Um es gleich vorweg zu nehmen: Der Untertitel "Ausnahme oder Regelfall?" trifft den Inhalt der Studie; der Obertitel führt eher in die Irre. Denn leider lässt dieser eine Genderstudie vermuten. Das wäre aber viel zu kurz gegriffen, da die beiden Autorinnen eine fundierte, facettenreiche und vor allem allgemeine Untersuchung über die aktuelle Situation, die Voraussetzungen und Folgen von Nachfolgeentscheidungen in deutschen Familienunternehmen vorlegen. Der Genderaspekt ist dabei nur einer unter vielen, denn es zeigt sich verblüffend, dass das Geschlecht bei den Nachfolgeentscheidungen in deutschen Familienunternehmen nur mehr eine untergeordnete Rolle spielt. Die Wissenschaftlerinnen weisen vielmehr nach, dass andere Faktoren viel größeren Einfluss haben. Beispielsweise externe Faktoren wie der Wertewandel in der Generation Y mit der Suche nach sinnhaften Aufgaben und einem ausgewogenen Lebensgefühl. Oder interne Faktoren wie die unterschiedlichen Strukturen in größeren und kleineren bzw. älteren und jüngeren Firmen. Bis hin zu familiären Faktoren wie Elternrollenvorbilder. Etc.
Nachdem die Autorinnen die unterschiedlichsten externen, internen und familiären Einflussfaktoren wie Folien über das Thema Nachfolgeentscheidung gehalten und damit intelligent abgeglichen haben, konnten die relevanten Einflussfaktoren gefunden werden. Diese stehen zum Teil den in Gesellschaft und genauso in der Wissenschaft immer wieder genannten und allein durch ihre schiere Wiederholung als wahr erachteten Vorstellungen gegenüber. Die Wissenschaftlerinnen zeichnen ein differenziertes und oft überraschendes Bild von der Realität bezüglich der Nachfolge in deutschen Familienunternehmen. Dieses ist wesentlich progressiver als zu vermuten wäre: Unternehmen werden heutzutage genauso selbstverständlich an Töchter wie an Söhne übergeben (zahlenmäßig fast hälftig mit steigender Tendenz), Töchter sind nicht mehr die 2. Wahl. Lange Tandemphasen zwischen Vorgeneration und Folgegeneration, die bisher als typisch für Vater und Tochter galten, sind geschlechtsunspezifisch. Die Stabwechselphase ist bei allen relativ lang und hängt vom Altersunterschied zwischen den Generationen (und nicht vom Geschlecht der Nachfolger) ab. Die Branchen (es gibt ja angeblich männliche Branchen wie Maschinenbau etc.) geben keinen Ausschlag, welches der Kinder die Geschäftsführung übernimmt.
Zwar fanden die Wissenschaftlerinnen zunächst auch gegenläufige Phänomene, nämlich dass z.B. größere Unternehmen eher an Söhne während kleinere eher an Töchter übergeben werden. Richtigerweise ziehen sie jedoch nicht den einfachen Schluss (was bei Genderstudies zu befürchten wäre), dass Frauen wohl doch weniger zugetraut und dass man große Verantwortung immer noch nur Männern übertragen würde. Sie folgern viel differenzierter: Größere Unternehmen sind in der Regel ältere Unternehmen, bei denen seit Generationen alte Muster gelten, zu der auch die traditionelle männliche Nachfolge zählt. Unternehmen, die in der Übergabe zur 2. Generation stehen, kennen solche alten Muster weniger und leben eher die heutzutage gesellschaftlich anerkannte (wenn auch nicht immer verwirklichte) Gleichberechtigung. Damit hängt dieses vorgefundene signifikante Phänomen also von den Einflussfaktoren Alter und Tradition und nicht von der Größe der Firma ab.
Obwohl die Autorinnen insgesamt nachweisen, dass die Realität eine wesentlich größere Gleichberechtigung zwischen Nachfolgerinnen und Nachfolgern in Familienunternehmen zeigt, als gemeinhin angenommen, erkennen sie doch einige alte Muster, die noch stark wirken und lange nicht überwunden sind. So fanden sie heraus, dass Töchter zwar durchaus als Unternehmensnachfolgerin mit allen Rechten und Pflichten anerkannt und eingesetzt werden, dass sie aber trotzdem zusätzliche den überwiegenden Teil der Familien-/ Haushaltsarbeit leisten müssen. So progressiv die Ressource Frau im Unternehmensumfeld eingesetzt wird, so traditionell wird mit den Familienrollen umgegangen. Die Frau muss also sowohl den alten Mustern in der Familie genügen als auch die neuen Herausforderungen im Unternehmen bewältigen.
Diese Studie räumt mit einigen Annahmen, die als Tatsachen gelten, auf. Sie zeigt, dass die Familienunternehmen und Unternehmerfamilien auch in Bezug auf die Nachfolgegestaltung (und nicht nur in Bezug auf ihre allgemein anerkannte Innovationskraft) viel flexibler und moderner sind, als sie gemeinhin gelten. Ich gratuliere den Autorinnen zu diesen wirklich neuen Einsichten und wünsche der Studie eine große Aufmerksamkeit in Wissenschaft und Unternehmenspraxis.
Dr. Rena Haftlmeier-Seiffert