Der Familienflüsterer

Myrto-Christina Athanassiou, Der Familienflüsterer, Interview von mit Dr. Ulrich Wacker, in: enkelfähig. Wert & Werte (Magazin der Franz Haniel & Cie GmbH) #10 Mai 2015, S. 32 f.


Der Bruder will investieren, die Schwester nicht. Der Familienpatriarch pocht auf Disziplin – doch die Enkel meutern. Dr. Ulrich Wacker, einst CEO des traditionsreichen Baumaschinen-Herstellers Wacker, kennt die Höhen und Tiefen im Leben eines mittelständischen Familienunternehmers. Heute unterstützt er andere Firmeninhaber dabei, bei familiären Zwistigkeiten einen klaren Kopf zu bewahren.

Herr Wacker, Sie haben 2001 eine Stiftung gegründet, um Anteilseigner aus Familienunternehmen zu unterstützen. Warum?
Weil ich aus eigener Erfahrung weiß, wie kompliziert die Führung eines Unternehmens werden kann, wenn grundlegende Fragen zwischen Anteilseignern nicht geklärt sind. Im schlimmsten Fall führt das zu Patt-Situationen, die das gesamte unternehmerische Handeln blockieren. Solche Eskalationen lassen sich verhindern, wenn die Inhaber zum Beispiel klare Regeln zur Entscheidungsfindung vereinbaren. Ich sehe uns von der EQUA-Stiftung da eher als Erstkontakt – wenn es um konkrete juristische oder andere fachspezifische Beratungsthemen geht, vermitteln wir an Experten weiter. Wenn gewünscht, moderieren wir aber auch auf Familientagen oder ähnlichen Veranstaltungen Familienprozesse.

Mittelständler, vor allem familiär geprägte, gelten als notorisch diskret. Fremden Rat anzunehmen ist manchem Familien-Patriarchen nicht geheuer…
Oft sind es vor allem die Gründerpersönlichkeiten, die ungern externe Unterstützung suchen. Bei Familienunternehmern in der vierten, fünften Generation sieht das häufig ganz anders aus. Gerade bei den 30- bis 40-jährigen erlebe ich eine große Offenheit. Für diese Altersgruppe ist es inzwischen ja auch normal, zum Beispiel einen Coach zu engagieren. Interessanterweise sind viele junge Leute heute wieder stolz darauf, aus einer Unternehmerfamilie zu stammen. In den 1960er und 70er Jahren schämte man sich da eher. Damals galten Mittelständler in der Öffentlichkeit oft als Blutsauger oder Ausbeuter.

Liegt es auch an diesem veränderten Image, dass die Wissenschaft sich heute verstärkt dem Thema Familienunternehmen widmet?
Gut möglich. Mich freut jedenfalls sehr, dass sich heute so viele Institute mit dem Thema beschäftigen. Das ist tatsächlich ein Trend geworden. Wir kooperieren sehr eng mit der Forschung und unterstützen junge Wissenschaftler jedes Jahr mit einem namhaften Betrag bei ihren Arbeiten. Wobei mich wundert, dass zum Beispiel Disziplinen wie die Erziehungswissenschaft dabei nur selten vertreten sind. Sie könnten nämlich helfen, Antworten auf die Fragen bereitzustellen: Wie wachsen Familienmitglieder heute in ihre Rolle im Unternehmen hinein? Wie können sie dabei unterstützt werden?

Wie sind Sie selbst denn in Ihre Unternehmerrolle hineingewachsen?
Bei uns zu Hause stand gar nicht zu Debatte, sich beruflich anderweitig zu orientieren. Ich habe schon früh in den Ferien im Unternehmen gearbeitet oder Geräte auf der Messe vorgeführt. Die Geschäftsfreunde meiner Eltern waren oft auch privat bei uns zu Gast. So rutscht man eben hinein in die Rolle als Unternehmer. Wobei ich meine Aufgabe schon sehr gerne gemacht habe, den Kontakt zu den Menschen, die Zusammenarbeit mit anderen fand ich immer sehr bereichernd.

Waren Sie ein klassischer Firmenpatriarch, als Sie noch an der Spitze von Wacker standen?
Sich selbst zu beurteilen fällt einem ja meist nicht so leicht. Ich war Anfang 40, als ich plötzlich alleine das Unternehmen leiten musste. Die Auseinandersetzungen im Gesellschafterkreis kosteten viel Zeit. Deshalb habe ich schon bald kompetente Kollegen in den Vorstand geholt. Ich hatte noch nie ein Problem damit, mich selbst überflüssig zu machen: Was zählt, ist das Wohlergehen des Unternehmens.

Was sind typische Probleme, mit denen die Firmeninhaber sich an Sie und Ihre Stiftung wenden?
Nicht selten entstehen Unstimmigkeiten, weil alte, unpassende oder für die jeweilige Situation mittlerweile ungeeignete Familien- oder Gesellschaftsverträge gelten. Solche Probleme finden Sie beim kleinen Gartenbau-Betrieb genauso wie beim großen Maschinenbauer. Problematisch können auch Mehrfach-Spitzen sein: Zwei gleichberechtigte Chefs, die in unterschiedliche Richtungen wollen, sind Gift für ein Unternehmen. Häufig erlebe ich außerdem, dass die Inhaber sich voller Leidenschaft um ihre Unternehmensstrategie kümmern und schlicht kein Bewusstsein dafür entwickeln, dass auch die Beziehungen zwischen den Gesellschaftern Aufmerksamkeit erfordern. Wenn man nach dem Motto lebt „das ist doch Familie, da muss man sich nicht groß kümmern, das funktioniert schon irgendwie“, können sich wunderbar unausgesprochene Konflikte ‚unterirdisch‘ entwickeln.

Die gibt es in Konzernen doch auch…
Das stimmt, aber in mittelständischen Betrieben, in denen die ganze Familie involviert ist, gibt es häufig keine Exit-Option für den Einzelnen. In Konzernen kann man sich von unliebsamen Mitgliedern trennen, in Unternehmerfamilien nicht. Oft sind Streitereien um den richtigen Kurs fürs Unternehmen hier außerdem Vehikel, um ganz andere Rechnungen zu begleichen. Darüber hinaus schwelen nicht selten ererbte Konflikte weiter. Denn vielleicht gab es da vor zwei Generationen die eine Tante, die sich mit dem Onkel in die Haare geriet – und noch Jahrzehnte später sprechen die beiden Familienstämme nicht miteinander.

Wie oft kommt es vor, dass Familienmitglieder scheitern, wenn sie Verantwortung im operativen Geschäft übernehmen?
Das kommt natürlich vor. Genauso häufig passiert es allerdings, dass ein Gründer seinem Sohn oder der Tochter erst die Firma überantwortet, dann aber nicht loslässt und damit das Leben schwer macht, weil er ihnen nichts zutraut. Obwohl die Nachfolger durchaus das Zeug dazu hätten, das Unternehmen erfolgreich zu führen. Oft klappt das später auch, wenn die nächste Generation sich erst einmal durchgesetzt hat.

Woran merken Sie beim Gespräch als Erstes, dass der Konflikt im Familiengefüge steckt?
Meist spüre ich schon bei der Begrüßung, ob die Atmosphäre vergiftet ist, weil die Familienmitglieder sich zum Beispiel nicht einmal mehr ansehen können. In der Regel gibt es keinen einzelnen Schuldigen, sondern meist ist die Situation als solche verfahren, und jeder Kontrahent hat in seiner Bewertung der Situation durchaus Recht. Schwierig wird es allerdings, wenn man merkt, dass eine Konfliktpartei überhaupt kein Problembewusstsein für den Konflikt besitzt und sich gegen eine Bearbeitung sperrt. Respekt, Vertrauensaufbau und absolute Neutralität gegenüber allen Seiten und allen Meinungen kann dann helfen, die festgefahrene Situation wieder etwas zu öffnen.

Diese Neutralität fällt einem Externen natürlich leichter als einem Familienmitglied.
Genau. Das wussten Historikern zufolge übrigens schon die Unternehmerfamilien des Mittelalters: Die Fugger zum Beispiel haben, wenn sie sich uneinig waren über den Kurs ihres Handelsimperiums, unbeteiligte Schiedsrichter von außen zu Rate gezogen. Ebenso können heute externe Investoren oder Manager von außen in solchen Gemengelagen als neutrale Katalysatoren wirken – allein schon, weil sie wieder etwas Sachlichkeit in manche Diskussion bringen.

An der Spitze von WackerNeuson, wie das Unternehmen inzwischen heißt, sind heute keine Familienmitglieder mehr zu finden…
Ja, und das sehe ich mit etwas Wehmut. Seit den 1990er Jahren ist keiner aus der Familie mehr operativ im Unternehmen tätig. Über Jahre herrschte bei uns genau die Art von kaltem Krieg, vor dem ich andere heute bewahren will. Die Streitigkeiten über den richtigen Kurs hielten viele aus der jüngeren Generation davon ab, sich über die Gesellschafterrolle hinaus zu engagieren. Auch meine eigenen Kinder haben andere berufliche Wege eingeschlagen, sind als Gesellschafter aber sehr aktiv. Ich persönlich finde es schade, dass ich die eigene Erfahrung, das eigene Wissen nicht mehr einbringen kann. Dennoch bereue ich nicht, dass ich mich 2011 komplett zurückgezogen habe. Immerhin ist es gelungen, die Weichen richtig zu stellen: Das Unternehmen ist als Ganzes erhalten geblieben, es prosperiert. Ich hoffe, dass einige Prägungen aus der Zeit als Familienunternehmen auch heute noch weiterwirken.

Was ist Ihr wichtigster Rat an Inhaber von Familienunternehmen?
Auch wenn die Versuchung im Alltag groß ist: Sie sollten Konflikte unter den Inhabern niemals unter den Teppich kehren. Das ist wie russisches Roulette. Verschwiegene Konflikte holen Sie immer wieder ein. Besonders schwierig scheint übrigens der Übergang von der ersten Generation auf die Kinder zu sein. Wer hier stabile und personenunabhängige Muster etabliert, die auch noch in Generation drei und vier funktionieren, darf aber laut der Statistik schon auf eine gewisse Stabilität vertrauen.

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