Viele Familienunternehmenslenker*innen fordern (zu Recht) von den Eigentümer*innen des Familienunternehmens Gesellschafterkompetenz. Wenn man dann fragt, was diese bedeutet, wird sehr häuft "Bilanz lesen können" als erstes genannt. Inwieweit das richtig und Bilanz lesen können wirklich wichtig ist, sei hier nicht beurteilt, denn man sollte sich immer vor Augen führen, dass nur derjenige die Bilanz eines Unternehmens verstehen kann, der sie selbst gefälscht hat (frei nach dem Bonmot in Bezug auf Statistiken).
Hermut Kormann bietet mit diesem dünnen Buch Die Zahlen des Familienunternehmens etwas ganz anderes und viel besseres als Bilanz lesen lernen an: Nicht Bilanz lesen können ist wichtig, sondern die richtigen Fragen zum Geschäftsbericht zu stellen. Und dabei geht es nicht um das Verständnis von G&V und Bilanz und Geschäftsbericht im Detail, sondern darum, Zusammenhänge und vor allem Wirkmechanismen zu verstehen. Ziel ist nämlich, der Geschäftsführung gute und richtige normative eigentümerstrategische Vorgaben geben zu können und nicht Wissen im Detail. Sätze wie diese tun deshalb gut: "Mit solchen Normen weiß die Geschäftsführung, wie sie planen kann. Mit weiteren Details sollten sich die Gesellschafter nicht befassen." (S. 116).
Um aber gute normative Vorgaben machen zu können, muss man die Wirkzusammenhänge kennen und immer wieder hinterfragen – und eben auch bei der Geschäftsführung öfter klug um Erläuterung bitten. Und dafür gibt Kormann viele nützliche Hinweise. Diese sind bei ihm auch durchaus sehr konkret. Denn er nennt Zahlen. Allerdings sind diese in der Regel nicht absolut, sondern relativ. Sie setzen also verschiedene Größen in Beziehung. Und er zeigt auf, wie sich eine Zahl zwangsläufig verändert, wenn eine andere variiert – und was das dann bedeutet. Er zeigt also Beziehungen und Wirkzusammenhänge auf. Diese aus der G&V und der Bilanz und den Erläuterungen der Geschäftsführung zu erkennen, ist für Gesellschafter extrem hilfreich. Detailwissen ist hingegen nicht nur irrelevant, sondern oft auch hinderlich und kann leicht auf Nebenschauplätze führen.
Außerdem enthält dieses Buch viele Erfahrungsregeln: "Die Erfahrungsregel ist daher: Hoher Kundennutzen ermöglicht hohe Ertragskraft"; oder: "Die Erfahrungsregel ist daher: Große Bedeutung eines Netzwerks multipliziert mit Größe des Netzwerks ermöglicht hohe Ertragskraft"; oder: "Die Erfahrungsregel ist daher: Hohe Eintrittskosten addiert mit niedrigen Austrittskosten ermöglichen ein hohes Ertragsniveau" (S. 49-51). Auch viele Erfahrungsweisheiten, die sich insbesondere junge Gesellschafter*innen durchaus zueigen machen sollten, sind enthalten. Ich denke da an Sätze wie: "Strategie bedeutet festzulegen, was ein Unternehmen nicht macht" (S. 74), wie wahr; oder: "Viele Differenzierungsmöglichkeiten des Angebots ermöglichen eine hohe Ertragskraft" (S. 50), was doch von vielen Lean-BWLern nicht gerade vertreten wird, für Familienunternehmen aber oft den entscheidenden Unterschied ausmacht; oder "Erfolgreiche Familienunternehmen investieren tendenziell mehr als Börsenunternehmen" (S. 115), auch wenn die Forschung immer wieder das Gegenteil beweisen will. Kormann hat gute Gründe für solche Aussagen und entwickelt diese auch nachvollziehbar.
Das Wichtigste aber ist: Der Autor schafft es in diesem Buch einerseits sehr konkret zu sein und andererseits die großen Zusammenhänge nie aus dem Blick zu verlieren bzw. sogar umgekehrt: Ihm sind die großen Zusammenhänge wichtig, die er dann mit konkreten Zahlen unterlegt.
Dieses Buch fördert die richtige Gesellschafterkompetenz. Es sei deshalb nicht nur allen Gesellschafter*innen empfohlen, sondern es sollte allen jungen Gesellschafter*innen zur Initiation geschenkt werden.
Dr. Rena Haftlmeier-Seiffert