Konflikte in Familienunternehmen wurden und werden aus betriebswirtschaftlicher, aus soziologischer, aus juristischer, aus psychologischer oder auch aus volkswirtschaftlicher Sicht erforscht. Mit ihrer Habilitationsschrift legt Mechthild Isenmann nun auch eine historische Perspektive vor. Und diese eröffnet in der Tat neue Möglichkeiten und Aspekte.
Methodisch ist diese Untersuchung den qualitativen Case-Studies am nächsten. Denn sie stellt einen Single-Case ins Zentrum und flankiert diesen mit zehn weiteren Fallstudien, um innerfamiliäre Konfliktlösungen in Handelshäusern der frühen Neuzeit darzustellen.
Das Datenmaterial ist allerdings ein völlig anderes. Und wenn es – wie hier – umfassend vorhanden ist, dann ist es in mancherlei Hinsicht brauchbarer als Datenmaterial zu aktuellen Fällen. Denn worauf beziehen sich Forscher*innen in der Regel, wenn sie eine lebende Population von Unternehmerfamilien/ Familienunternehmen untersuchen? Entweder auf veröffentlichte Daten von Webseiten, auf Bilanzen und Einträge ins Handelsregister oder auf eigens geführte Interviews oder speziell dafür entworfene Fragebögen. Bei diesen Daten ist dann allerdings eigentlich immer mit einem Bias zu rechnen. Webseiten sind werblich, Bilanzen sind für die Besteuerung oder Investoren aufgehübscht und die eigens von Forscher*innenn geführten Interviews oder für eine bestimmte Fragestellung entworfene Fragebögen konfrontieren mit dem Problem der Beeinflussung durch die Fragenden oder die Fragestellung an sich. Die Antworten können gar nicht anders sein als gezielt, eindimensional und oft auch sozial erwünscht. Außerdem besitzen solche Untersuchungen zusätzlich den Makel der punktuellen Momentaufnahme. Nicht so bei historischen Quellen wie Tagebücher, Briefe, Zeugenaussagen von Gerichtsakten (= Aussagen Dritter), Versammlungsprotokolle etc. Diese sind nicht für die Wissenschaft gedacht gewesen und geben daher oft erhebliche und sehr persönliche Einblicke. Denn welche Forscher*innen würden von einem lebenden Mitglied einer Unternehmerfamilie die privaten Mails an die Schwester, die geheimen persönlichen Kalendereintragungen oder auch die Protokolle von außerordentlichen Gesellschafterversammlung anlässlich einer drohenden Krise erhalten? Entsprechend tief sind die Einblicke Isenmanns in die alltäglichen Konflikte der Unternehmerfamilien. Außerdem decken die Quellen einen oft jahrzehntelangen Zeitraum ab und lassen Entwicklungsprozesse erkennen.
Auch wenn man sich zur besseren Anschlussfähigkeit an die vorhandene Familienunternehmensforschung gewünscht hätte, die Fälle wären nach Konfliktthemen wie Nachfolgeregelungen, wirtschaftlicher Misserfolg (Misswirtschaft), Kündigung eines Familienmitglieds aus der Führung bzw. Gesellschafterausschluss etc. geordnet worden und nicht nach Verwandtschaftsverhältnissen wie Vater-Sohn oder Onkel-Neffe oder Brüder, so tut dies dem Forschungsergebnis keinen Abbruch. Denn am Ende gibt es eine Tabelle (Seite 374), die die Konfliktfelder benennt und diese den entsprechenden Gegenmaßnahmen gegenüberstellt. "Zusammengefasst lassen sich… als besonders effektiv… die Vorgehensweisen verifizieren, die auf Kompetenzgewinn, Professionalisierung, Konsens, Freiwilligkeit, auf Nichtöffentlichkeit, Vertraulichkeit und schließlich auf außergerichtlicher Basis angelegt waren" (Seite 380). Würden nur heute alle Unternehmerfamilien so handeln, wie es offensichtlich schon in der frühen Neuzeit als sinnvoll erkannt worden war.
Genauso ist die Rolle der Mitgesellschafter*innen höchst passend beschrieben als "'Mitwissende', nicht 'Entscheidungsbefugte'" (Seite 46). Dies wäre auch heute für viele reinen Gesellschafter eine gute Rollendefinition. Denn völlige Ignoranz und Informationsdefizite gegenüber dem Geschäft des Unternehmens sind genauso schädlich wie ein Hineinregieren ins operative Management.
So sei dieses gut geschriebene und auch einen gewissen Voyeurismus befriedigende Buch über große und global agierende und sehr einflussreiche Unternehmen allen interessierten Praktiker*innen genauso ans Herz gelegt wie den Wissenschaftler*innen aus den anderen Disziplinen, denn innerfamiliäre Konfliktlösungen in Handelshäusern der frühen Neuzeit sind ein gutes Lehrbeispiel.
Dr. Rena Haftlmeier-Seiffert