Haftlmeier-Seiffert, Rena

Die besonderen Herausforderungen beim Management von Familienunternehmen und Klöstern

in: Christine Duller et al. (Herausgeber), Herausforderungen im Management von Familienunternehmen, S. 89-100
Springer Gabler
ISBN 978-3-658419-77-6
2023

Zusammenfassung

Durch den Vergleich der (scheinbar) so verschiedenen Organisationen Klöster und Familienunternehmen schärft sich das Verständnis für beide. In diesem Beitrag wird gezeigt, dass beide Organisationen mit sehr ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind. Deshalb werden hier zur guten Führung auch ähnliche Managementkompetenzen benötigt. Diese Führungskompetenzen sind jedoch nicht (nur) die in anderen Unternehmensformen üblichen wie: Fachexpertise, Controlling, Markt- und Wettbewerbskenntnisse etc., sondern es sind gerade Kompetenzen, die häufig von außen sogar als Inkompetenz und/oder Unprofessionalität wahrgenommen werden. Doch genau diese anderen Kompetenzen sind es, die beiden Organisationen das Überleben über viele Jahrzehnte, ja bei Klöstern sogar viele Jahrhunderte, sichern und es ermöglichen, im eigentlichen Sinne nachhaltig erfolgreich zu sein.

Hinführung

Zwar mag es zunächst abseitig erscheinen, die Führung von Klöstern (Feldbauer-Durstmüller und Neulinger 2010; Feldbauer-Durstmüller und Niederwimmer 2022; Feldbauer-Durstmüller et al. 2019; Payer-Langthaler und Feldbauer-Durstmüller 2013; Payer-Langthaler et al. 2014) mit dem Management von Familienunternehmen (Feldbauer-Durstmüller et al. 2008; Feldbauer-Durstmüller et al. 2012; Hiebl et al. 2013) zu vergleichen, da doch beide Organisationen völlig unterschiedlich sind. Das mag für deren äußere Erscheinung (nämlich punkvolle Gebäude versus funktionale Hallen oder Büros), deren Mitglieder (nämlich eine homogene eingeschlechtliche Glaubensgemeinschaft versus eine multiple und gemischte Funktionsgemeinschaft) oder deren Ziele (nämlich Gotteslob versus die Herstellung von Gütern oder Dienstleistungen) gelten. Rückt man jedoch die Strukturen dieser beiden (Unternehmens-)Organisationen ins Zentrum der Betrachtung, dann findet man doch große Vergleichbarkeit und insbesondere sehr ähnliche Herausforderungen vor. In der Gegenüberstellung beider Organisationen kann man die Beobachtung schärfen und damit die Besonderheiten und Herausforderungen, die es sowohl beim Management von Familienunternehmen als auch von Klöstern gibt, verstehen lernen.

Im Folgenden will ich nun genau hier ansetzen und die Unternehmensarten Familienunternehmen und Klosterökonomien in den Mittelpunkt stellen und diese strukturell vergleichen, um die besonderen Herausforderungen beim Management dieser beiden Organisationen zu markieren. Dabei werde ich folgende Hypothesen verfolgen:

1. Die Organisationstruktur von Familienunternehmen ist komplex.

2. Die Organisationsstruktur von Klöstern ist komplex.

3. Die Komplexität von beiden basiert insbesondere auf systemimmanenten Dilemmata und Paradoxien.

4. Voraussetzung für das Management der komplexen Systeme Familienunternehmen und Klöster ist ‚Paradoxiefreundlichkeit‘.

5. Um ‚paradoxiefreundlich‘ sein zu können, ist eine starke und stabile Werteorientierung hilfreich.

6. Klassisches Kennzahlen-Controlling genügt nicht, Familienunternehmen und Klöster erfolgreich zu führen und nachhaltig zu sichern.

1. Familienunternehmen

1.1. Die komplexe Organisation von Familienunternehmen

Vordergründig mag es so scheinen, als seien große Börsenunternehmen komplex, da sie nicht selten in einer verzweigten und verschachtelten globalen Konzernstruktur organisiert sind. Ganz abgesehen davon, dass (große, alte) Familienunternehmen ebenso verzweigte und globale Konzernstrukturen aufweisen können (Weggenmann, abgerufen am 14. November 2022), zumal sie nicht selten aufgrund einer Risikostreuung wesentlich diversifizierter aufgestellt sind als Börsenunternehmen, so sind diese Konzernstrukturen doch cum grano salis als trivial und nicht als komplex zu bezeichnen. Denn sie sind klar, eindeutig und in logischer Abfolge verknüpft und können in der Regel deshalb auch wunderbar in einem (wenn auch noch so großen) Organigramm abgebildet werden, mit eindeutigen und linearen Verbindungen und Ober-, Neben- bzw. Unterordnungen. Das sind triviale Systeme. Komplexe Systeme sind hingegen Strukturen mit Elementen und Faktoren, die sich zirkulär, redundant oder sprunghaft, also nicht linear und daher unvorhersehbar gegenseitig beeinflussen, sich ergänzen, sich widersprechen, sich verknüpfen, sich abstoßen und somit kurz gesprochen: aufeinander in ‚chaotischer‘ Weise im mehrdimensionalen Raum ohne eindeutige Wenn-dann-Beziehung aufeinander einwirken. Die Möglichkeiten sind in der Regel fast unübersehbar und vor allem auch unvorhersehbar (Bar-Yamm 1997; Füllsack 2011; Ladyman und Wiesner 2020; Lewin 1993; Mainzer 1999; Waldrop 1996).

Familienunternehmen sind komplexe Systeme. Denn sie bestehen nicht nur aus einem unter Umständen großen und verzweigten Unternehmen, sondern auch aus einer unter Umständen großen und verzweigten Familie. Dabei macht allerdings nicht die Größe und Verzweigung per se die Komplexität aus, auch wenn sie diese durchaus befeuern kann. Vielmehr ist es die Verknüpfung von Familie und Unternehmen, die aus dem eigentlich trivialen System Unternehmen mit seiner logischen und effizienten Organisation und seinen funktionierenden Maschinen und dem nicht mehr ganz so trivialen System Familie mit seinen menschlichen Individuen mit ihren psychologischen Bedürfnissen ein hochkomplexes System mit Wirkkräften kreiert, die meist weder linear, vorhersehbar oder logisch begründbar, sondern oft dynamisch, unvorhersehbar und unwägbar sind. Die Koexistenz und enge Verflechtung von Familie und Unternehmen macht das System Familienunternehmen komplex (Schlippe et al. 2011; Simon 2002; Simon 2020). Dabei sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es nicht (nur) die Familie und ihre Protagonisten sind, die zur Komplexität beitragen, sondern die Verknüpfung von sich im Grunde Widersprechendem: von Familie und Unternehmen. Denn Familiensysteme basieren auf Vertrauen, Liebe, Toleranz, Nachsicht, Wertschätzung, Gleichheit. Die Mitglieder werden ohne Bewertung vorbehaltlos und bedingungslos geliebt, respektiert und als ganze Menschen anerkannt (Schlippe 2009). Natürlich gibt es Familien, in denen all diese Werte und Haltungen nicht zu finden sind und man sich beispielsweise Liebe ‚verdienen‘ muss. Diese gelten dann allerdings als korrumpiert, gestört und dysfunktional. In Unternehmen gelten ganz andere Logiken. Sie basieren auf Leistung, Wettbewerb, Effizienz und der unnachsichtigen Markierung von Stärken und Schwächen. Mitglieder werden hier aufgrund ihres Erfolgs belobigt. Hier gilt Ungleichheit. Aus diesem Grunde empfindet man es auch als richtig, wenn bei einer Managerin mit der Verantwortung für mehrere tausend Mitarbeiter und einem mehr als 70-Stunden-Job am Ende des Monats unten auf dem Gehaltszettel eine höhere Zahl steht als bei einem Teilzeithilfsarbeiter. Hier wird Leistung bewertet und nicht der ganze Mensch geliebt (Schlippe 2009). Auch in Unternehmen gibt es natürlich in der Realität Dysfunktionalitäten: Wenn Mitarbeiter nepotistisch bevorzugt (‚geliebt‘) werden und ihnen Minderleistung auf Dauer nachsichtig verziehen wird, oder wenn in sozialromantischen Systemen jeder Mitarbeitende gleich viel verdient. Dann gilt nicht mehr Leistung als Bedingung. Und weil dies offensichtlich für Unternehmensorganisationen dysfunktional ist, überleben Unternehmen mit Vetternwirtschaft und Missachtung der Leistungsmaxime in der Regel genauso wenig lang wie sozialromantische Unternehmen mit marxistischer Grundhaltung.

1.2. Systemimmanente Dilemmata bei Familienunternehmen

Gibt es in Familienunternehmen Verwerfungen, dann wird dies häufig mit Unprofessionalität erklärt und nicht selten wird den mächtigen Akteuren auch noch Inkompetenz vorgeworfen. Doch beides greift zu kurz. Dahinter kann nämlich ein Dilemma stecken, das aus der Komplexität des Systems Familienunternehmen resultiert. Denn hier treffen, wie oben gezeigt, zwei sich widersprechende Systeme aufeinander, weshalb die Protagonisten Alltagsparadoxien ausgesetzt sind, in denen es kein Falsch oder Richtig gibt. Vieles, was auf den ersten Blick unprofessionell wirkt, vieles, was auf den ersten Blick inkompetent erscheint, basiert auf dem Dilemma, dass es gleichzeitig vorhandene, sich aber diametral widersprechende Bedürfnisse der Unternehmerfamilie und des Familienunternehmens gibt (Wimmer et al. 2022). Unprofessionalität wird meist mit dem Fehlen von Institutionen und Regelwerken gleichgesetzt. Ob dem so ist, steht auf einem anderen Blatt, da Formalisierung per se noch nicht professionell ist, denn meines Erachtens können kompetente Unternehmer sehr berufsmäßig (und nichts anderes heißt professionell) sein, wenn sie ohne viele Regeln richtige Entscheidungen treffen (Binz Astrachan und Pieper 2021; Kammerlander et al. 2021). Ob nun aber umfassende Regelungen und Formalisierung schlecht oder gut sind, soll hier nicht beurteilt werden. Wichtiger ist in diesem Zusammenhang das richtig beobachtete Phänomen, dass es in Familienunternehmen oft wenig Regelwerke und Formalisierung gibt. Dies ist aber wohl weniger der Unprofessionalität geschuldet, als dem Vorhandensein von Komplexität, denn komplexe Systeme lassen sich nun einmal kaum mit kausalen, linearen und damit trivialen Regelwerken und mit Wenn-dann-Beziehungen bearbeiten. Die geringe Formalisierung trägt also der vorhandenen Komplexität Rechnung und ist deshalb durchaus als angemessenes und damit professionelles Verhalten zu bewerten. Genauso basiert die scheinbare und vordergründig oft zu beobachtende angeblich Inkompetenz von Unternehmerfamilien häufig auf den paradoxen Anforderungen, denen sie sich ausgesetzt sehen. Denn was, wie gezeigt, in dem einen System richtig ist, wirkt im anderen System oft dysfunktional. Handelt nun eine Unternehmerfamilie in einem System richtig, so ist dies nicht selten im anderen System geradezu falsch. Beurteilt aber ein außenstehender Betrachter eine entsprechende Handlung aus der Perspektive des einen Systems, die Handlung der Unternehmerfamilie trägt aber dem anderen System Rechnung, so erscheint sie dem Betrachter schnell als inkompetent, weil offensichtlich falsch. Um es am Beispiel zu zeigen: Vielleicht ist es nämlich für das Familiensystem unglaublich wichtig, dass der zweite drogenabhängige Sohn doch im Unternehmen eine Anstellung findet, weil er so Struktur im Leben bekommt und er sonst komplett auf die so genannte schiefe Bahn abgleiten würde, er wird als ganze Person respektiert und geliebt. Im System Unternehmen ist eine solche Einstellung jedoch völlig falsch, weil man von Minderleistung und damit von der Schädigung des Unternehmens ausgehen muss. Die Unternehmerfamilie hat diesen Sohn aus familiär richtigen Gründen eingestellt. Sie befindet sich hier in der Logik der Familie. Der außenstehende Betrachter befindet sich aber möglicherweise in der Logik des Unternehmens und bewertet deshalb diese Handlung zurecht als falsch. Er begreift dies als Nepotismus, Inkompetenz bei der Beurteilung des eigenen Nachwuchses oder als Ignoranz von Tatsachen. Als Unternehmerfamilie, die ja zu beiden Systemen gehört, befindet man sich deshalb ständig in der Paradoxie, dass eine Handlung zugleich richtig und falsch sein kann.

2. Klöster

2.1. Die komplexe Organisation von Klöstern

Auch in Klöstern haben wir es mit komplexen Strukturen zu tun. Die Komplexität entsteht auch hier aus der Koppelung zweier unterschiedlicher und sich teilweise widersprechender Systeme. Zum einen gibt es die Gemeinschaft der Mönche beziehungsweise Nonnen, deren Ziel es ist, ein gottesfürchtiges und -gefälliges Leben im Glauben zu führen, bescheiden zu teilen und allen Beladenen und Belasteten zu helfen. Die Ordensgemeinschaft ist geprägt von Nächstenliebe, Freigiebigkeit, Demut und Mildtätigkeit. Aufgabe ihrer Mitglieder ist es, sich selbst zurückzunehmen und Schwächere zu unterstützen (als Beispiel für das Leben, Selbstverständnis und Wirken von Ordensgemeinschaft seien die Regula Benedicti angeführt: http://benediktiner.benediktiner.de/index.php/regula-prolog.html, abgerufen am 14. November 2022). Nicht Leistung zählt, sondern jeder ist vor Gott gleich (Galater 3:28; Römer 3:19-28) und wird mit allen seinen Schwächen angenommen und geliebt, während Stärke als Gnade und damit Auftrag Gottes verstanden wird, die Schwachen und Beladenen zu unterstützen (2 Korinther 6:1, 2 Korinther 9:8). Zum anderen gibt es aber die Klosterökonomie, die wirtschaftlich funktionieren und im Wettbewerb bestehen muss, bei der deshalb Leistung und Erfolg zählen. Denn nur so kann sich die Ordensgemeinschaft ernähren und von ihr die Armen und Schwachen überhaupt erst mildtätig unterstützt werden.

Oft werden die Ordensökonomien von außen mit ihren Liegenschaften, prunkvollen Kirchen und riesigen Klostergebäuden, ihrem Wald- und Grundbesitz als vermögend angesehen. Da diese Vermögen aber meist aufgrund von einmaligen Zuwendungen und großzügigen Spenden oder Stiftungen nicht selten in Form von Realien und nicht von Geld entstanden sind (was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass viele Köster sogar Stift genannt werden), bedarf es kluger unternehmerischer Effizienz, diese Vermögen auf Dauer zu sichern oder gar zu mehren und damit wirtschaftlichen Gewinn zu erzielen. Schaut man in die Rechnungsbücher der Klöster, so zeigt sich aber wohl nicht selten, dass sie aus sich selbst heraus wirtschaftlich alles andere als erfolgreich sind (Niederwimmer 2019). Schnell ist man mit dem Urteil bei der Hand, dass die Ordensmitglieder in Bezug auf ihre Ökonomie unprofessionell und inkompetent handeln würden und eben zu vergeistigt seien, ganz abgesehen von dem (oft indirekten) Vorwurf, dass sich nur eine ganz bestimmte und wenig lebenstüchtige Auswahl an Menschen zum Leben in einem Orden berufen fühlten (Niederwimmer 2019). Diese Argumente sollen hier nicht näher diskutiert werden. Denn Ordensgemeinschaften befinden sich genauso wie Unternehmerfamilien immer wieder paradoxen Anforderungen ausgesetzt, was möglicherweise Vieles erklären kann.

2.2. Systemimmanente Dilemmata in Klöstern

Einerseits müssen die Mitglieder nämlich Leistung erbringen und ökonomisch im Wettbewerb erfolgreich sein, und andererseits sollen sie sich selbst zurücknehmen, demütig und nicht überall der/die Erste sein wollen, die Schwachen stützen und die eigenen Stärken in den Dienst anderer stellen und in Güte und Gnade und nicht um des Erfolgs willen handeln. Damit stecken Ordensgemeinschaften genauso wie Unternehmerfamilien in einem Dilemma. Die scheinbare Unprofessionalität und Inkompetenz erwachsen aus diesem christlichen Selbstverständnis des demütigen Hintanstehens, der Güte, der Anerkenntnis und der Unterstützung der Schwächeren, die nicht von den Stärkeren übervorteilt werden sollen. Diese Haltung ist weder unprofessionell noch inkompetent, sondern basiert ausschließlich auf der christlichen Überzeugung und ist für die Ordensgemeinschaften wesentlich und sogar konstitutiv. Aus (kloster-)ökonomischer Sicht ist diese Haltung jedoch oft geradezu falsch, denn damit wird meist wirtschaftlicher Erfolg konterkariert. Wie sollen die Ordensmitglieder also handeln? Als harte, wettbewerbsgestählte Unternehmer, um die Ordensökonomie zu erhalten, oder als Männer/Frauen der Gnade, der Freigiebigkeit, der Hinwendung, um entsprechend ihrem christlichen Auftrag und dem abgelegten Ordensgelübde zu handeln?

3. Management von Familienunternehmen und Klöstern

Wie oben gezeigt, sind Mitglieder aus Unternehmerfamilien und hier insbesondere die Geschäftsführer und Mitglieder aus Ordensgemeinschaften und hier insbesondere die Äbte gleichermaßen paradoxen Anforderungen ausgesetzt und befinden sich daher oft in einem Dilemma. Da das Wesen von Paradoxie und Dilemma in ihrer Unlösbarkeit besteht (Cohen 2005; Hagenbüchle und Geyer 2002; Kannetzky 2000; Rescher 2001; Sainsbury 2001), da jede scheinbare Lösung zwar auf der einen Seite richtig, aber auf der anderen Seite falsch ist und es keine Lösung gibt, die allen Bedürfnissen oder Anforderungen gerecht werden könnte, werden häufig in solchen Situationen folgende (Management-)Strategien angewendet, um das Problem (scheinbar) zu lösen:

3.1. Vogel-Strauß-Politik

Es ist nur zu menschlich, wenn man angesichts unlösbarer Situationen beginnt, Probleme nicht sehen zu wollen, Probleme ausblendet und eben bei Paradoxien nur die eine Seite wahrnimmt. Als Außenstehender spricht man dann schnell von Blindheit oder Inkompetenz, angesichts der Nichtwahrnehmung von doch so offensichtlichen Aspekten. Doch diese Vogel-Strauß-Politik ist für viele ein probates Mittel, um dem unlösbaren Dilemma zu entkommen. Sie ist als Kognitive Dissonanz aus der Psychologie bekannt (Festinger 2012; Maxeiner und Rühle 2014), allerdings bisher in der (Familien- und Klöster-)Unternehmensforschung höchstens am Rande behandelt. Trotzdem ist zu beobachten, dass beispielsweise Unternehmerfamilien nicht sehen (wollen), wie einzelne Mitglieder leiden und sich in immer unhaltbareren Situationen befinden und aufgrund einer dysfunktionalen Familie psychisch krank werden. Denn dies darf nicht wahr sein, da das Familienunternehmen eine tüchtige Führung braucht. Oder Ordensmitglieder leben weiterhin scheinbar naiv in den Tag hinein, kommen allen ihren Ordensaufgaben im gottgefälligen und mildtätigen Bereich hervorragend nach, verschließen aber die Augen davor, dass das Kloster eigentlich bankrott ist. Ja, sie führen möglicherweise nicht aus Unprofessionalität ihre Bücher schlecht, sondern weil sie so nicht sehen (können), wie schlimm es um das Kloster bestellt ist und sie so den paradoxen Anforderungen scheinbar entkommen.

3.2. Basta-Lösung

Andere blenden zwar möglicherweise die eine Seite der paradoxen Anforderungen nicht aus, wissen sich angesichts der Unlösbarkeit von Paradoxien aber nicht zu helfen und entscheiden dann, indem sie zur sogenannten Basta-Lösung greifen. Basta-Lösungen wurden bisher kaum in der (Familien- und Klöster-)Unternehmensforschung behandelt. Sie sind aber aus der politischen Theorie als Dezisionismus bekannt (Bolsinger 1998; Brodocz 2015). Hier wird bewusst parteiisch nur die eine Seite beachtet und dann gegen alle Widerstände, die aus den paradoxen Anforderungen erwachsen, diese Entscheidung mit Macht durchgesetzt. Geschäftsführer in Familienunternehmen oder Äbte in Klöstern mögen deshalb oft wie herrschsüchtige Autokraten wirken, die nach Gutdünken autoritär und rücksichtslos entscheiden. Meist wird dies als Charakterschwäche ausgelegt. Doch könnte es auch als (hilfloses) Instrument gewertet werden, um den paradoxen Anforderungen zu entkommen. Wie gut und vor allem nachhaltig solche Basta-Lösungen in der Realität sind, sei hier nicht beurteilt. Hier geht es vielmehr um das Verstehen, warum manchmal schmerzliche Basta-Lösungen getroffen werden, die der Entscheider zwar (kurzfristig) als Befreiung aus verstrickten Situationen empfinden mag, die jedoch bei anderen Betroffenen oft zu großen Verletzungen und nachhaltiger Irritation führen.

3.3. Kompromiss

In Entweder-oder-Situationen wird der Kompromiss (Greiffenhagen 1999; Margalit 2011; Zanetti 2022) in der Regel als klassische Lösung betrachtet. Er hat allerdings den Schönheitsfehler, dass oft beide Seiten ‚verlieren‘. Denn keine Anforderung, kein Bedürfnis – egal auf welcher Seite – wird ganz befriedigt. Um im Beispiel von oben zu bleiben: Der drogenabhängige Sohn wird zwei Tage in der Woche im eigenen Unternehmen angestellt. Eigentlich ein schöner Kompromiss, der einerseits dem Unternehmen nicht zu viel Minderleistung zumutet und andererseits dem Sohn eine Perspektive gibt. So scheint es. Denn wahrscheinlich wird es genau umgekehrt sein. Nicht beide gewinnen, sondern beide verlieren. Das Unternehmen verschwendet Geld und Ressourcen und damit unternehmerischen Erfolg und der Sohn wird in zwei Tagen der Woche keine Struktur beziehungsweise Halt finden und keine tieferen sozialen Beziehungen außerhalb seines Milieus aufbauen und die Arbeit als Zwang empfinden. Die Unternehmerfamilie verliert durch diesen Kompromiss sowohl ihren Sohn weiter als auch Effizienz und Erfolg im Unternehmen.

3.4. ‚Paradoxiefreundlichkeit‘

Große alte Unternehmerfamilien zeigen oft im Umgang mit konträren und unvereinbaren Anforderungen, die aus der Verquickung von Unternehmen und Familie entstehen, eine ‚Parodoxiefreundlichkeit‘ (Rüsen und Heider 2020; Schlippe et al 2017; Simon 2012) – auch als ‚Gegenparadoxie‘ zu betrachten (Schlippe 2020). Dies bedeutet die Fähigkeit, nicht jede Unstimmigkeit zu markieren, sondern Widersprüche und Dilemmata auszuhalten und bewusst offen stehen zu lassen. Dazu benötigt man ein Maß an Paradoxiebewusstheit, also die Einsicht, dass in bestimmten Situationen eindeutige Lösungen nicht möglich und daher – und das ist besonders wichtig – auch nicht erstrebenswert sind. Wie oben beschrieben, gibt es in Ordensgemeinschaften und Klöstern genauso wie in Unternehmerfamilien paradoxe Handlungsaufforderungen. Auf welche Weise dort ‚Paradoxiefreundlichkeit‘ gelebt werden kann, möchte ich an einem Beispiel illustrieren: In einem Stift führte mich der Abt stolz durch ‚seine‘ Bibliothek und zeigte mir wunderbare und kostbare, zum Teil 1000 Jahre alte Handschriften. Ganz nebenbei erwähnte er, dass im Laufe der Jahrhunderte immer mal wieder Bücher abhandenkämen (kein Imperfekt, sondern Präsenz!) und ehemalige Schätze einfach nicht mehr auffindbar seien. Das breite Lächeln, das sein Gesicht während dieser Aussage überzog, irritierte mich zutiefst. Denn ich konnte nicht verstehen, dass dieser Abt und dieses Kloster, das sich durch seine alte und hervorragende Bibliothek definierte, einen solchen Schwund einfach so hinnahmen. Erst später erkannte ich, dass sein Lächeln nichts anderes als ‚Paradoxiefreundlichkeit‘ ausdrückte. Denn zum einen ist die Bibliothek mit seinen Schätzen konstitutiv für dieses Kloster und macht quasi das Selbstverständnis der Ordensgemeinschaft aus, darf also auf keinen Fall Schaden nehmen. Zum anderen war das Kloster aber wohl schon häufiger finanziell so angeschlagen, dass der Fortbestand gefährdet war, was nur der Verkauf der einen oder anderen Buch-Rarität verhinderte. Die jeweiligen Äbte befanden sich in einer Zwickmühle: einerseits die Bibliothek und damit das Zentrum des Klosters zu bewahren und andererseits auch das Kloster als Ort für die Ordensgemeinschaft erhalten zu müssen. Das Aushalten des Unvereinbaren beziehungsweise des empfundenen Widerspruchs wurde durch das Lächeln des Abtes für ihn emotional annehmbar und forderte mich indirekt und freundlich dazu auf, diese Ungereimtheit als solche ebenfalls zu akzeptieren.

Auch wenn ‚Paradoxiefreundlichkeit‘ oft wie unprofessionelles, uneindeutiges, zögerliches und inkompetentes Handeln wirken mag und sich diesen Vorwurf auch gefallen lassen muss – vor allem, wenn Außenstehende nur die Perspektive der einen Seite einnehmen – so ist dieses doch als höchst professionell zu bewerten und verlangt den Protagonisten durchaus menschliche Größe und Haltung ab. Denn es ist nichts schwieriger, als Unsicherheit – und nichts anderes sind paradoxe Handlungsanforderungen, bei denen es keine umfassend richtige Lösung gibt – auszuhalten (Evers und Nowotny 1985).

Diese Haltung könnte bei Ordensmitgliedern durch ihr Gottvertrauen und die Überzeugung von der Gnade Gottes gestützt werden, während es bei Unternehmerfamilien möglicherweise der seit vielen Generationen vorhandene unternehmerische Erfolg ist, der immun gegen den Zwang zur eindeutigen (Basta-)Entscheidung macht.

Neben einer souveränen Persönlichkeit helfen auch tief verankerte Werte, verunsichernde Paradoxien ohne richtige Lösungen auszuhalten und als solche stehen zu lassen. Denn ein stabiles Wertegerüst gibt Sicherheit. Ordensgemeinschaften sind per se Wertegemeinschaften, die sich den christlichen Grundwerten verpflichtet fühlen und diese als Maßstab ihres Tuns anerkennen. Ihre Mitglieder sind bewusst in die Ordensgemeinschaft eingetreten, wurden während ihres Noviziats auf die gemeinsamen christlichen Werte eingeschworen und legen dann ein Gelübde ab, in dem sie bestätigen, ihr Leben nach diesen Werten auszurichten. Ordensmitglieder besitzen als Gemeinschaft ein stabiles Wertegerüst. Ganz anders bei Unternehmerfamilien. Hier wird man ungefragt hineingeboren, unterschiedlich und oft emotional fernab sozialisiert und muss wohl in den seltensten Fällen ein Gelöbnis ablegen, bevor man Firmenanteile erbt. Hier sollte deshalb, anders als in Ordensgemeinschaften, an einem gemeinsamen und stabilen Wertegerüst anhaltend gearbeitet werden, sonst verflüchtigt sich ein solches sehr schnell. Und es ist auffällig, dass große alte Unternehmerfamilien meist ein tief verankertes Wertesystem haben und auch viel dafür tun, dieses stabil zu halten (Moog 2021; Schlippe et al. 2017). Dieses ermöglicht ihnen offensichtlich ‚paradoxiefreundlich‘ sein zu können. Auf welche Werte sie sich hierbei beziehen, ist eher nebensächlich. Aber Verantwortung, Fairness, Ehrlichkeit und Demut sind in der Regel dabei (Rüsen 2014).

4. Familienunternehmen und Klöster nachhaltig führen und sichern

Nach diesen Ausführungen ist nachvollziehbar, warum beispielsweise das klassische Controlling als Managementinstrument bei Familienunternehmen und Ordensökonomien zu kurz greift. Denn dieses beachtet nur das Unternehmenssystem. Da aber sowohl Familienunternehmen als auch Klöster aus mindestens zwei Systemen bestehen, die sich oft sogar auch noch diametral widersprechen, benötigt man andere Führungs- und Strategieinstrumente. Diese müssen viel mehr Aspekte als nur die für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens berücksichtigen. Denn auch die Familie muss als Familie und die Ordensgemeinschaft muss als Ordensgemeinschaft ‚erfolgreich‘ sein können. Und deren ‚Erfolge‘ sind eben ganz andere als wirtschaftliche. Deshalb müssen beide Systeme bei Entscheidungen berücksichtigt und daraus resultierende paradoxe Anforderungen balanciert werden. Wenn eine Balance aber nicht möglich ist, hilft die ‚Paradoxiefreundlichkeit‘. Ein stabiles Wertegerüst und Persönlichkeiten mit menschlicher Größe sind dafür Voraussetzung. Ein Kennzahlen-Controlling kann dabei ein partielles Hilfsmittel, aber kaum ein hinreichendes Instrument sein, Klöster und Familienunternehmen zu führen und langfristig zu sichern.

5. Zusammenfassung

Auch wenn man auf den ersten Blick nicht glauben würde, dass Klöster und Familienunternehmen strukturell etwas gemeinsam haben, so konnte herausgearbeitet werden, dass bei diesen beiden Unternehmensarten am Ende sogar sehr ähnliche Strukturen und damit auch Herausforderungen bestehen, da beide aus unterschiedlichen und sich zum Teil auch widersprechenden Systemen bestehen. Da das Führen und die strategische Ausrichtung auf der Basis von klassischem Controlling, also auf der Basis von Kennziffern und Zahlen, in der Regel nur zu eindimensionalen und trivialen Lösungen des Richtig oder Falsch führen und im Entweder-oder-Denken gründen, eignet es sich wenig, um Herausforderungen, die in Paradoxien und in Komplexität ihren Ursprung haben, zu begegnen. Klöster und Familienunternehmen benötigen deshalb als komplexe Systeme zusätzliche Instrumente. Eines davon kann man mit ‚Paradoxiefreundlichkeit‘ beschreiben, auch wenn dieses von der Umwelt häufig nicht als professionelles Führungsinstrument wahrgenommen wird.

Literatur

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[37] Simon, F. B. (2002). Die Familie des Familienunternehmens: Ein System zwischen Gefühl und Geschäft. Heidelberg: Carl-Auer-Verlag.

[38] Simon, F. B. (2020). Einführung in die Theorie des Familienunternehmens (2. Auflage). Heidelberg: Carl-Auer-Verlag.

[39] Waldrop, M. M. (1996). Inseln im Chaos. Die Erforschung komplexer Systeme. Hamburg: Rowohlt Verlag.

[40] Weggenmann, H. (o. J.). Konzernstrukturen – Normalität in Familienunternehmen. In https://www.roedl.de/themen/entrepreneur/konzernstruktur-mittelstand/familienunternehmen-konzernstrukturen-normalitaet. Zugegriffen: 14. November 2022.

[41] Wimmer, R., Groth., T., & Simon F. B. (2022). Erfolgsmuster von Mehrgenerationen-Familienunternehmen. Witten: WIFU-Stiftung (Praxisleitfaden).

[42] Zanetti, V. (2022). Spielarten des Kompromisses. Berlin: Suhrkamp Verlag.

Schlagworte
Unternehmensführung
Resilienz
Werte
zurück

Zusammenfassung

Durch den Vergleich der (scheinbar) so verschiedenen Organisationen Klöster und Familienunternehmen schärft sich das Verständnis für beide. In diesem Beitrag wird gezeigt, dass beide Organisationen mit sehr ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind. Deshalb werden hier zur guten Führung auch ähnliche Managementkompetenzen benötigt. Diese Führungskompetenzen sind jedoch nicht (nur) die in anderen Unternehmensformen üblichen wie: Fachexpertise, Controlling, Markt- und Wettbewerbskenntnisse etc., sondern es sind gerade Kompetenzen, die häufig von außen sogar als Inkompetenz und/oder Unprofessionalität wahrgenommen werden. Doch genau diese anderen Kompetenzen sind es, die beiden Organisationen das Überleben über viele Jahrzehnte, ja bei Klöstern sogar viele Jahrhunderte, sichern und es ermöglichen, im eigentlichen Sinne nachhaltig erfolgreich zu sein.

Hinführung

Zwar mag es zunächst abseitig erscheinen, die Führung von Klöstern (Feldbauer-Durstmüller und Neulinger 2010; Feldbauer-Durstmüller und Niederwimmer 2022; Feldbauer-Durstmüller et al. 2019; Payer-Langthaler und Feldbauer-Durstmüller 2013; Payer-Langthaler et al. 2014) mit dem Management von Familienunternehmen (Feldbauer-Durstmüller et al. 2008; Feldbauer-Durstmüller et al. 2012; Hiebl et al. 2013) zu vergleichen, da doch beide Organisationen völlig unterschiedlich sind. Das mag für deren äußere Erscheinung (nämlich punkvolle Gebäude versus funktionale Hallen oder Büros), deren Mitglieder (nämlich eine homogene eingeschlechtliche Glaubensgemeinschaft versus eine multiple und gemischte Funktionsgemeinschaft) oder deren Ziele (nämlich Gotteslob versus die Herstellung von Gütern oder Dienstleistungen) gelten. Rückt man jedoch die Strukturen dieser beiden (Unternehmens-)Organisationen ins Zentrum der Betrachtung, dann findet man doch große Vergleichbarkeit und insbesondere sehr ähnliche Herausforderungen vor. In der Gegenüberstellung beider Organisationen kann man die Beobachtung schärfen und damit die Besonderheiten und Herausforderungen, die es sowohl beim Management von Familienunternehmen als auch von Klöstern gibt, verstehen lernen.

Im Folgenden will ich nun genau hier ansetzen und die Unternehmensarten Familienunternehmen und Klosterökonomien in den Mittelpunkt stellen und diese strukturell vergleichen, um die besonderen Herausforderungen beim Management dieser beiden Organisationen zu markieren. Dabei werde ich folgende Hypothesen verfolgen:

1. Die Organisationstruktur von Familienunternehmen ist komplex.

2. Die Organisationsstruktur von Klöstern ist komplex.

3. Die Komplexität von beiden basiert insbesondere auf systemimmanenten Dilemmata und Paradoxien.

4. Voraussetzung für das Management der komplexen Systeme Familienunternehmen und Klöster ist ‚Paradoxiefreundlichkeit‘.

5. Um ‚paradoxiefreundlich‘ sein zu können, ist eine starke und stabile Werteorientierung hilfreich.

6. Klassisches Kennzahlen-Controlling genügt nicht, Familienunternehmen und Klöster erfolgreich zu führen und nachhaltig zu sichern.

1. Familienunternehmen

1.1. Die komplexe Organisation von Familienunternehmen

Vordergründig mag es so scheinen, als seien große Börsenunternehmen komplex, da sie nicht selten in einer verzweigten und verschachtelten globalen Konzernstruktur organisiert sind. Ganz abgesehen davon, dass (große, alte) Familienunternehmen ebenso verzweigte und globale Konzernstrukturen aufweisen können (Weggenmann, abgerufen am 14. November 2022), zumal sie nicht selten aufgrund einer Risikostreuung wesentlich diversifizierter aufgestellt sind als Börsenunternehmen, so sind diese Konzernstrukturen doch cum grano salis als trivial und nicht als komplex zu bezeichnen. Denn sie sind klar, eindeutig und in logischer Abfolge verknüpft und können in der Regel deshalb auch wunderbar in einem (wenn auch noch so großen) Organigramm abgebildet werden, mit eindeutigen und linearen Verbindungen und Ober-, Neben- bzw. Unterordnungen. Das sind triviale Systeme. Komplexe Systeme sind hingegen Strukturen mit Elementen und Faktoren, die sich zirkulär, redundant oder sprunghaft, also nicht linear und daher unvorhersehbar gegenseitig beeinflussen, sich ergänzen, sich widersprechen, sich verknüpfen, sich abstoßen und somit kurz gesprochen: aufeinander in ‚chaotischer‘ Weise im mehrdimensionalen Raum ohne eindeutige Wenn-dann-Beziehung aufeinander einwirken. Die Möglichkeiten sind in der Regel fast unübersehbar und vor allem auch unvorhersehbar (Bar-Yamm 1997; Füllsack 2011; Ladyman und Wiesner 2020; Lewin 1993; Mainzer 1999; Waldrop 1996).

Familienunternehmen sind komplexe Systeme. Denn sie bestehen nicht nur aus einem unter Umständen großen und verzweigten Unternehmen, sondern auch aus einer unter Umständen großen und verzweigten Familie. Dabei macht allerdings nicht die Größe und Verzweigung per se die Komplexität aus, auch wenn sie diese durchaus befeuern kann. Vielmehr ist es die Verknüpfung von Familie und Unternehmen, die aus dem eigentlich trivialen System Unternehmen mit seiner logischen und effizienten Organisation und seinen funktionierenden Maschinen und dem nicht mehr ganz so trivialen System Familie mit seinen menschlichen Individuen mit ihren psychologischen Bedürfnissen ein hochkomplexes System mit Wirkkräften kreiert, die meist weder linear, vorhersehbar oder logisch begründbar, sondern oft dynamisch, unvorhersehbar und unwägbar sind. Die Koexistenz und enge Verflechtung von Familie und Unternehmen macht das System Familienunternehmen komplex (Schlippe et al. 2011; Simon 2002; Simon 2020). Dabei sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es nicht (nur) die Familie und ihre Protagonisten sind, die zur Komplexität beitragen, sondern die Verknüpfung von sich im Grunde Widersprechendem: von Familie und Unternehmen. Denn Familiensysteme basieren auf Vertrauen, Liebe, Toleranz, Nachsicht, Wertschätzung, Gleichheit. Die Mitglieder werden ohne Bewertung vorbehaltlos und bedingungslos geliebt, respektiert und als ganze Menschen anerkannt (Schlippe 2009). Natürlich gibt es Familien, in denen all diese Werte und Haltungen nicht zu finden sind und man sich beispielsweise Liebe ‚verdienen‘ muss. Diese gelten dann allerdings als korrumpiert, gestört und dysfunktional. In Unternehmen gelten ganz andere Logiken. Sie basieren auf Leistung, Wettbewerb, Effizienz und der unnachsichtigen Markierung von Stärken und Schwächen. Mitglieder werden hier aufgrund ihres Erfolgs belobigt. Hier gilt Ungleichheit. Aus diesem Grunde empfindet man es auch als richtig, wenn bei einer Managerin mit der Verantwortung für mehrere tausend Mitarbeiter und einem mehr als 70-Stunden-Job am Ende des Monats unten auf dem Gehaltszettel eine höhere Zahl steht als bei einem Teilzeithilfsarbeiter. Hier wird Leistung bewertet und nicht der ganze Mensch geliebt (Schlippe 2009). Auch in Unternehmen gibt es natürlich in der Realität Dysfunktionalitäten: Wenn Mitarbeiter nepotistisch bevorzugt (‚geliebt‘) werden und ihnen Minderleistung auf Dauer nachsichtig verziehen wird, oder wenn in sozialromantischen Systemen jeder Mitarbeitende gleich viel verdient. Dann gilt nicht mehr Leistung als Bedingung. Und weil dies offensichtlich für Unternehmensorganisationen dysfunktional ist, überleben Unternehmen mit Vetternwirtschaft und Missachtung der Leistungsmaxime in der Regel genauso wenig lang wie sozialromantische Unternehmen mit marxistischer Grundhaltung.

1.2. Systemimmanente Dilemmata bei Familienunternehmen

Gibt es in Familienunternehmen Verwerfungen, dann wird dies häufig mit Unprofessionalität erklärt und nicht selten wird den mächtigen Akteuren auch noch Inkompetenz vorgeworfen. Doch beides greift zu kurz. Dahinter kann nämlich ein Dilemma stecken, das aus der Komplexität des Systems Familienunternehmen resultiert. Denn hier treffen, wie oben gezeigt, zwei sich widersprechende Systeme aufeinander, weshalb die Protagonisten Alltagsparadoxien ausgesetzt sind, in denen es kein Falsch oder Richtig gibt. Vieles, was auf den ersten Blick unprofessionell wirkt, vieles, was auf den ersten Blick inkompetent erscheint, basiert auf dem Dilemma, dass es gleichzeitig vorhandene, sich aber diametral widersprechende Bedürfnisse der Unternehmerfamilie und des Familienunternehmens gibt (Wimmer et al. 2022). Unprofessionalität wird meist mit dem Fehlen von Institutionen und Regelwerken gleichgesetzt. Ob dem so ist, steht auf einem anderen Blatt, da Formalisierung per se noch nicht professionell ist, denn meines Erachtens können kompetente Unternehmer sehr berufsmäßig (und nichts anderes heißt professionell) sein, wenn sie ohne viele Regeln richtige Entscheidungen treffen (Binz Astrachan und Pieper 2021; Kammerlander et al. 2021). Ob nun aber umfassende Regelungen und Formalisierung schlecht oder gut sind, soll hier nicht beurteilt werden. Wichtiger ist in diesem Zusammenhang das richtig beobachtete Phänomen, dass es in Familienunternehmen oft wenig Regelwerke und Formalisierung gibt. Dies ist aber wohl weniger der Unprofessionalität geschuldet, als dem Vorhandensein von Komplexität, denn komplexe Systeme lassen sich nun einmal kaum mit kausalen, linearen und damit trivialen Regelwerken und mit Wenn-dann-Beziehungen bearbeiten. Die geringe Formalisierung trägt also der vorhandenen Komplexität Rechnung und ist deshalb durchaus als angemessenes und damit professionelles Verhalten zu bewerten. Genauso basiert die scheinbare und vordergründig oft zu beobachtende angeblich Inkompetenz von Unternehmerfamilien häufig auf den paradoxen Anforderungen, denen sie sich ausgesetzt sehen. Denn was, wie gezeigt, in dem einen System richtig ist, wirkt im anderen System oft dysfunktional. Handelt nun eine Unternehmerfamilie in einem System richtig, so ist dies nicht selten im anderen System geradezu falsch. Beurteilt aber ein außenstehender Betrachter eine entsprechende Handlung aus der Perspektive des einen Systems, die Handlung der Unternehmerfamilie trägt aber dem anderen System Rechnung, so erscheint sie dem Betrachter schnell als inkompetent, weil offensichtlich falsch. Um es am Beispiel zu zeigen: Vielleicht ist es nämlich für das Familiensystem unglaublich wichtig, dass der zweite drogenabhängige Sohn doch im Unternehmen eine Anstellung findet, weil er so Struktur im Leben bekommt und er sonst komplett auf die so genannte schiefe Bahn abgleiten würde, er wird als ganze Person respektiert und geliebt. Im System Unternehmen ist eine solche Einstellung jedoch völlig falsch, weil man von Minderleistung und damit von der Schädigung des Unternehmens ausgehen muss. Die Unternehmerfamilie hat diesen Sohn aus familiär richtigen Gründen eingestellt. Sie befindet sich hier in der Logik der Familie. Der außenstehende Betrachter befindet sich aber möglicherweise in der Logik des Unternehmens und bewertet deshalb diese Handlung zurecht als falsch. Er begreift dies als Nepotismus, Inkompetenz bei der Beurteilung des eigenen Nachwuchses oder als Ignoranz von Tatsachen. Als Unternehmerfamilie, die ja zu beiden Systemen gehört, befindet man sich deshalb ständig in der Paradoxie, dass eine Handlung zugleich richtig und falsch sein kann.

2. Klöster

2.1. Die komplexe Organisation von Klöstern

Auch in Klöstern haben wir es mit komplexen Strukturen zu tun. Die Komplexität entsteht auch hier aus der Koppelung zweier unterschiedlicher und sich teilweise widersprechender Systeme. Zum einen gibt es die Gemeinschaft der Mönche beziehungsweise Nonnen, deren Ziel es ist, ein gottesfürchtiges und -gefälliges Leben im Glauben zu führen, bescheiden zu teilen und allen Beladenen und Belasteten zu helfen. Die Ordensgemeinschaft ist geprägt von Nächstenliebe, Freigiebigkeit, Demut und Mildtätigkeit. Aufgabe ihrer Mitglieder ist es, sich selbst zurückzunehmen und Schwächere zu unterstützen (als Beispiel für das Leben, Selbstverständnis und Wirken von Ordensgemeinschaft seien die Regula Benedicti angeführt: http://benediktiner.benediktiner.de/index.php/regula-prolog.html, abgerufen am 14. November 2022). Nicht Leistung zählt, sondern jeder ist vor Gott gleich (Galater 3:28; Römer 3:19-28) und wird mit allen seinen Schwächen angenommen und geliebt, während Stärke als Gnade und damit Auftrag Gottes verstanden wird, die Schwachen und Beladenen zu unterstützen (2 Korinther 6:1, 2 Korinther 9:8). Zum anderen gibt es aber die Klosterökonomie, die wirtschaftlich funktionieren und im Wettbewerb bestehen muss, bei der deshalb Leistung und Erfolg zählen. Denn nur so kann sich die Ordensgemeinschaft ernähren und von ihr die Armen und Schwachen überhaupt erst mildtätig unterstützt werden.

Oft werden die Ordensökonomien von außen mit ihren Liegenschaften, prunkvollen Kirchen und riesigen Klostergebäuden, ihrem Wald- und Grundbesitz als vermögend angesehen. Da diese Vermögen aber meist aufgrund von einmaligen Zuwendungen und großzügigen Spenden oder Stiftungen nicht selten in Form von Realien und nicht von Geld entstanden sind (was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass viele Köster sogar Stift genannt werden), bedarf es kluger unternehmerischer Effizienz, diese Vermögen auf Dauer zu sichern oder gar zu mehren und damit wirtschaftlichen Gewinn zu erzielen. Schaut man in die Rechnungsbücher der Klöster, so zeigt sich aber wohl nicht selten, dass sie aus sich selbst heraus wirtschaftlich alles andere als erfolgreich sind (Niederwimmer 2019). Schnell ist man mit dem Urteil bei der Hand, dass die Ordensmitglieder in Bezug auf ihre Ökonomie unprofessionell und inkompetent handeln würden und eben zu vergeistigt seien, ganz abgesehen von dem (oft indirekten) Vorwurf, dass sich nur eine ganz bestimmte und wenig lebenstüchtige Auswahl an Menschen zum Leben in einem Orden berufen fühlten (Niederwimmer 2019). Diese Argumente sollen hier nicht näher diskutiert werden. Denn Ordensgemeinschaften befinden sich genauso wie Unternehmerfamilien immer wieder paradoxen Anforderungen ausgesetzt, was möglicherweise Vieles erklären kann.

2.2. Systemimmanente Dilemmata in Klöstern

Einerseits müssen die Mitglieder nämlich Leistung erbringen und ökonomisch im Wettbewerb erfolgreich sein, und andererseits sollen sie sich selbst zurücknehmen, demütig und nicht überall der/die Erste sein wollen, die Schwachen stützen und die eigenen Stärken in den Dienst anderer stellen und in Güte und Gnade und nicht um des Erfolgs willen handeln. Damit stecken Ordensgemeinschaften genauso wie Unternehmerfamilien in einem Dilemma. Die scheinbare Unprofessionalität und Inkompetenz erwachsen aus diesem christlichen Selbstverständnis des demütigen Hintanstehens, der Güte, der Anerkenntnis und der Unterstützung der Schwächeren, die nicht von den Stärkeren übervorteilt werden sollen. Diese Haltung ist weder unprofessionell noch inkompetent, sondern basiert ausschließlich auf der christlichen Überzeugung und ist für die Ordensgemeinschaften wesentlich und sogar konstitutiv. Aus (kloster-)ökonomischer Sicht ist diese Haltung jedoch oft geradezu falsch, denn damit wird meist wirtschaftlicher Erfolg konterkariert. Wie sollen die Ordensmitglieder also handeln? Als harte, wettbewerbsgestählte Unternehmer, um die Ordensökonomie zu erhalten, oder als Männer/Frauen der Gnade, der Freigiebigkeit, der Hinwendung, um entsprechend ihrem christlichen Auftrag und dem abgelegten Ordensgelübde zu handeln?

3. Management von Familienunternehmen und Klöstern

Wie oben gezeigt, sind Mitglieder aus Unternehmerfamilien und hier insbesondere die Geschäftsführer und Mitglieder aus Ordensgemeinschaften und hier insbesondere die Äbte gleichermaßen paradoxen Anforderungen ausgesetzt und befinden sich daher oft in einem Dilemma. Da das Wesen von Paradoxie und Dilemma in ihrer Unlösbarkeit besteht (Cohen 2005; Hagenbüchle und Geyer 2002; Kannetzky 2000; Rescher 2001; Sainsbury 2001), da jede scheinbare Lösung zwar auf der einen Seite richtig, aber auf der anderen Seite falsch ist und es keine Lösung gibt, die allen Bedürfnissen oder Anforderungen gerecht werden könnte, werden häufig in solchen Situationen folgende (Management-)Strategien angewendet, um das Problem (scheinbar) zu lösen:

3.1. Vogel-Strauß-Politik

Es ist nur zu menschlich, wenn man angesichts unlösbarer Situationen beginnt, Probleme nicht sehen zu wollen, Probleme ausblendet und eben bei Paradoxien nur die eine Seite wahrnimmt. Als Außenstehender spricht man dann schnell von Blindheit oder Inkompetenz, angesichts der Nichtwahrnehmung von doch so offensichtlichen Aspekten. Doch diese Vogel-Strauß-Politik ist für viele ein probates Mittel, um dem unlösbaren Dilemma zu entkommen. Sie ist als Kognitive Dissonanz aus der Psychologie bekannt (Festinger 2012; Maxeiner und Rühle 2014), allerdings bisher in der (Familien- und Klöster-)Unternehmensforschung höchstens am Rande behandelt. Trotzdem ist zu beobachten, dass beispielsweise Unternehmerfamilien nicht sehen (wollen), wie einzelne Mitglieder leiden und sich in immer unhaltbareren Situationen befinden und aufgrund einer dysfunktionalen Familie psychisch krank werden. Denn dies darf nicht wahr sein, da das Familienunternehmen eine tüchtige Führung braucht. Oder Ordensmitglieder leben weiterhin scheinbar naiv in den Tag hinein, kommen allen ihren Ordensaufgaben im gottgefälligen und mildtätigen Bereich hervorragend nach, verschließen aber die Augen davor, dass das Kloster eigentlich bankrott ist. Ja, sie führen möglicherweise nicht aus Unprofessionalität ihre Bücher schlecht, sondern weil sie so nicht sehen (können), wie schlimm es um das Kloster bestellt ist und sie so den paradoxen Anforderungen scheinbar entkommen.

3.2. Basta-Lösung

Andere blenden zwar möglicherweise die eine Seite der paradoxen Anforderungen nicht aus, wissen sich angesichts der Unlösbarkeit von Paradoxien aber nicht zu helfen und entscheiden dann, indem sie zur sogenannten Basta-Lösung greifen. Basta-Lösungen wurden bisher kaum in der (Familien- und Klöster-)Unternehmensforschung behandelt. Sie sind aber aus der politischen Theorie als Dezisionismus bekannt (Bolsinger 1998; Brodocz 2015). Hier wird bewusst parteiisch nur die eine Seite beachtet und dann gegen alle Widerstände, die aus den paradoxen Anforderungen erwachsen, diese Entscheidung mit Macht durchgesetzt. Geschäftsführer in Familienunternehmen oder Äbte in Klöstern mögen deshalb oft wie herrschsüchtige Autokraten wirken, die nach Gutdünken autoritär und rücksichtslos entscheiden. Meist wird dies als Charakterschwäche ausgelegt. Doch könnte es auch als (hilfloses) Instrument gewertet werden, um den paradoxen Anforderungen zu entkommen. Wie gut und vor allem nachhaltig solche Basta-Lösungen in der Realität sind, sei hier nicht beurteilt. Hier geht es vielmehr um das Verstehen, warum manchmal schmerzliche Basta-Lösungen getroffen werden, die der Entscheider zwar (kurzfristig) als Befreiung aus verstrickten Situationen empfinden mag, die jedoch bei anderen Betroffenen oft zu großen Verletzungen und nachhaltiger Irritation führen.

3.3. Kompromiss

In Entweder-oder-Situationen wird der Kompromiss (Greiffenhagen 1999; Margalit 2011; Zanetti 2022) in der Regel als klassische Lösung betrachtet. Er hat allerdings den Schönheitsfehler, dass oft beide Seiten ‚verlieren‘. Denn keine Anforderung, kein Bedürfnis – egal auf welcher Seite – wird ganz befriedigt. Um im Beispiel von oben zu bleiben: Der drogenabhängige Sohn wird zwei Tage in der Woche im eigenen Unternehmen angestellt. Eigentlich ein schöner Kompromiss, der einerseits dem Unternehmen nicht zu viel Minderleistung zumutet und andererseits dem Sohn eine Perspektive gibt. So scheint es. Denn wahrscheinlich wird es genau umgekehrt sein. Nicht beide gewinnen, sondern beide verlieren. Das Unternehmen verschwendet Geld und Ressourcen und damit unternehmerischen Erfolg und der Sohn wird in zwei Tagen der Woche keine Struktur beziehungsweise Halt finden und keine tieferen sozialen Beziehungen außerhalb seines Milieus aufbauen und die Arbeit als Zwang empfinden. Die Unternehmerfamilie verliert durch diesen Kompromiss sowohl ihren Sohn weiter als auch Effizienz und Erfolg im Unternehmen.

3.4. ‚Paradoxiefreundlichkeit‘

Große alte Unternehmerfamilien zeigen oft im Umgang mit konträren und unvereinbaren Anforderungen, die aus der Verquickung von Unternehmen und Familie entstehen, eine ‚Parodoxiefreundlichkeit‘ (Rüsen und Heider 2020; Schlippe et al 2017; Simon 2012) – auch als ‚Gegenparadoxie‘ zu betrachten (Schlippe 2020). Dies bedeutet die Fähigkeit, nicht jede Unstimmigkeit zu markieren, sondern Widersprüche und Dilemmata auszuhalten und bewusst offen stehen zu lassen. Dazu benötigt man ein Maß an Paradoxiebewusstheit, also die Einsicht, dass in bestimmten Situationen eindeutige Lösungen nicht möglich und daher – und das ist besonders wichtig – auch nicht erstrebenswert sind. Wie oben beschrieben, gibt es in Ordensgemeinschaften und Klöstern genauso wie in Unternehmerfamilien paradoxe Handlungsaufforderungen. Auf welche Weise dort ‚Paradoxiefreundlichkeit‘ gelebt werden kann, möchte ich an einem Beispiel illustrieren: In einem Stift führte mich der Abt stolz durch ‚seine‘ Bibliothek und zeigte mir wunderbare und kostbare, zum Teil 1000 Jahre alte Handschriften. Ganz nebenbei erwähnte er, dass im Laufe der Jahrhunderte immer mal wieder Bücher abhandenkämen (kein Imperfekt, sondern Präsenz!) und ehemalige Schätze einfach nicht mehr auffindbar seien. Das breite Lächeln, das sein Gesicht während dieser Aussage überzog, irritierte mich zutiefst. Denn ich konnte nicht verstehen, dass dieser Abt und dieses Kloster, das sich durch seine alte und hervorragende Bibliothek definierte, einen solchen Schwund einfach so hinnahmen. Erst später erkannte ich, dass sein Lächeln nichts anderes als ‚Paradoxiefreundlichkeit‘ ausdrückte. Denn zum einen ist die Bibliothek mit seinen Schätzen konstitutiv für dieses Kloster und macht quasi das Selbstverständnis der Ordensgemeinschaft aus, darf also auf keinen Fall Schaden nehmen. Zum anderen war das Kloster aber wohl schon häufiger finanziell so angeschlagen, dass der Fortbestand gefährdet war, was nur der Verkauf der einen oder anderen Buch-Rarität verhinderte. Die jeweiligen Äbte befanden sich in einer Zwickmühle: einerseits die Bibliothek und damit das Zentrum des Klosters zu bewahren und andererseits auch das Kloster als Ort für die Ordensgemeinschaft erhalten zu müssen. Das Aushalten des Unvereinbaren beziehungsweise des empfundenen Widerspruchs wurde durch das Lächeln des Abtes für ihn emotional annehmbar und forderte mich indirekt und freundlich dazu auf, diese Ungereimtheit als solche ebenfalls zu akzeptieren.

Auch wenn ‚Paradoxiefreundlichkeit‘ oft wie unprofessionelles, uneindeutiges, zögerliches und inkompetentes Handeln wirken mag und sich diesen Vorwurf auch gefallen lassen muss – vor allem, wenn Außenstehende nur die Perspektive der einen Seite einnehmen – so ist dieses doch als höchst professionell zu bewerten und verlangt den Protagonisten durchaus menschliche Größe und Haltung ab. Denn es ist nichts schwieriger, als Unsicherheit – und nichts anderes sind paradoxe Handlungsanforderungen, bei denen es keine umfassend richtige Lösung gibt – auszuhalten (Evers und Nowotny 1985).

Diese Haltung könnte bei Ordensmitgliedern durch ihr Gottvertrauen und die Überzeugung von der Gnade Gottes gestützt werden, während es bei Unternehmerfamilien möglicherweise der seit vielen Generationen vorhandene unternehmerische Erfolg ist, der immun gegen den Zwang zur eindeutigen (Basta-)Entscheidung macht.

Neben einer souveränen Persönlichkeit helfen auch tief verankerte Werte, verunsichernde Paradoxien ohne richtige Lösungen auszuhalten und als solche stehen zu lassen. Denn ein stabiles Wertegerüst gibt Sicherheit. Ordensgemeinschaften sind per se Wertegemeinschaften, die sich den christlichen Grundwerten verpflichtet fühlen und diese als Maßstab ihres Tuns anerkennen. Ihre Mitglieder sind bewusst in die Ordensgemeinschaft eingetreten, wurden während ihres Noviziats auf die gemeinsamen christlichen Werte eingeschworen und legen dann ein Gelübde ab, in dem sie bestätigen, ihr Leben nach diesen Werten auszurichten. Ordensmitglieder besitzen als Gemeinschaft ein stabiles Wertegerüst. Ganz anders bei Unternehmerfamilien. Hier wird man ungefragt hineingeboren, unterschiedlich und oft emotional fernab sozialisiert und muss wohl in den seltensten Fällen ein Gelöbnis ablegen, bevor man Firmenanteile erbt. Hier sollte deshalb, anders als in Ordensgemeinschaften, an einem gemeinsamen und stabilen Wertegerüst anhaltend gearbeitet werden, sonst verflüchtigt sich ein solches sehr schnell. Und es ist auffällig, dass große alte Unternehmerfamilien meist ein tief verankertes Wertesystem haben und auch viel dafür tun, dieses stabil zu halten (Moog 2021; Schlippe et al. 2017). Dieses ermöglicht ihnen offensichtlich ‚paradoxiefreundlich‘ sein zu können. Auf welche Werte sie sich hierbei beziehen, ist eher nebensächlich. Aber Verantwortung, Fairness, Ehrlichkeit und Demut sind in der Regel dabei (Rüsen 2014).

4. Familienunternehmen und Klöster nachhaltig führen und sichern

Nach diesen Ausführungen ist nachvollziehbar, warum beispielsweise das klassische Controlling als Managementinstrument bei Familienunternehmen und Ordensökonomien zu kurz greift. Denn dieses beachtet nur das Unternehmenssystem. Da aber sowohl Familienunternehmen als auch Klöster aus mindestens zwei Systemen bestehen, die sich oft sogar auch noch diametral widersprechen, benötigt man andere Führungs- und Strategieinstrumente. Diese müssen viel mehr Aspekte als nur die für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens berücksichtigen. Denn auch die Familie muss als Familie und die Ordensgemeinschaft muss als Ordensgemeinschaft ‚erfolgreich‘ sein können. Und deren ‚Erfolge‘ sind eben ganz andere als wirtschaftliche. Deshalb müssen beide Systeme bei Entscheidungen berücksichtigt und daraus resultierende paradoxe Anforderungen balanciert werden. Wenn eine Balance aber nicht möglich ist, hilft die ‚Paradoxiefreundlichkeit‘. Ein stabiles Wertegerüst und Persönlichkeiten mit menschlicher Größe sind dafür Voraussetzung. Ein Kennzahlen-Controlling kann dabei ein partielles Hilfsmittel, aber kaum ein hinreichendes Instrument sein, Klöster und Familienunternehmen zu führen und langfristig zu sichern.

5. Zusammenfassung

Auch wenn man auf den ersten Blick nicht glauben würde, dass Klöster und Familienunternehmen strukturell etwas gemeinsam haben, so konnte herausgearbeitet werden, dass bei diesen beiden Unternehmensarten am Ende sogar sehr ähnliche Strukturen und damit auch Herausforderungen bestehen, da beide aus unterschiedlichen und sich zum Teil auch widersprechenden Systemen bestehen. Da das Führen und die strategische Ausrichtung auf der Basis von klassischem Controlling, also auf der Basis von Kennziffern und Zahlen, in der Regel nur zu eindimensionalen und trivialen Lösungen des Richtig oder Falsch führen und im Entweder-oder-Denken gründen, eignet es sich wenig, um Herausforderungen, die in Paradoxien und in Komplexität ihren Ursprung haben, zu begegnen. Klöster und Familienunternehmen benötigen deshalb als komplexe Systeme zusätzliche Instrumente. Eines davon kann man mit ‚Paradoxiefreundlichkeit‘ beschreiben, auch wenn dieses von der Umwelt häufig nicht als professionelles Führungsinstrument wahrgenommen wird.

Literatur

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[37] Simon, F. B. (2002). Die Familie des Familienunternehmens: Ein System zwischen Gefühl und Geschäft. Heidelberg: Carl-Auer-Verlag.

[38] Simon, F. B. (2020). Einführung in die Theorie des Familienunternehmens (2. Auflage). Heidelberg: Carl-Auer-Verlag.

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[41] Wimmer, R., Groth., T., & Simon F. B. (2022). Erfolgsmuster von Mehrgenerationen-Familienunternehmen. Witten: WIFU-Stiftung (Praxisleitfaden).

[42] Zanetti, V. (2022). Spielarten des Kompromisses. Berlin: Suhrkamp Verlag.

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