).
Genauso verhält es sich bei den Ordensgemeinschaften, deren Sinn und Ziel ein Leben im Dienste und zum Lobe Gottes ist; sie loben Gott über ihren Dienst am Nächsten oder an der Schöpfung oder in der Produktion von Nahrung etc. bzw. in der Wissenschaft oder über die Musik etc. Auch hier gibt es wieder den autopoietischen Rückbezug, so dass nicht auszumachen ist, ob das Gotteslob/ der Gottesdienst die Existenz der Ordensgemeinschaften etc. bedingt bzw. umgekehrt.
Im Getriebemodell ist also nicht auszumachen, welches Zahnrad passiv angetrieben wird und welches den Antrieb selbst darstellt.

Wichtig ist allerdings weniger welches Zahnrad den Antrieb darstellt, als vielmehr, dass das gesamte Getriebe nur dann funktioniert, wenn alle Zahnräder mit derselben Geschwindigkeit ineinandergreifen. Blockiert ein Zahnrad, steht das gesamte Getriebe still.
Ist also beispielsweise eine Ordensgemeinschaft müßig oder gar zänkisch, wird sie keinen Dienst am Nächsten verrichten können oder vernachlässigt den Dienst an der Schöpfung, dann leidet darunter das Gotteslob bzw. Gott wird nicht mehr angemessen gedient.

So veranschaulicht das Getriebemodell der Nachhaltigkeit die gegenseitigen Abhängigkeiten und die Komplexität, der die jeweiligen Klosterökonomien ausgesetzt sind, wenn sie nachhaltig wirtschaften. Nur die wertungsfreie Berücksichtigung aller Aspekte gleichermaßen gewährleistet ein nachhaltiges Wirtschaften, das wiederum in letzter Konsequenz dem Lobe Gottes dient.


5. Nachhaltigkeit als konstitutives Element
Nachhaltigkeit ist bei Familienunternehmen konstitutiv
(Börsennotierte) Unternehmen in Streubesitz denken von Quartalsbilanz zu Quartalsbilanz und deren Geschäftsführer meist nur bis zum Ende ihres Drei- bis Fünfjahresvertrags. Mit einer Einstellung: ‚nach diesem Quartal/ dem Ende meines Anstellungsvertrages die Sintflut‘, ist dann aber der Verschwendung (das Gegenteil von Ressourcenschonung), der Mitarbeiterausbeutung (das Gegenteil von sozialer Fairness) etc. Tür und Tor geöffnet. Bei einem solchem Wirtschaften steht dann nicht die Würde aller Menschen, sondern die Profitmaximierung im Mittelpunkt(24). Solches Wirtschaften ist nicht nachhaltig.

Familienunternehmen denken hingegen transgenerational und wollen das Unternehmen langfristig in der Familie halten(25). Deshalb beziehen sie in ihrem gegenwärtigen Wirtschaften, also bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen, immer die Zukunft mit ein.
Durch die weit verbreitete Treuhändermentalität(26), die in der Überzeugung gipfelt, dass nur die Gewinne genutzt werden sollen und die Substanz nicht angegriffen werden darf, handeln Familienunternehmen ressourcenschonend.
Außerdem bestehen in der Regel in Familienunternehmen lange und persönliche Beziehungen zwischen der Unternehmerfamilie und den Mitarbeitern, da die Mitarbeiter als Teil der Familie angesehen werden. Aus diesem Grunde sind Familienunternehmen auch dafür bekannt, soziale Verantwortung zu übernehmen und fair gegenüber den Mitarbeitern(27) zu sein.
Familienunternehmen ohne ein Denken über den Tag hinaus, ohne Ressourcenschonung und Mitarbeiterbindung wären keine Familienunternehmen. Familienunternehmen sind dann Familienunternehmen, wenn sie sich als ‚enkelfähig‘(28) erweisen.
Es gehört also zum Selbstbild, so zu wirtschaften, dass das Unternehmen an sich und deshalb auch die Lebensumstände etc. auf Dauer bewahrt bleiben. Nachhaltigkeit ist damit konstitutiv für Familienunternehmen.
Wenn diese Aspekte im Zentrum des (unternehmerischen) Wirtschaftens stehen, setzen die Unternehmen gemäß unserem Getriebemodell das Nachhaltigkeitsgetriebe in Gang, bei dem die Sicherung der allgültigen Würde des Menschen im Mittelpunkt steht.

Nachhaltigkeit ist bei Klosterökonomien konstitutiv
Der christliche Glaube beruht auf der Vorstellung von der Unendlichkeit(29) und Ewigkeit(30) Gottes, Gott stellt das Alpha und Omega(31) ohne Endlichkeit dar.
Auch wenn spätestens seit Augustinus immer wieder die Endlichkeit der Schöpfung diskutiert wird(32), tut diese Diskussion der Tatsache keinen Abbruch, dass sich das Lob Gottes immer auf den unendlichen Gott selbst bezieht, auch wenn es über das Lob an einer möglicherweise endlichen Schöpfung(33) geschieht.
Dem Unendlichkeitsgedanken ist aber die Nachhaltigkeit immanent, denn Unendlichkeit ist per se auf Dauer ausgerichtet.
Auch die Aufgaben der Ordensgemeinschaften, nämlich der Dienst am Nächsten(34) und an der Schöpfung(35) , sind zentrale Aspekte der Nachhaltigkeit, wenngleich diese in einer säkularisierten Welt als soziale Fairness und als Ressourcenerhalt und Naturschutz bezeichnet werden.
Da Ordensgemeinschaften die Klosterökonomie als einen Aspekt ihres Dienstes an Gott begreifen(36), dieser aber selbst wiederum auf die Unendlichkeit ausgerichtet ist, kann ihr ökonomisches Handeln nicht kurzfristig ausgelegt sein. Es muss nachhaltig sein, sonst widerspricht es dem Grund und Ziel ihres Tuns.
Damit ist nachhaltiges Wirtschaften in der Klosterökonomie konstitutiv.

Wenn diese Aspekte im Zentrum der Klosterwirtschaft stehen, setzen die Ordensgemeinschaften gemäß unserem Getriebemodell das Nachhaltigkeitsgetriebe in Gang, bei dem das Gotteslob, der Gottesdienst bzw. die Gottesliebe und die christlichen Werte im Allgemeinen im Mittelpunkt stehen.


6. Zusammenfassung
Das Getriebemodell macht klar, dass nachhaltiges Wirtschaften nur dann möglich ist, wenn es nicht um seiner selbst willen betrieben wird, sondern wenn es einem höheren Ziel dient.
Es konnte gezeigt werden, dass gerade in Familienunternehmen und Klosterwirtschaften dies par excellence gegeben ist. Denn bei ihnen ist nachhaltiges Wirtschaften konstitutiv.
Wichtig ist dabei, dass alle Aspekte der Nachhaltigkeit gleichermaßen berücksichtigt (und beispielsweise nicht nur der Schutz der Erde) und nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen.
Dabei darf kein Interessenskonflikt so stark werden, dass eines der Zahnräder blockiert. Keine der Interessen darf die anderen dominieren. Es muss gewährleistet sein, dass sich immer alle Räder in gleicher Geschwindigkeit drehen. Denn auch wenn ein Zahnrad schneller läuft als ein anderes, funktioniert das Nachhaltigkeitsgetriebe nicht. Bei Interessenkonflikten muss deshalb möglicherweise die Gesamtgeschwindigkeit gedrosselt werden, um das Getriebe am Laufen zu halten und die allgültige Würde des Menschen bzw. darüber hinaus das Gotteslob zu sichern. Das Gegenteil wäre ein zu schnelles Drehen eines Rades (z.B. die Sicherung der Bedürfnisbefriedigung durch eine überhitzte Wirtschaft) und damit in der Konsequenz der Bruch von langsamer laufenden Rädern und damit der Stillstand des Gesamtgetriebes.


________________________________________
(1) Totes Meer in Gefahr: Der Salzsee braucht dringend Wasser, in: SZ, 30.1.2017, [totes-meer].
(2) Alexander Dallmus, Bodensee- und Neuseelandapfel, in: Bayern 1 – Umweltkommissar, 25.2.2013 [apfel-regional-neuseeland].
(3) Grober, 2013.
(4) [duden/halten].
(5) [Sylvicultura Oeconomica, 1713]; Nachdruck: Carlowitz 1713, 2013.
(6) [un-documents].
(7) Schaltegger, 2007.
(8) Begon/Howarth/Townsend, ³2017.
(9) Bernd Heins reklamiert dieses Modell zwar für sich, jedoch ist nicht zweifelsfrei erwiesen, ob es einen einzelnen Urheber dafür gibt, oder ob das Modell ‚gewachsen‘ ist (Kopfmüller, 2001, S. 47).
(10) Stahlmann, 2008.
(11)

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1. Einführung ins Thema

Vor einiger Zeit kam meine Tochter von einer kleinen Shoppingtour aus der Stadt nach Hause. Sehr stolz zeigte sie mir ihre neu erstandene Jeans und erklärte: erstens passe die Hose wie angegossen, zweitens habe diese nur € 30 gekostet und drittens wolle sie sowieso den ganzen Markenfetischismus nicht mehr mitmachen und setze damit ein Zeichen.
Als ich den Preis hörte, blitzten in meinem Hinterkopf sofort Bilder aus Bangladesch von ausgebeuteten Näherinnen auf, die völlig erschöpft auf der harten Bank ihres Arbeitsplatzes schlafen, sich kaum ein anständiges Essen von ihrem Lohn leisten können und überdies dann möglicherweise auch noch in so baufälligen mehrstöckigen Hallen arbeiten, dass diese unter dem Gewicht der Nähmaschinen und hineingepferchten Näherinnen zusammenklappen und alle unter sich begraben. Ich nahm meine Tochter ins Gebet und so vereinbarten wir, das nächste Mal eine fair hergestellte Jeans zu kaufen.
Einige Monate später gingen wir dann in einen Fachladen, waren überwältigt von der schieren Auswahl, nervten alle Verkäuferinnen, die uns keine Auskunft über die Herstellbedingungen und verwendeten Farben und Materialien geben konnten, konsultierten die vielfältigen Auskünfte im Internet und wählten schließlich eine teure Hose aus, von der wir annehmen mussten, dass diese unter fairen Bedingungen und mit umweltfreundlichen Materialien hergestellt wurde.
Doch unser gutes Gewissen bekam schon nach der dritten Wäsche dieser Jeans einen Dämpfer. Denn das Gewebe löste sich im Schritt auf und die Hose fiel buchstäblich auseinander. Ihre billige Konkurrentin hält hingegen auch nach sehr vielen Wäschen nach wie vor die Form und wärmt die Beine meiner Tochter noch immer.
Schon an diesem kleinen Beispiel wird offensichtlich, dass der Versuch nachhaltigen Verhaltens nicht selten in einem Dilemma endet. Denn es ist nicht zu klären, inwiefern Ressourcenverschwendung und unfaire Arbeitsbedingungen gegeneinander aufzuwiegen sind.

Auch beim Kauf von Äpfeln – ein Lebensmittel, das fast jeder von uns beinahe täglich das ganze Jahr über isst – stecken wir häufig in einem Dilemma.
Mittlerweise ist weithin bekannt, dass viele Bio-Äpfel aufgrund der hohen Nachfrage um die halbe Welt geflogen sind, bevor sie in unserer Obstschale landen. Dass dies wenig nachhaltig ist, hat allmählich Einzug in unser Bewusstsein gefunden. Doch die Sache ist wesentlich komplexer. Und dabei geht es nicht um Leute, die mit ihrem großen SUV aufs Land fahren, um beim Obstbauern ein paar Bio-Äpfel zu erstehen. Oder um solche, die israelisches Bio-Obst kaufen und damit maßgeblich dazu beitragen, dass in diesem Wüstenland der Wassermangel noch größer wird und der Spiegel von See Genezareth und totem Meer dramatisch sinken(1). Nein, es geht um die Konsumenten, die bewusst auf dem Wochenmarkt regionale Äpfel einkaufen.
Damit die regionalen Äpfel unserer Vorstellung von einem schönen Apfel entsprechen, sind es oft süße, rotbackige Sorten, die nicht unbedingt zur Lagerung geeignet sind. Damit diese aber nicht schrumpelig oder gar faulig und vom Kunden auch noch nach Weihnachten gern gekauft werden, hält man sie mit großem Aufwand frisch und knackig. Das Obst wird gekühlt, bedampft, begast etc. Und so wurde errechnet, dass es ab März/April nachhaltiger sein kann, einen Bio-Apfel aus Neuseeland zu essen anstelle eines Bodenseeapfels(2).

Das Dilemma der Nachhaltigkeit ergibt sich hier daraus, dass unsere Realität so komplex und daher kaum mehr durchschaubar ist. Vernünftiges und nachhaltiges Handeln eines Endkonsumenten oder eines Unternehmens, sei es nun eines Familienunternehmens oder einer Klosterwirtschaft, wird dadurch fast unmöglich.

Durch die Einführung des Getriebemodells der Nachhaltigkeit kann diese Komplexität veranschaulicht werden, was zur Bewusstheit beiträgt, die wiederum ein angemessenes Handeln ermöglicht.
Dies soll im Folgenden am Beispiel des Wirtschaftens von Familienunternehmen und Klosterökonomien vorgeführt werden.
Grundlage für die Entwicklung des Getriebemodells der Nachhaltigkeit ist zunächst die Betrachtung des Begriffs Nachhaltigkeit, dann ein Definitionsversuch sowie ein Überblick über die bereits vorhandenen Nachhaltigkeitsmodelle.


2. Versuch einer Annäherung an den Begriff Nachhaltigkeit
Was bedeutet eigentlich Nachhaltigkeit?
Bei näherer Betrachtung stellt man fest, dass der Begrifft recht indifferent und uneindeutig verwendet wird(3).

Um den Begriff besser erfassen zu können, wollen wir uns deshalb kurz dem Wort selbst zuwenden:

Nachhaltigkeit leitet sich von dem Verb nachhalten ab.
Dieses besteht aus einer Vorsilbe und einem Hauptverb.
Die Bedeutung der Vorsilbe nach ist leicht zu erfassen. Nach kann räumlich und zeitlich verwendet werden und stellt das Gegenteil von vor dar. So kann man vor einer Gruppe oder nach einer Gruppe gehen (räumlich). Oder ein Ereignis kann vor Weihnachten oder nach Weihnachten stattfinden (zeitlich).

Ganz anders verhält es sich beim Verb halten. Dessen Bedeutung ist sehr schillernd(4). In folgendem Kontext „Würden Sie bitte meine Tasche halten?“ bedeutet halten: tragen, greifen, fassen. Bei: „Alle Busse halten hier!“, versteht man unter halten jedoch: bremsen, abstoppen, zum Stillstand bringen, beenden, parken etc. „Die Säulen halten dieses Haus“ meint hingegen: stützen, sichern. Halten bedeuten wiederum: bewahren, dauern, bleiben, wenn es heißt: „Wir halten uns an die (alten) Regeln“. Man kann aber auch „Aktien halten“, „sich am Geländer halten“ oder „Versprechen halten“. Auch „halten die Bilder an der Wand“, wenn sie gut befestigt sind. Das Verb halten hat also viele Bedeutungen, die sich jeweils aus dem Kontext erschließen. Zusätzlich erfährt das an sich so einfache Verb noch mehr Bedeutungen durch eine schier unendliche Anzahl an Vorsilben, mit dem es verbunden werden kann: innehalten, erhalten, einhalten, anhalten, enthalten, hinhalten, aufhalten, herhalten, maßhalten, zuhalten, abhalten, ranhalten, behalten, aushalten, durchhalten, mithalten, verhalten, standhalten, vorhalten, unterhalten, festhalten und schließlich auch nachhalten.

Das Wort hat also eine große Bedeutungsvielfalt. Die jeweils gemeinte Bedeutung ergibt sich zwar aus dem Kontext. Trotz alledem sind aber alle anderen Bedeutungen ebenfalls immer latent vorhanden und schwingen quasi unter der Oberfläche mit.

Damit zeigt sich allein schon an der Begrifflichkeit, wie schwierig eine Definition von Nachhaltigkeit ist, da die Bedeutung des Wortes changiert.

Nachhaltigkeit: Definitionsversuche
Beim Begriff Nachhaltigkeit steht selbstverständlich die Bedeutung bewahren, dauern im Vordergrund. Aber auch anhalten, schwingt mit, denn um nachhaltig zu sein, muss der Ressourcenverbrauch gebremst werden. Zudem ist stützensichern beinhaltet, weil die Zukunft durch nachhaltiges Verhalten gesichert wird.

Der Begriff ist in diesem Sinne erstmals in der frühen Neuzeit nachweisbar.

Erstes bekanntes Konzept der Nachhaltigkeit im 17. Jahrhundert
In Europa herrschte zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert (insbesondere im 17. und 18. Jahrhundert) die sogenannte Kleine Eiszeit. Die Winter waren sehr kalt, die Flüsse zugefroren etc. Um nicht zu erfrieren, holzte die Bevölkerung die Wälder ab. Gegen diesen Raubbau wandte sich erstmals Hans Carl von Carlowitz (1645-1714), indem er mahnte, dass nur so viele Bäume geschlagen werden dürften, wie der Wald auf natürliche Weise regenerieren konnte(5). Sein Ziel war, den Wald in seinen wesentlichen Eigenschaften langfristig zu erhalten. Er erkannte damit das Prinzip der Nachhaltigkeit und legte den Grundstein für nachhaltiges Denken und Handeln, wenngleich er sich damals ausschließlich auf die Waldwirtschaft bezog.

Frühe moderne Definition nach dem Brundtland-Bericht der Vereinten Nationen (1987).
„Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs“(6).
Die Vereinten Nationen haben damit vor ca. 30 Jahren den Schwerpunkt auf den Ausgleich von Gegenwart und Zukunft gelegt.

Seither sind viele Definitionsversuche vorgenommen worden. Je nach Perspektive fallen diese aber unterschiedlich aus.

Ökonomische Perspektive
Im Zentrum steht hier die Sicherung des Fortbestands einer wirtschaftlichen Einheit(7). Dabei sollen die ökonomischen Gewinne sozial- und umweltverträglich erwirtschaftet werden. Ein nachträgliches ‚green washing‘ wird nicht als nachhaltig anerkannt.

Ökologische Perspektive
Hier steht der Schutz der Natur im Vordergrund(8). So soll das Niveau der Abbaurate erneuerbarer Ressourcen ihre Regenerationsrate nicht übersteigen, die Emissionen dürfen nicht höher liegen als die Assimilationskapazität und der Verbrauch nicht regenerierbarer Ressourcen muss durch eine entsprechende Erhöhung des Bestandes an regenerierbaren Ressourcen kompensiert werden.

Inhaltlich gefüllte Handlungsmaxime
Obwohl es bis heute keine einheitliche Definition von Nachhaltigkeit gibt, ist sie in Wissenschaft und Politik genauso wie in der Unternehmenspraxis ein häufig verwendeter Begriff. Nachhaltigkeit stellt hier meist weniger ein Konzept als vielmehr eine normative Handlungsmaxime dar, die in der Hauptsache auf Selbstbeschränkung und Reduktion beruht. Diese Handlungsmaxime beinhaltet vor allem drei Facetten:
Erstens darf nicht mehr verbraucht werden, als jeweils nachwachsen, sich regenerieren, künftig wieder bereitgestellt werden kann.
Zweitens dürfen die ökologischen, ökonomischen und sozialen Ziele nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern sind gleichrangig zu balancieren.
Und drittens soll dabei eine globale Verteilungsgerechtigkeit genauso wie eine epochenübergreifende Generationengerechtigkeit herrschen.

Versuch einer Definition
Ziel von nachhaltigem Handeln ist das würdevolle Leben aller heutigen und zukünftigen Menschen. Dies ist nur durch den sorgsamen Umgang mit der natürlichen, wirtschaftlichen und sozialen Umwelt möglich.
Der Begriff Nachhaltigkeit beschreibt eine gesamtheitliche und daher interdisziplinäre, interglobale und intergenerationale Form des ökologischen und ökonomischen Handelns, das vorausschauend und vorsorgend allen gegenwärtigen und zukünftigen Menschen vergleichbare oder bessere Lebensbedingungen sichern soll, indem die dazu notwendigen Ressourcen durch Selbstbeschränkung und Reduktion sorgsam verwendet und entsprechend geschützt werden.


3. Nachhaltigkeitsmodelle
Um dieses Konzept bzw. die Handlungsmaximen anschaulich und greifbar zu machen, wurden verschiedenste Nachhaltigkeitsmodelle entwickelt.
Zunächst sollen hier die bekanntesten und wichtigsten Nachhaltigkeitsmodelle kurz vorgestellt und diskutiert werden, bevor ein eigenes Modell entwickelt wird.

Drei-Säulen-Modell (nach Bernd Heins(9))



Kritiker verweisen darauf, dass dieses Modell eine ‚Gleichwertigkeit‘ von Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft impliziere. Da es sich dabei aber um drei völlig unterschiedliche Systeme handelt mit sehr anderen Herausforderungen und Aufgaben, kann man sie weder vergleichen noch bei Interessenskonflikten gegeneinander aufwiegen.

Modifiziertes Drei-Säulen-Modell (nach Volker Stahlmann(10))



Nach diesem Modell steht Nachhaltigkeit auf dem Fundament des richtigen Umgangs mit den natürlichen Ressourcen. Diese bilden die Basis für alle Handlungen. Dabei wäre nachzuweisen, inwiefern und inwieweit die Ressourcen(schonung) und das(der) Klima(schutz) tatsächlich die Basis für Nachhaltigkeit im kulturellen, sozialen und ökonomischen Bereich darstellen oder inwieweit sie den Blick nicht etwas verengen bzw. vom Eigentlichen ablenken.

Drei-Kreise-Modell (nach Helge Majer(11))



Dieses Modell trägt der Überlegung Rechnung, dass echte Nachhaltigkeit nur dann entstehen kann, wenn alle drei Aspekte (Ökonomie, Ökologie und Soziale Gerechtigkeit) gleichzeitig berücksichtigt werden. Nur in der Schnittmenge liegt nachhaltiges Handeln.

TBL Triple-Bottom-Line-Konzept (nach John Elkington(12))
Von diesem Modell wird die jedem Betriebswirt und Unternehmer bekannte Gewinn- und Verlustrechnung (G&V) aufgegriffen und diese auch auf ökologische und soziale Aspekte übertragen.
Ziel ist, dass jedes Unternehmen eine dreifache G&V aufstellen soll, um von der Gesellschaft (auch von Banken und anderen Stakeholdern) entsprechend bewertet zu werden.
Dieses Modell wird in der Praxis durchaus angewendet und so gibt es bereits einige Unternehmen, die in ihrem Jahresbericht entsprechend von TBL eine dreifache G&V veröffentlichen, wenngleich es natürlich unscharf und interpretierbar, d.h. von der Perspektive des beurteilen-den Menschen abhängig bleibt, wie man Respektlosigkeit, faire Arbeitsbedingungen, Umwelt-verschmutzung etc. bewertet und verrechnet.



C2C Cradle-to-Cradle-Prinzip (nach Michael Braungart/ William McDonough(13))
Dieses Modell konzentriert sich auf Ressourcenschonung. Soziale und ökonomische Aspekte sind bei ihm nachrangig.
Grundgedanke ist folgender: Wir leben heute (und schon immer) nach dem Prinzip Von-der-Wiege-bis-zur-Bahre. Dies ist naheliegend, da der Mensch seine eigene Existenz so erlebt und dieses Prinzip deshalb auf seine gesamte Umwelt überträgt. Das C2C-Prinzip lautet jedoch: Von-der-Wiege-wieder-zur-Wiege. Bei ihm geht man davon aus, dass alle Materialien durch echte Kreislaufwirtschaft immer wieder verwendet und niemals als Müll oder Schrott entsorgt werden. Dabei gilt es, ein echtes Re-cycling zu installieren und kein Down-cycling mehr zu betreiben. Wenn wir heute einen Hochglanzprospekt zum Altpapier geben, dann wird er nicht tatsächlich re-cycled und wieder zu einem Hochglanzprospekt, sondern er wird zu Klopapier downgecycled, das dann zu guter Letzt in der Vernichtung landet. Echtes Re-cycling bedeutet nach dem C2C-Prinzip, dass das Material ohne Qualitätsverlust immer wieder für dasselbe Produkt verwendet wird. Voraussetzung dafür sind aber reine Materialien (z.B. reine Kunststoffe, pures Holz, reine Wolle) und keine Mischmaterialien (z.B. textile Mischgewebe) bzw. Verbundstoffe (z.B. bei Milchtüten, die aus kunststofflaminiertem Karton aus Pappe, Polyethylen, Aluminium oder EVOH bestehen). Unvermeidliche, gefährliche Giftstoffe, die wir in unserer heutigen Welt durchaus benötigen (z.B. Quecksilber in Handys) gelangen beim C2C-Prinzip nicht in die Umwelt, sondern werden in reiner Form in geschlossenen industriellen Kreisläufen immer wieder verwendet.



Faktor-5-Konzept (nach Ernst Ulrich von Weizsäcker(14))
Dieses Nachhaltigkeitskonzept zeigt, dass ein „ressourcenleichtes“ Wirtschaften möglich ist und rechnet vor, dass dieselben Produkte und Dienstleistungen bei entsprechendem Willen mit nur 20% der heute dafür benötigten Ressourcen und Rohstoffe hergestellt bzw. angeboten werden könnten.


Nach dem Faktor-10-Konzept (nach Friedrich Schmidt-Bleek(15)) genügen sogar 10% der heute benötigten Ressourcen.

Diskussion der Nachhaltigkeitsmodelle
Die meisten Nachhaltigkeitsmodelle und -konzepte stellen, wie gezeigt, die Reduktion des Rohstoff- und Ressourcenverbrauchs und damit den Schutz der Erde in den Mittelpunkt.
Dies ist zwar keineswegs falsch, jedoch meines Erachtens etwas zu kurz gedacht. Eine solche Betrachtungsweise blendet nämlich aus, dass die Frage nach Nachhaltigkeit immer aus der Perspektive des Menschen gestellt wird. Somit sollte bei allen Nachhaltigkeitsüberlegungen nicht der Schutz unseres Planeten im Zentrum stehen. Dieser ist zwar durchaus Bedingung, aber nicht Ziel. Denn gleichgültig, was wir mit der Erde anstellen und wie wir sie ausbeuten, verseuchen und knechten, sie wird weiterbestehen – dann aber allerdings wahrscheinlich ohne uns Menschen(16) . Wenn es aber um das Überleben der einzelnen Menschen und der gesamten Menschheit geht, dann gilt es, alle Nachhaltigkeitsüberlegungen konsequenterweise auch auf diesen zurück zu beziehen. Deshalb sollte im Mittelpunkt jeglicher Nachhaltigkeitsüberlegung der Mensch stehen. Und dabei geht es nicht darum, dass eine Säugetierart mit aufrechtem Gang überlebt, sondern der Mensch als Mensch mit all seinen typisch menschlichen und kulturellen und ihn gerade vom Tier unterscheidenden Eigenschaften und Bedürfnissen. Im Zentrum steht also der Mensch, der in Würde lebt(17).

Getriebemodell (Rena Haftlmeier-Seiffert)
Gemäß der oben eingeführten Nachhaltigkeits-Definition sind folgende Faktoren für ein nachhaltiges Handeln wichtig:

Im Zentrum steht die Sicherung der allgültigen (für alle, immer, überall) Menschenwürde.

Damit Menschen aber in Würde leben können, müssen ihre Bedürfnisse befriedigt werden. Dies ist nur durch die Produktion von Gütern und entsprechenden Dienstleistungen möglich. Und dabei ist nicht nur an die fundamentalen Bedürfnisse nach gesunder Nahrung, angemessener Kleidung und Wohnung zu denken, sondern auch an die Bedürfnisse nach Kultur, Musik, Tanz, Literatur, Mobilität und vieles mehr, was uns Menschen erst zum Menschen macht.
Darüber hinaus ist ein würdevolles Leben selbstverständlich auch nur möglich, wenn die Natur und Umwelt intakt ist. Ist die Luft so verschmutzt, dass ein Atmen nur noch schwer möglich ist, sind die Flüsse verseucht, die Meere verdreckt, ist ein Leben und schon gar ein menschenwürdiges Leben nicht möglich.
Wichtig ist dabei, dass es eine selbstverständliche Maxime sein muss, dass ein solches Leben in Würde allen Menschen gleichermaßen zusteht. Dies ist nur durch eine globale und generationsübergreifende soziale Fairness möglich. Es nützt selbstverständlich nichts, wenn eine Schwedin auf Kosten eines Pakistanis oder wenn die Großeltern auf Kosten ihrer Enkel in Würde leben. Denn die Würde des Menschen gilt für alle und jeden.



Das Getriebemodell zeigt, wie all diese Aspekte ineinandergreifen müssen, um sich drehen zu können.

Dabei ist das Modell noch weiter zu denken, denn die drei Hauptzahnräder, welche die drei Hauptaspekte der Nachhaltigkeit symbolisieren, werden natürlich von verschiedenen kleineren Zahnrädern angetrieben, die wiederum von noch kleineren in Gang gesetzt werden.



Blockiert nur ein Zahnrad, dann bleibt das gesamte Getriebe und damit auch die zentrale Welle stehen – die Sicherung der allgültigen Menschenwürde ist dann nicht gewährleistet.


4. Nachhaltigkeit in der Realität. Anwendung des Getriebemodells
Interessenskonflikte im Getriebemodell
Es bestehen in Bezug auf Nachhaltigkeit häufig Konflikte, bei der jede Partei vollkommen sinnvolle und vor allem auch berechtigte Interessen besitzt, die sich allerdings diametral widersprechen. Solche Interessenskonflikte gelten als nicht lösbar, müssen aber trotzdem balanciert werden, um wirklich nachhaltig zu handeln.

Dies kann wieder gut am Beispiel des Holzraubbaus in der Kleinen Eiszeit illustriert werden: Natürlich waren die Holzbesitzer daran interessiert, nicht mehr Holz zu schlagen, als nachwachsen konnte, um den Wald auch noch für die nächsten Generationen und auf Dauer zu erhalten. Ein völlig berechtigter und sinnvoller Anspruch, der darin gipfelte, dass verzweifelte Menschen mit polizeilicher Gewalt vom Holzschlagen in den Wäldern abgehalten wurden. Andererseits war aber das Brennholz für die Bevölkerung im Winter absolut überlebensnotwendig.
Dieser Interessenskonflikt war nicht trivial, denn er mündete in einem unausweichlichen existenziellen Dilemma: Wenn bereits die Großeltern erfroren sind, werden überhaupt keine Enkel geboren, andererseits werden die Enkel erfrieren, wenn die Großeltern zuvor den gesamten Wald abgeholzt haben. Kurz: die Sicherung des eigenen Überlebens durch kurzfristigen Raubbau steht gegen den langfristigen Ressourcenerhalt, der für das Überleben der Nachfahren notwendig ist. Nachhaltiges Handeln bedeutet deshalb den Ausgleich und die Balance von und bei Interessenkonflikten.

Familienunternehmen im Getriebemodell



Verortet man Familienunternehmen im Getriebemodell der Nachhaltigkeit, so wird anschaulich, dass die (Mitglieder der) Unternehmerfamilien selbstverständlich zum einen die maßgeblichen Treiber für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen sind. Dabei sind sie allerdings auch wiederum von ihren Stakeholdern angetrieben(18).

Die Unternehmerfamilien sind es aber auch, die sich um die soziale Fairness in ihren Unternehmen und in ihrer Region bzw. an ihren Standorten kümmern genauso wie um den Natur- und Ressourcenschutz(19), wenngleich sie dafür natürlich nicht allein verantwortlich sind.
Ihre Zahnräder treiben (gemeinsam mit anderen) die Hauptwelle an und sichern damit die all-gültige Menschenwürde, sofern sie gleichmäßig ineinandergreifen, und ihre Geschwindigkeit aufeinander abgestimmt ist.
Vernachlässigen oder hintertreiben die Unternehmerfamilien gar einen der Aspekte, ist ihr Wirtschaften nicht als nachhaltig zu bezeichnen. Dann handeln sie wider die allgültige Menschenwürde.
Im Getriebemodell würde dies bedeuten, dass eines der Zahnräder blockiert wird und deshalb das gesamt Nachhaltigkeitsgetriebe stillsteht.

Klosterwirtschaft im Getriebemodell



Ersetzt man im Getriebemodell die Unternehmerfamilien durch Ordensgemeinschaften, so wird schnell klar, dass nun nicht mehr die Würde des Menschen im Zentrum zu stehen hat, sondern das Gotteslob bzw. der Gottesdienst. Nicht der Mensch ist Ausgangspunkt und Ziel, sondern Gott. Er ist das Alpha und Omega (Grund und Ziel) für den Schutz der Schöpfung (Naturschutz und Ressourcenerhalt)(20) , für die Nächstenliebe (soziale Fairness)(21) und für die Überlebenssicherung (durch die Produktion von Nahrung, Kleidung, Wohnung, Wissen, Kultur etc.) der Ordensmitglieder(22) bzw. auch der Menschheit selbst, denn diese ist unabdingbar für das Gotteslob, da kein anderes Wesen der Schöpfung dazu befähigt ist.

Das Modell macht dabei deutlich, dass wir es hier mit einer autopoietischen Struktur zu tun haben. Denn das Gotteslob/ der Gottesdienst ist zwar einerseits der Antrieb zur Nächstenliebe, Antrieb zum Schutz der Schöpfung sowie Antrieb zur Produktion von Lebensnotwendigkeiten, diese wirken allerdings andererseits auch wieder auf das Gotteslob zurück bzw. stellen dieses wiederum selbst dar(23).
Genauso verhält es sich bei den Ordensgemeinschaften, deren Sinn und Ziel ein Leben im Dienste und zum Lobe Gottes ist; sie loben Gott über ihren Dienst am Nächsten oder an der Schöpfung oder in der Produktion von Nahrung etc. bzw. in der Wissenschaft oder über die Musik etc. Auch hier gibt es wieder den autopoietischen Rückbezug, so dass nicht auszumachen ist, ob das Gotteslob/ der Gottesdienst die Existenz der Ordensgemeinschaften etc. bedingt bzw. umgekehrt.
Im Getriebemodell ist also nicht auszumachen, welches Zahnrad passiv angetrieben wird und welches den Antrieb selbst darstellt.

Wichtig ist allerdings weniger welches Zahnrad den Antrieb darstellt, als vielmehr, dass das gesamte Getriebe nur dann funktioniert, wenn alle Zahnräder mit derselben Geschwindigkeit ineinandergreifen. Blockiert ein Zahnrad, steht das gesamte Getriebe still.
Ist also beispielsweise eine Ordensgemeinschaft müßig oder gar zänkisch, wird sie keinen Dienst am Nächsten verrichten können oder vernachlässigt den Dienst an der Schöpfung, dann leidet darunter das Gotteslob bzw. Gott wird nicht mehr angemessen gedient.

So veranschaulicht das Getriebemodell der Nachhaltigkeit die gegenseitigen Abhängigkeiten und die Komplexität, der die jeweiligen Klosterökonomien ausgesetzt sind, wenn sie nachhaltig wirtschaften. Nur die wertungsfreie Berücksichtigung aller Aspekte gleichermaßen gewährleistet ein nachhaltiges Wirtschaften, das wiederum in letzter Konsequenz dem Lobe Gottes dient.


5. Nachhaltigkeit als konstitutives Element
Nachhaltigkeit ist bei Familienunternehmen konstitutiv
(Börsennotierte) Unternehmen in Streubesitz denken von Quartalsbilanz zu Quartalsbilanz und deren Geschäftsführer meist nur bis zum Ende ihres Drei- bis Fünfjahresvertrags. Mit einer Einstellung: ‚nach diesem Quartal/ dem Ende meines Anstellungsvertrages die Sintflut‘, ist dann aber der Verschwendung (das Gegenteil von Ressourcenschonung), der Mitarbeiterausbeutung (das Gegenteil von sozialer Fairness) etc. Tür und Tor geöffnet. Bei einem solchem Wirtschaften steht dann nicht die Würde aller Menschen, sondern die Profitmaximierung im Mittelpunkt(24). Solches Wirtschaften ist nicht nachhaltig.

Familienunternehmen denken hingegen transgenerational und wollen das Unternehmen langfristig in der Familie halten(25). Deshalb beziehen sie in ihrem gegenwärtigen Wirtschaften, also bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen, immer die Zukunft mit ein.
Durch die weit verbreitete Treuhändermentalität(26), die in der Überzeugung gipfelt, dass nur die Gewinne genutzt werden sollen und die Substanz nicht angegriffen werden darf, handeln Familienunternehmen ressourcenschonend.
Außerdem bestehen in der Regel in Familienunternehmen lange und persönliche Beziehungen zwischen der Unternehmerfamilie und den Mitarbeitern, da die Mitarbeiter als Teil der Familie angesehen werden. Aus diesem Grunde sind Familienunternehmen auch dafür bekannt, soziale Verantwortung zu übernehmen und fair gegenüber den Mitarbeitern(27) zu sein.
Familienunternehmen ohne ein Denken über den Tag hinaus, ohne Ressourcenschonung und Mitarbeiterbindung wären keine Familienunternehmen. Familienunternehmen sind dann Familienunternehmen, wenn sie sich als ‚enkelfähig‘(28) erweisen.
Es gehört also zum Selbstbild, so zu wirtschaften, dass das Unternehmen an sich und deshalb auch die Lebensumstände etc. auf Dauer bewahrt bleiben. Nachhaltigkeit ist damit konstitutiv für Familienunternehmen.
Wenn diese Aspekte im Zentrum des (unternehmerischen) Wirtschaftens stehen, setzen die Unternehmen gemäß unserem Getriebemodell das Nachhaltigkeitsgetriebe in Gang, bei dem die Sicherung der allgültigen Würde des Menschen im Mittelpunkt steht.

Nachhaltigkeit ist bei Klosterökonomien konstitutiv
Der christliche Glaube beruht auf der Vorstellung von der Unendlichkeit(29) und Ewigkeit(30) Gottes, Gott stellt das Alpha und Omega(31) ohne Endlichkeit dar.
Auch wenn spätestens seit Augustinus immer wieder die Endlichkeit der Schöpfung diskutiert wird(32), tut diese Diskussion der Tatsache keinen Abbruch, dass sich das Lob Gottes immer auf den unendlichen Gott selbst bezieht, auch wenn es über das Lob an einer möglicherweise endlichen Schöpfung(33) geschieht.
Dem Unendlichkeitsgedanken ist aber die Nachhaltigkeit immanent, denn Unendlichkeit ist per se auf Dauer ausgerichtet.
Auch die Aufgaben der Ordensgemeinschaften, nämlich der Dienst am Nächsten(34) und an der Schöpfung(35) , sind zentrale Aspekte der Nachhaltigkeit, wenngleich diese in einer säkularisierten Welt als soziale Fairness und als Ressourcenerhalt und Naturschutz bezeichnet werden.
Da Ordensgemeinschaften die Klosterökonomie als einen Aspekt ihres Dienstes an Gott begreifen(36), dieser aber selbst wiederum auf die Unendlichkeit ausgerichtet ist, kann ihr ökonomisches Handeln nicht kurzfristig ausgelegt sein. Es muss nachhaltig sein, sonst widerspricht es dem Grund und Ziel ihres Tuns.
Damit ist nachhaltiges Wirtschaften in der Klosterökonomie konstitutiv.

Wenn diese Aspekte im Zentrum der Klosterwirtschaft stehen, setzen die Ordensgemeinschaften gemäß unserem Getriebemodell das Nachhaltigkeitsgetriebe in Gang, bei dem das Gotteslob, der Gottesdienst bzw. die Gottesliebe und die christlichen Werte im Allgemeinen im Mittelpunkt stehen.


6. Zusammenfassung
Das Getriebemodell macht klar, dass nachhaltiges Wirtschaften nur dann möglich ist, wenn es nicht um seiner selbst willen betrieben wird, sondern wenn es einem höheren Ziel dient.
Es konnte gezeigt werden, dass gerade in Familienunternehmen und Klosterwirtschaften dies par excellence gegeben ist. Denn bei ihnen ist nachhaltiges Wirtschaften konstitutiv.
Wichtig ist dabei, dass alle Aspekte der Nachhaltigkeit gleichermaßen berücksichtigt (und beispielsweise nicht nur der Schutz der Erde) und nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen.
Dabei darf kein Interessenskonflikt so stark werden, dass eines der Zahnräder blockiert. Keine der Interessen darf die anderen dominieren. Es muss gewährleistet sein, dass sich immer alle Räder in gleicher Geschwindigkeit drehen. Denn auch wenn ein Zahnrad schneller läuft als ein anderes, funktioniert das Nachhaltigkeitsgetriebe nicht. Bei Interessenkonflikten muss deshalb möglicherweise die Gesamtgeschwindigkeit gedrosselt werden, um das Getriebe am Laufen zu halten und die allgültige Würde des Menschen bzw. darüber hinaus das Gotteslob zu sichern. Das Gegenteil wäre ein zu schnelles Drehen eines Rades (z.B. die Sicherung der Bedürfnisbefriedigung durch eine überhitzte Wirtschaft) und damit in der Konsequenz der Bruch von langsamer laufenden Rädern und damit der Stillstand des Gesamtgetriebes.


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(1) Totes Meer in Gefahr: Der Salzsee braucht dringend Wasser, in: SZ, 30.1.2017, [totes-meer].
(2) Alexander Dallmus, Bodensee- und Neuseelandapfel, in: Bayern 1 – Umweltkommissar, 25.2.2013 [apfel-regional-neuseeland].
(3) Grober, 2013.
(4) [duden/halten].
(5) [Sylvicultura Oeconomica, 1713]; Nachdruck: Carlowitz 1713, 2013.
(6) [un-documents].
(7) Schaltegger, 2007.
(8) Begon/Howarth/Townsend, ³2017.
(9) Bernd Heins reklamiert dieses Modell zwar für sich, jedoch ist nicht zweifelsfrei erwiesen, ob es einen einzelnen Urheber dafür gibt, oder ob das Modell ‚gewachsen‘ ist (Kopfmüller, 2001, S. 47).
(10) Stahlmann, 2008.
(11)

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